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Am Anfang stand ein Massaker

Vor 40 Jahren formierte sich in den Südphilippinen der muslimische Widerstand

Von Rainer Werning *

Am 18. März 1968 wurden mindestens zwei Dutzend junge muslimische Rekruten - andere Quellen sprechen von 64 bis über 100 Toten - von ihren Vorgesetzten auf der philippinischen Insel Corregidor in der Bucht von Manila exekutiert. Die Konsequenzen dieses Massakers wirken bis heute nach. In der Region herrscht vielerorts Krieg. Langjährige Friedensverhandlungen zwischen Manila und der heute bedeutsamsten Moro-Organisation, der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), sind seit Dezember 2007 ins Stocken geraten. Und die Präsenz von einigen Hundertschaften US-amerikanischer GIs - abkommandiert zur Bekämpfung der durch Entführungen auch international bekannt gewordenen Abu Sayyaf - tut ein übriges, um unter dem Deckmantel des »Antiterrorfeldzuges« die Zivilbevölkerung zu schikanieren.

Begonnen hatte alles im Jahre 1967 auf der kleinen südphilippinischen Insel Simunul. Dort fand unter dem Kommando von Major Eduardo Martelino eine geheime militärische Ausbildung in Sabotage und Infiltration von etwa 180 Rekruten statt, die im Januar 1968 nach Corregidor verlegt wurden. Der Drill soll hart und das Essen miserabel gewesen sein. Auch der versprochene Monatssold von 50 Pesos (umgerechnet entsprach das damals zirka 50 DM) soll den Rekruten vorenthalten worden sein. Es kam daraufhin zu einer Revolte, die von den Vorgesetzten an eben diesem 18. März blutig unterdrückt wurde. So jedenfalls lautete die Version der Regierung in Manila. Der einzige Überlebende des Massakers, Jibin Arola (Jibon Arula), gab später zu Protokoll, seine Kameraden seien niedergemetzelt worden, weil sie sich geweigert hätten, auf Befehl von oben ins ostmalaysische Sabah einzumarschieren. »Warum«, so Arola, »sollten wir die Malaysier angreifen, wo sie doch unsere muslimischen Brüder sind?« Daß Arola überlebte, indem er schwimmend auf das Festland entkommen konnte, wertete man als Wunder. Ein andere Version der Ereignisse spricht von einer Meuterei, die von den Offizieren drakonisch niedergeschlagen und wobei eine gesamte Kompanie massakriert worden sei, um mögliche Zeugen zu »beseitigen«.

War Major Martelino der Hauptakteur in diesem Drama, so war das damalige Civil Affairs Office, das direkt Präsident Ferdinand E. Marcos unterstellt war, Dreh- und Angelpunkt des »Operationsplans Merdeka« (Freiheit), so der Codenamen dieses waghalsigen Unternehmens. Martelino war zuvor Militärattaché in Washington und ein Verfechter des Maphilindo-Plans, der eine malaysisch-philippinisch-indonesische Föderation als Einheitsprojekt aller Malaien vorsah. Hintergrund des Oplan Merdeka war der 1962 erhobene Anspruch Manilas auf Sabah, den der damalige philippinische Präsident Diosdado Macapagal, der Vater der heutigen Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag geltend gemacht hatte. Macapagal berief sich darauf, daß einst das Sultanat von Sulu Souverän des nördlichen Teil Bor­neos gewesen und dieser nunmehr integraler Bestandteil der philippinischen Republik sei. Während Macapagal auf eine diplomatische Konfliktlösung setzte, wollte Marcos die Sabah-Frage politisch instrumentalisieren und schreckte dabei auch vor illegalen Methoden nicht zurück. Auf einer nationalistischen Welle reitend, wollte er wiedergewählt werden, was ihm -- einmalig in der Geschichte des Landes --1969 auch gelang.

Die wahre Geschichte des Oplan Merdeka wurde nie enthüllt. Jedenfalls sackten die Beziehungen zwischen Malaysia und den Philippinen auf einen Tiefpunkt. Kuala Lumpur zog sein Botschaftspersonal aus Manila ab, und die Polizei in Sabah schickte illegal ins Land gereiste Filipinos wieder zurück, die man zuvor geduldet hatte. Später sollte sich Malaysia an Manila rächen, indem es Mitgliedern der im Zuge dieser Ereignisse entstandenen Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) in Sabah Unterschlupf gewährte und zuließ, daß sie dort militärisch ausgebildet und mit Waffen versorgt wurden. In diesem Sinne markierten die Ereignisse vom 18. März 1968 die Geburtsstunde der MNLF und den Beginn des bewaffneten Moro-Widerstandes.

* Aus: junge Welt, 18. März 2008


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