Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hunger, Lärm, Tod

Im Norden Perus ist die Pazifikküste übersät mit verendeten Wasservögeln und Delphinen. Die Ursachen sind beispielhaft

Von Anne Grit Bernhardt *

Zahlreiche Strände der nordperuanischen Pazifikküste sind seit Mai gesperrt. Auf dem Sand liegen Kadaver von Pelikanen, Blaufußtölpeln, Fischen und Delphinen. Das Massensterben war für die peruanischen Behörden lange ein Rätsel. Nun haben zwei Studien einen Erklärungsansatz geliefert. Sowohl die Biologische Fakultät der in Chiclayo ansässigen staatlichen Universität »Pedro Ruiz Gallo« als auch die Behörde für Umweltgesundheit in Piura haben bakteriologische und parasitologische Studien an verendeten Vögeln durchgeführt. Die Ergebnisse waren negativ, womit der Tod durch Viren, Bakterien oder Parasiten ausgeschlossen werden konnte.

In weiteren Untersuchungen gelang es, eine wahrscheinliche Todesursache zu ermitteln. Demnach sind die Wasservögel wohl verhungert. Ihre Mägen und Därme waren leer, die Mangelernährungssymptome eindeutig. »Sowohl die Blaufußtölpel als auch die Pelikane hatten nichts im Magen, einige hatten sogar Magengeschwüre. Möglicherweise hatten diese Vögel mehrere Tage lang nichts mehr gefressen. Die Schädigung des Magens durch Magensäfte könnte der Grund für den Tod dieser Tiere sein«, erklärte Eddy Leyva Villalonga von der Behörde für Umweltgesundheit in der Tageszeitung La Republica vom 9. Mai.

Die zentrale Ursache für den Hungertod der Wasservögel sieht das peruanische Meeresinstitut ­IMARPE in der Erwärmung des Pazifiks. Und Ricardo Rebisso, oberster Kapitän des Hafens von Chimbote, pflichtet dem bei: Eklatante »Veränderungen der maritimen Flora und Fauna« seien «auf die erhöhten Wassertemperaturen zurückzuführen. In den letzten Tagen gab es einen weiteren Anstieg von zwei Grad Celcius. Damit ziehen sich die Fische in tiefere und damit kühlere Gewässerzonen zurück. Dies führt zu Fischmangel für die Wasservögel, die damit weiterhin vom Hungertod betroffen sein werden.«

In den letzten Monaten erwärmte sich das Meer vor Perus Küste insgesamt um acht Grad Celcius. Doch nicht nur die Wassertemperaturen vertreiben die Fische, auch die starke Meeresverschmutzung trägt ihren Teil dazu bei. Perus Küstenstädten fehlt es an Kläranlagen, Abwässer Hunderttausender Menschen werden direkt in den Pazifik geleitet. Diese Praxis zerstört sukzessive die Lebensgrundlagen der Meerestiere, insbesondere die der empfindlichen Sardellen, Hauptnahrung der Wasservögel.

Inzwischen sollen nach Behördenangaben etwa 5000 Meeresvögel an der nordperuanischen Küste verhungert sein. Womöglich liegt die Zahl höher. Das lassen die offiziellen Angaben zum Delphinsterben an der Küste vermuten. Laut IMARPE sind in den vergangenen Wochen 887 dieser Meeressäuger gestrandet. Schon damit würde es sich um das weltweit größte Delphinsterben seit Jahrzehnten handeln. In den USA wurden in den 1990er Jahren rund 600 tote Delphine gezählt, in Tansania waren es 2006 etwa 400, im Golf von Mexiko 2009 bis 2011 offiziell 162. In Peru scheinen die offiziellen Zählungen das Ausmaß der Katastrophe nun eher zu verschleiern. Nach Angaben verschiedener Umweltorganisationen strandeten bereits Tausende Delphine an der Küste im Norden, die gesamte lokale Population ist demnach bedroht.

Hauptsächlich seien zwei Zahnwal­arten von der Katastrophe betroffen: der Langschnäuzige Gemeine Delphin (Delphinus capensis) und der Burmeister-Schweinswal (Phocoena spinipinnis). Letzterer wird allerdings deutlich seltener gefunden. Heinz Plenge, Direktor des Naturschutzgebietes Chaparri, erklärt: »Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die wir nicht machen können. Aber was wir können, ist zählen. Und an einem Tag haben wir mehr als 1000 tote Delphine gezählt, und das allein hier.«

Die Wissenschaftliche Organisation für die Erhaltung von Meerestieren ­ORCA hat in den vergangenen Wochen einige tote Meeressäuger untersucht. Demnach führte starker Unterwasserlärm zum Platzen des Trommelfells und zur Schädigung innerer Organe. Verletzt und desorientiert seien die Tiere schließlich gestrandet. In Labors in Peru und den USA wurden Ohrenblutungen nachgewiesen, ebenso fand man Gase in inneren Organen, geschädigte Lungen und Brüche in den Knochen des Gehörs.

Die akustische Belastung führt ­ORCA auf die Erdölexplorationen vor der Küste von Lambayeque und Piura zurück. Sie werde mit seismischen Wellen durchgeführt, unter anderem von der südkoreanischen Firma SK Energy. Die peruanischen Behörden haben bisher nichts gegen das Delphinsterben unternommen. Nach Ansicht von Umweltschützern ist ihnen der Schutz der Erdölfirmen wichtiger. Nachweislich hätte die Erkundung von Erdöllagerstätten mittels seismischen Wellen bereits in vielen Teilen der Welt zu einem Delphin-Massensterben geführt.

Seit Anfang Mai beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuß des peruanischen Kongresses mit der Katastrophe. Zunächst soll überprüft werden, ob die Delphine tatsächlich aufgrund der von SK Energy eingesetzten 3-D-Seismik gestrandet sind. Die Erörterung von Maßnahmen zur Eindämmung des Massensterbens ist erst der nächste Schritt. Der Kongreßabgeordnete Antonio Medina Ortiz, Mitglied des Ausschusses, erklärte »die in dieser Höhe hierzulande nie dagewesene Sterberate« immerhin für »höchst besorgniserregend«. Doch zum Leidwesen der Fischer und Küstenbewohner ist das Gremium noch zu keinem Ergebnis gekommen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Juni 2012


Zurück zur Peru-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage