Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Kampf um die Stimmen der veramten Mittelschicht und der ganz Armen geht weiter

Peru nach der ersten Runde der Präsidentenwahl

Am 9. April 2006 fand in Peru der erste Durchgang der Präsidentenwahl statt. Er brachte einen Etappensieger, aber noch kein Ergebnis. Es wurde lange gezählt, bis klar war, welche beiden Kandidaten nun in die Stichwahl gehen würden. Die Stichwahl wird voraussichtlich Ende Mai oder Anfang Juni stattfinden.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, in denen das Zustandekommen des Zwischenergebnisses geschildert wird.



"Wahl zwischen Aids und Krebs"

García und Humala treten zur Stichwahl in Peru gegeneinander an Von Gerhard Dilger, Porto Alegre*

Was sich Tage nach der ersten Runde der peruanischen Präsidentenwahl am 9. April abzuzeichnen begann, ist jetzt sicher: Der linksnationalistische Humala wird in der Stichwahl auf den sozialdemokratischen Ex-Präsidenten García treffen. Nach der Auszählung von 99,2 Prozent aller Wahlbezirke kam Humala auf 30,7 Prozent, García auf 24,3 Prozent. Die Kandidatin der bürgerlichen Rechten, Lourdes Flores, landete wie schon 2001 knapp auf Platz drei, mit diesmal 23,7 Prozent. Nicht berücksichtigt sind bei diesen Zahlen die Enthaltungen und ungültigen Stimmen, eine Option, für die sich immerhin 16 Prozent der Wähler entschieden.

In der zweiten Runde könnten es noch mehr sein. Denn eingetreten ist das Horrorszenario der peruanischen Bourgeoisie, die »Wahl zwischen Aids und Krebs«, die der Schriftsteller Alfredo Bryce Echenique bereits vor fünf Monaten heraufziehen sah. Hätte ein Sieg von Flores weitgehende Kontinuität zum scheidenden Amtsinhaber Alejandro Toledo bedeutet, werden nun wieder ungute Erinnerungen an die Regierungszeit des heute 56-jährigen García beschworen: Dessen Versuch, zwischen 1985 und 1990 dem heraufziehenden Neoliberalismus mit einem teilweisen Schuldenmoratorium und der Verstaatlichung der Banken zu trotzen, endete in einem Scherbenhaufen. Ähnlich wie in manchem Nachbarland kam es zu Kapitalflucht und Hyperinflation.

Gegen die maoistische Guerilla »Leuchtender Pfad« schien der Charismatiker machtlos. Auch Echeniques Kollege Mario Vargas Llosa, der García 1990 beerben wollte, meldete sich jetzt erneut zu Wort. Gegen den Humala-Clan helfe nur ein Votum für García, »auch wenn man sich dabei die Nase zuhalten muss«, schrieb der Romancier. Damit Peru nicht »erneut im Sumpf des militaristischen Autoritarismus versinkt«, müssten García und Flores ein Bündnis schließen.

Doch damit stieß er auf wenig Gegenliebe. Eine offene Allianz mit der Rechten, die seit 40 Jahren keine große Wahl mehr gewonnen hat, scheut García aus gutem Grund, könnte er doch damit noch mehr Unzufriedene in das Humala-Lager treiben. So werben die beiden Kontrahenten weitgehend um die gleiche Klientel: die veramte Mittelschicht und die ganz Armen, die Verlierer des neoliberalen Modells. Eine erste Umfrage liegt schon vor: Danach soll García mit 54 Prozent vorn rangieren.

Im neu gewählten 120-Sitze-Parlament verfügt keine Partei über eine eigene Mehrheit. Zwei Drittel der Wahlbezirke sind ausgezählt. Humalas Nationale Partei käme danach auf 43 Sitze, Garcías APRA auf 37, die Nationale Union von Flores auf 17. Vier weitere Parteien schafften den Einzug, darunter Toledos Regierungspartei. Sämtliche linken Kräfte scheiterten.

Furore machte die 30-jährige Tochter Keiko von Ex-Autokrat Alberto Fujimori: Sie holte das beste Einzelergebnis, und ihre Allianz für die Zukunft dürfte es auf 13 Sitze bringen. Ihr Vater sitzt nach seiner Festnahme im vergangenen November immer noch in Chiles Hauptstadt Santiago in Untersuchungs- und Auslieferungshaft.

* Aus: Neues Deutschland, 27. April 2006


Kampf der Verlierer

Nach der Präsidentschaftswahl in Peru. Streit um den zweiten Platz

Von Harald Neuber**


Die Situation erinnert an die USA, oder zuletzt Italien: Gut eine Woche nach der Präsidentschaftswahl in Peru kann die Nationale Wahlbehörde (ONPE) das Endergebnis noch immer nicht bekanntgeben. Grund für die Verzögerung ist ein erbitterter Streit zwischen den beiden Kandidaten Alán García von der rechten sozialdemokratischen APRA und der Konservativen Lourdes Flores um den zweiten Platz. Wer sich durchsetzt, wird Anfang Juni gegen den Nationalisten Ollanta Humala zur Stichwahl um das höchste Staatsamt antreten.

Nach Auszählung von 90,36 Prozent der Stimmen lag Humala, der für die Union für Peru (UPP) antrat, am Montag bei 30,84 Prozent. Alán García kam auf 24,35 Prozent und Lourdes Flores auf 23,56 Prozent. Der Abstand zwischen den beiden Nachplazierten ist damit auf weniger als 90000 Stimmen geschrumpft, und Flores besteht auf einer Nachzählung. Die spanische Nachrichtenagentur EFE bezeichnete die Situation als »ohne Vergleich in der jüngsten Geschichte Perus«.

So tief der Zwist zwischen García und Flores ist, so einig sind sie sich in der Ablehnung des politischen Newcomers Humala. Flores' Mitstreiter Arturo Woodman von der Nationalen Einheit (UN) wies gegenüber der peruanischen Presse darauf hin, »daß die traditionellen demokratischen Kräfte« – sprich: APRA und UN – »auf jeden Fall gegen Humala opponieren werden«. Woodman, der von Flores für die Vizepräsidentschaft nominiert wurde, bestätigte damit indirekt, daß Humala als ernste Gefahr für die gescheiterte Zweiparteienherrschaft aus Christ- und Sozialdemokraten wahrgenommen wird.

Der ehemalige Oberstleutnant kann solche Angriffe gelassen sehen. Nach der ersten Wahlrunde versucht er, im Wählerpool der etablierten Parteien zu fischen. Im Interview mit der britischen Tageszeitung The Independent relativierte er seine Verbindung zum venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez Anfang der Woche. Auch unter seiner Führung, so Humala, werde Peru »in bestimmten Bereichen« die Nähe zu den USA suchen.

Die elitäre Politikerkaste in APRA und UN muß solche wahltaktischen Manöver derzeit hilflos mit ansehen. Selbstsicher tritt der einstige Außenseiter Humala wie ein Staatsmann auf. Auch der Ausgang der Parlamentswahl, die am 9. April parallel zur Wahl des Präsidenten stattfand, gibt ihm recht. Nach Auszählung von mehr als der Hälfte der Stimmen entfielen auf Humalas Liste 43 der 120 Sitze. Damit wurde die absolute Mehrheit zwar verpaßt, doch ist die UPP die stärkste Kraft. Die Partei des amtierenden Präsidenten Alejandro Toledo, Perú Posible, ist nicht mehr vertreten.

** Aus: junge Welt, 19. April 2006


Zurück zur "Peru"-Seite

Zurück zur Homepage