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Eine Perspektive für junge Leute

Bewässerungsprojekt schafft Arbeitsplätze und eine Zukunft für das Leben auf dem Land in Peru

Von Knut Henkel *

Abwanderung ist ein altbekanntes Phänomen in den peruanischen Anden. Der Jugend fehlt es schlicht an Perspektiven. Doch oft können schon kleine Dinge daran etwas ändern, wie das Beispiel Mollepata zeigt. Ein Staubecken und zwei Bewässerungskanäle reichen aus, damit die ersten jungen Leute in ihr Heimatdorf zurückkehren.

Die Sonne schimmert auf der Oberfläche des prall gefüllten Staubeckens von Mollepata. Einige Frauen sitzen auf dem breiten Betonrand des gut dreizehn Kubikmeter fassenden Beckens und unterhalten sich im wärmenden Sonnenlicht. Das Staubecken liegt auf einer kleinen Ebene über dem von Lehmhäusern geprägten Dorfkern und das kräftige Rauschen des Wassers ist kaum zu überhören. Für Claudio Estrada klingt das wie Musik in seinen Ohren. »Jahrelang mussten wir mit den Niederschlägen auskommen, dank des Beckens haben wir nun neue Perspektiven«, erklärt der peruanische Bauer und Vorsitzende des Kanalprojekts von Mollepata. Es hat dafür gesorgt, dass in der rund 90 Kilometer von der Provinzhauptstadt Cusco entfernten Region endlich auch außerhalb der Regenzeit Wasser vorhanden ist für den Anbau von traditionellen Produkten wie Kartoffeln, Amaranth und Bohnen.

Claudio Estrada ist einer der Bauern, die den Kanal vom Río Blanco zum Bassin und von dort zu den Feldern gebaut haben. Estrella - auf Deutsch: Stern - haben die Bauern ihren Kanalabschnitt genannt. Stolz deutet Estrada, ein eher schmächtiger Mann in weißem Hemd und Weste auf einen Pappkarton mit Avocados. Die werden nur ein paar Kilometer entfernt geerntet. Dort, rund zehn Minuten entfernt von Mollepata liegt das deutlich kleinere Huamampata, welches aus kaum mehr als fünfzig ein- und zweigeschossigen Lehmbauten besteht. Dort befinden sich die Felder, die Chacras, der Bauern aus der Umgebung.

An einem Berghang, der einigermaßen sanft in eines der typischen Täler übergeht, arbeiten mehrere Dutzend Bauern in der Morgensonne. Mehrere kräftige Sprenger sind weiter unten an einem Feld mit Bohnen und Kartoffeln im Einsatz. Weiter oben sind Obst- und Avocadobäume zu sehen, aber auch Kürbisse, Mais und Gerste werden angebaut.

Mehr anpflanzen, steigende Umsätze

»Zwei Ernten im Jahr sind bei den Bauern, deren Felder direkt am Wasserkanal liegen, möglich«, erklärt Victor Flores. Er ist der Vorsitzende des Dorfes Huamampata und zugleich Vorsitzender der Avocadobauern der Region, die auf 2800 Meter über dem Meeresspiegel liegt. »Durch die Verfügbarkeit des Wassers steigen unsere Erträge und wir können jetzt auch neue Produkte anbauen«, erklärt der stämmige Bauer mit den breiten Wangenknochen. Dazu gehören Pfirsiche, Avocado und Äpfel, wobei die Bauern sich von Experten der Regionalregierung von Cusco bei der Auswahl der Anbauprodukte und der Bewässerungstechniken beraten lassen.

»Wir haben neue Verfahren und teilweise auch neue Anbauprodukte eingeführt, um den Wasserverbrauch zu senken«, erklärt Efraín Silva Cana, der leitende Ingenieur. Der Mann mit dem ockerfarbenen Schlapphut und der mit zahlreichen Taschen versehenen Weste, die ein Emblem der Regionalregierung ziert, hat das Bewässerungsprojekt gemeinsam mit den rund dreihundert Bauern geplant und realisiert.

In zwei Gruppen, die jeweils für einen Kanalabschnitt zuständig sind, ihn gebaut haben und nun auch warten, sind die Bauern organisiert. Ein erfolgreiches Modell, bei dem die Bauern auch gelernt haben, rationeller mit dem Wasser umzugehen, denn bei der traditionellen Überflutung der Anbauflächen wird knapp dreimal so viel Wasser verbraucht wie bei der Beregnung mit Wassersprengern, rechnet Ingenieur Silva Cana vor.

Ziel des Bewässerungsprojekts, welches von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der zweitgrößten Förderbank weltweit, mitfinanziert wurde, ist es, die Lebenssituation in den meist bettelarmen Andendörfern zu verbessern und den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen. »Die Bauern haben mit weniger Niederschlägen, aber auch mit Hagel und erhöhter Sonneneinstrahlung zu kämpfen«, schildert Efraín Silva Cana die Probleme und schiebt sich den Schlapphut aus der Stirn.

Der sichere Zugang zu Wasser ist entscheidend für die Existenz der rund dreihundert Familien. Die bebauen zwischen zwei und fünf Hektar, pflanzen traditionell Grundnahrungsmittel an und verkaufen Überschüsse auf dem Markt von Limatambo, dem größten in der Umgebung. Doch das ist nicht mehr die einzige Verkaufsadresse. Die ersten Bauern aus der Region haben sich zertifizieren lassen und verkaufen Bio-Avocado und Amaranth nach Europa. Eine Option, die auch für Flores und die Bauern aus Mollepata interessant ist.

Ein Kanal wird zum Lichtblick

Flores, der mit seinen fünf Hektar Anbaufläche zu den größeren gehört, sucht nach Alternativen, um auch seinen Söhnen Perspektiven zu bieten. »Traditionell hat die Jugend in den letzten zwanzig Jahren die Dörfer in dieser Region meist verlassen, weil das Leben auf dem Land hart ist und die Perspektiven in der Stadt vermeintlich besser«, erklärt er. Ein Übriges hat der in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts überaus brutal geführte Bürgerkrieg zwischen der Guerilla des Sendero Luminoso, dem leuchtenden Pfad, und der Armee getan - die Menschen verließen in Scharen die Andendörfer.

»Das ist heute in Mollepata vollkommen anders«, freut sich Mario Antonio Chacón, der Bürgermeister des Ortes. »Die ersten jungen Leute kommen zurück, weil sie hier Perspektiven sehen«, betont der Mann von Ende sechzig mit dem runden Gesicht und den gutmütig leuchtenden Augen. Doch Chacón mahnt auch, dass der zweite Kanalabschnitt nun dringend wieder instand gesetzt werden muss. Der einfache Kanal, der direkt ins Erdreich getrieben wurde, ist teilweise eingestürzt, weshalb längst nicht mehr genug Wasser von oben nach unten fließt. »Von zweihundert Litern sind es nicht mehr als sechzig, die bei uns an den Feldern ankommen«, schildert Victor Delgado das Dilemma. Der 48-jährige kräftige Bauer mit der beigefarbenen Baseballkappe, unter der kurze, grau melierte Haare hervorlugen, weiß genau, woran das liegt: »In der Regenzeit zwischen Dezember und März haben wir immer wieder mit Erdrutschen zu kämpfen. Einer hat den Kanal teilweise verschüttet.« Daher wünschen sich die Bauern ein dickes Kunststoffrohr, welches in einem betonierten Schacht verlaufen soll, sodass die Wasserversorgung nicht mehr gefährdet wäre. Dann könnten Delgado und sein Nachbar Lucio Tevis Zamos ebenfalls von den guten Perspektiven profitieren, die der Anbau von Avocado und Früchten bietet. Bisher ist das nicht der Fall, denn die beiden haben ihre Felder weiter unten im Tal, wo kein Wasser hingelangt. So gedeihen dort nur wenige, auf Wasser nicht so angewiesene Produkte wie Quinoa und Amaranth. Das reicht nur, um gerade über die Runden zu kommen. Mehr als 15 000 Soles, umgerechnet fünftausend Euro sind kaum drin. Bauern wie Flores mit seinen fünf bewässerten Hektar erwirtschaften mehr als das Doppelte. Mehr Fläche stünde durchaus zur Verfügung und ausreichend Wasser fließt über die Gletscherbäche in die Täler. Was fehlt, sind Auffangbecken wie in Mollepata. Das ist der zweite Wunsch der rund dreihundert Bauern, die zur Kanalgemeinschaft gehören. Ihnen geht es darum, die Aktivitäten auszuweiten.

Doch dazu benötigen sie die Hilfe der Regionalregierung. Die müsste die Gelder zur Verfügung stellen beziehungsweise sie von internationalen Gebern einwerben. »Wir Bauern würden wie zuvor für die Ausschachtarbeiten aufkommen«, so die Idee von Bürgermeister Chacón und den Kanalbauern um Delgado. Dabei haben sie die Unterstützung von Efraín Silva Cana. »In und um Mollepata haben wir zwei große Vorteile: Die Leute haben gelernt mit wenig Wasser auszukommen und die Erträge sind so gut, dass mittlerweile sogar junge Leute aus Cusco und Lima zurückkommen«, erklärt der Ingenieur. Daher plädiert er für das Erweiterungsprojekt.

Doch dessen Umsetzung kann dauern, denn der Etat der Regionalregierung ist weitgehend erschöpft und den internationalen Gebern müssen erst detaillierte Studien vorgelegt werden. So werden sich Delgado und sein Nachbar Lucio Tevis Zamos noch gedulden müssen, bis bei ihnen unten im Tal auch die ersten Obstbäume sprießen. Bis dahin gilt es, mit Amaranth und Quinoa über die Runden zu kommen und die Hoffnung nicht aufzugeben.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 02. Februar 2013


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