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Peru paralysiert

Generalsstreik und Lehrerproteste bringen die Regierung in Bedrängnis. Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftsmodell gefordert

Von Timo Berger *

Perus Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Seit fast zwei Wochen befinden sind Tausende Lehrer, Bauarbeiter und Bauern im Ausstand. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen und eine Abkehr vom Freihandelsabkommen (TLC) mit den USA. All dies hatte der sozialdemokratische Präsident Alán García in seinem Wahlkampf vergangenes Jahr großzügig versprochen – eingelöst hat er davon bislang jedoch nichts. So verwundert es wenig, daß der Ruf nach einem Rücktritt Garcías, der am 28. Juli sein einjähriges Amtsjubiläum feiern würde, immer lauter wird.

Angeführt werden die Streiks von den Lehrern, die am 5. Juli in einen »unbefristeten« Ausstand getreten sind. Die mehr als 300000 Angehörigen der Lehrergewerkschaft Sutep fordern, daß die Regierung ein am 11. Juli verabschiedetes Gesetz zur Reform der Ausbildung der Pädagogen zurücknimmt, das es dem Staat ermöglicht, Lehrer leichter zu entlassen. Auf Druck von García war es vom Parlament schon nach der ersten Abstimmungsrunde als »verabschiedet« erklärt worden, ohne die sonst übliche zweite Runde abzuwarten.

Auch der mächtige Gewerkschaftsdachverband CGTP hat sich den Protesten angeschlossen. Am Montag (16. Juli) rief er seine 600000 Mitglieder zu einem 48stündigen landesweiten Generalstreik auf. Die CGTP will zumindest eine Modifizierung des bereits unterschriebenen Freihandelsabkommens mit den USA durchsetzen. Die USA sind Perus wichtigster Handelspartner. 31 Prozent des Außenhandels wurden im Jahr 2005 mit den USA abgewickelt.

Die Streiks und Proteste in verschiedenen Städten des Landes haben bisher zu Dutzenden Verletzten und zwei Todesopfern geführt. In der Provinz Santipo im Zentrum des Landes wurde ein Bauer von der Polizei erschossen. In Abancay, südlich von Lima, erlag ein Mädchen seinen Verletzungen, nachdem es während einer Demonstration von einem Stein getroffen wurde. In den Departmentos Arequipa, Cusco, Puno, Tacna und Tumbes wurden bei Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften mindestens 50 Menschen verletzt.

Präsident García hat die Forderungen der Streikenden wiederholt zurückgewiesen. Um die Lage im Land unter Kontrolle zu bringen, setzt er auf eine Politik der harten Hand. 90000 Polizisten patrouillieren in den Straßen des Andenlandes. Nachdem der internationale Flughafen Juliaca im Süden Perus am 11. Juli besetzt und in Brand gesteckt worden war, werden öffentliche Gebäude und Verkehrsinfrastruktur von den Streitkräften bewacht. Außerdem wurden seit Beginn des Ausstands mehr als 500 Personen in Lima und den Provinzen verhaftet, darunter viele Gewerkschaftsführer aus den Reihen der Sutep.

Angesichts der ökonomischen Daten verwundert die Massivität der Streikwelle. Die Zeitschrift The Economist sah Peru Ende 2005 auf der Liste der Ländern mit dem höchsten Wirtschaftswachstum auf Platz 6. Auch dieses Jahr soll die Wirtschaft in dem Andenland um voraussichtlich 7,5 bis 8 Prozent wachsen. Doch die Mehrheit der Bevölkerung ist von dem Boom ausgeschlossen. Fast 60 Prozent der 28 Millionen Einwohner leben nach offiziellen Zahlen von einem Einkommen unterhalb der Armutgrenze. Die neoliberale Umstrukturierung der Wirtschaft unter der Regierung von Alberto Fujimori (1990–2000) hat ihren Ausschluß aus der Gesellschaft weiter gefestigt.

* Aus: junge Welt, 17. Juli 2007


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