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Awajún sind keine Wilden

Fernando Vílchez Rodríguez über indigenen Widerstand gegen Bergbau in Peru *


Fernando Vílchez Rodríguez ist ein peruanischer Regisseur und Drehbuchautor. Er studierte Philosophie in Lima und Filmwissenschaft in Madrid. Auf der Berlinale 2011 kam sein Kurzfilm »La Calma« über ein Erdbeben in Peru in die offizielle Auswahl. 2014 war es sein Kurzfilm »Solo te puedo mostar el color« (Ich kann Dir nur die Farbe zeigen). Er ist bei der Produktionsfirma »Bergman was right Films« bestellbar. Mit Vílchez Rodríguez sprach für »nd« Benjamin Beutler.


Ihr Film »Ich kann Dir nur die Farbe zeigen« zeigt in rund 30 Filmminuten das Leben der Awajún-Indigenen im Norden Perus nahe der Grenze zu Ecuador. Vor fünf Jahren wurde die Region tragischer Schauplatz des »Baguazo«. Bei Protesten gegen Bergbau, Privatisierung und Freihandel kamen damals 23 Polizisten und zehn Demonstranten ums Leben ... Was war der Hintergrund?

In der Gegend gibt es große Goldvorkommen. Eine kanadische Bergbaufirma, die Dorato Ressources, hatte die Regierung von Alan García damals um Schürfrechte gebeten, um die Vorkommen auszubeuten. Die Regierung in Lima sagte zu, ohne jedoch die indigene Gemeinde vor Ort zu konsultieren. Die Gemeinde ist eine Awajún-Gemeinde. Ein Volk mit einer komplizierten Geschichte, einer Geschichte nicht der Gewalt, aber schon eine des Krieges und des Kampfes. Die Awajún sind das einzige Volk Perus, das nach der Ankunft der Spanier in Lateinamerika nicht unterworfen werden konnte. Die Spanier haben dieses Territorium nie kontrolliert. Historisch gesehen sind die Awajún also ein Volk von Kriegern. Das waren sie auch in der Neuzeit. 1995 gab es zwischen Peru und Ecuador einen Grenzkrieg. Die Mehrzahl der Soldaten waren Awajún. Die Regierung hatte die Awajún genommen, in Uniformen gesteckt und in den Krieg geschickt.

Auf der diesjährigen Berlinale schaffte es die Doku in die enge Auswahl. Interessiert man sich in Peru auch so stark für die Awajún?

In der Hauptstadt Lima werden die Indigenen gerne vergessen. Es gibt viel Geringschätzung, besonders auf Seiten der politischen Klasse. 2008 schickten die Awajún Beschwerdebriefe an die Regierung, damit diese prüft, was getan werden kann, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Oder um zu klären, unter welchen Bedingungen der Abbau vonstatten geht. Denn die Awajún sind nicht völlig gegen Bergbau oder gar Entwicklung.

Kam es zu einer Einigung?

Leider nein. 2009 beschlossen die Amazonas-Stämme einen regionalen Streik. Die Awajún verließen den Dschungel, über 2000 Mann. Und blockierten die Straße, die auch durch den Amazonas führt, mit Steinen. Sie blieben dort zum Schlafen, an einer Stelle die »Teufelskurve« heißt. Lastwagen kamen nicht vorbei, das Ganze dauerte 58 Tage. In dieser Zeit sagte die Regierung immer wieder Gespräche zu. Die Verhandlungsführer der Indigenen kamen nach Lima, auch in den Kongress. Doch war das Ganze nur eine Farce, damit die Protestierenden auf der Straße müde werden. Dann schickte die Regierung Polizei, um die Straße zu säubern. Die schoss um sich, es gab Tote. In Peru sind solche Konflikte fast normal. Das Besondere dieses Mal: Es sind die Polizisten, die zu Opfern werden. Während sie die Straße von der Blockade befreiten, hatten sich im Dschungel über 1000 Awajún gesammelt. Im Radio hörten sie, dass ihre Brüder getötet werden. Sie schworen Rache, Auge um Auge. Sie umstellten eine Erdölstation, stürmten sie und nahmen 38 Polizisten gefangen, die dort stationiert waren. Die Polizisten wurden in den Wald gebracht, und ein großer Teil von ihnen wurde umgebracht, mit Macheten wurden sie ermordet. Die ganze Tragödie mit einem Blutbad auf beiden Seiten geschah in nur sechs Stunden. Eine sehr schnelle, unkontrollierbare Spirale der Gewalt. Niemand verstand, was passiert war.

Statt politischen Hintergrund zeigen Sie Jungen und Mädchen, die mit Kamera, Stativ und Mikrofon durch den Urwald spazieren, Bäume und Täler filmen, am Flussufer schauspielern ...

Ich wollte zuerst eine klassische TV-Reportage machen, mit Interviews und Erzähler, der alles erklärt, was in Bagua passiert ist. Doch war ich in der Awajún-Gemeinde nicht willkommen. Ich bin ein Fremder, man kennt mich nicht. Also bin ich zu den lokalen Autoritäten gegangen, um zu fragen, ob ich drehen dürfe. Die Antwort war nein. Nach langen Verhandlungen hieß es, ich solle etwas Persönliches von mir abgeben. Eine Gabe, die bei ihnen bleiben könne. Also habe ich den Jugendlichen gezeigt, wie man mit einer Kamera umgeht. Sie würden selber aufnehmen können, was ihren Leuten und ihrem Volk passiert ist. So bin ich in die Gemeinden gekommen, und herausgekommen ist eine Doku.

Was hat Sie als Dokumentarfilmer am meisten überrascht?

Ich war fast den ganzen Tag mit den Jugendlichen unterwegs, an ihren Orten. In unserer Vorstellungswelt werden die Indigenen als wild, barfuß, mit bemalten Gesichtern präsentiert. Die sich nur beschweren, protestieren, die keine Straßen wollen, die wütend sind, die man nicht versteht, mit Macheten in der Hand. Mit der Zeit habe ich sie nur noch als Jugendliche gesehen. Sie spielten mit den Kameras, schauspielerten, machten Kung-Fu-Filme nach. Die Theater spielenden Jugendlichen gewinnen so ihre Identität zurück, die wir ihnen genommen haben. Dieses Bild der Normalität wird in Perus Medien nicht gezeigt, nur der »zurückgebliebene Wilde«. Wir haben uns leider daran gewöhnt, dass das einzig Gute, was wir der Welt zu geben haben, unsere Bodenschätze sind: Gold, Silber, Öl, Guano. Dieses Erbe erlaubt kaum Entwicklung. Kommt heute ein Bergbaumulti aus Kanada, Tokio oder London, dann setzen wir wieder auf dieselbe Karte. Und der Dschungel ist eine der größten Quellen für Bodenschätze. Doch gibt es Momente, ab denen die große Wirtschaft die kleinen Gemeinschaften beeinträchtigt.

Sehen Sie Europa in der Verantwortung?

Es ist kein Geheimnis, dass die Situation mit den postkolonialen Hinterlassenschaften zu tun hat, unter denen das Land seit der Invasion der Spanier leidet. Sie haben uns schwere Lasten hinterlassen, die sozialen und politischen Strukturen wirken bis heute nach: Segregation, Klassengesellschaft, Rassismus, alle Arten der Diskriminierung, das alles ist Erbe des Kolonialismus. Nach den Polizistenmorden wurde das noch schlimmer. Immer wieder wurde medial auf die Awajún eingeschlagen. In der Doku ist es das erste Mal, dass sie auf großer Leinwand als die Menschen gezeigt werden, die sie wirklich sind.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 4. März 2914


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