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Gefangen im Amazonasdschungel

Peru: Kampf um und Widerstand gegen eine Straße durch das Dickicht des Urwaldes

Von Benjamin Beutler *

Eine Straße soll Perus abgelegene Purús-Provinz im Südosten an der Grenze zu Brasilien mit der Außenwelt verbinden. Weil der Bau durch ein indigenes Naturschutzgebiet führt, gibt es einen erbitterten Schlagabtausch zwischen Gegnern und Befürwortern des Infrastrukturprojekts.

Ginge es nach dem Geistlichen Miguel Piovesan, wäre die erste Straße zwischen der Kleinstadt Puerto Esperanza im südöstlichen Zipfel Perus und dem Rest des Landes längst gebaut worden. Seit langem macht sich der gebürtige Italiener für den Bau einer Asphaltverbindung durch das Dickicht des Urwaldes stark.

Wie im gesamten Amazonasdistrikt ist die Armutsquote auch in Purús erschreckend hoch. Öffentliche Fürsorge? Fehlanzeige. Hier lebt man langsamer und stirbt schneller. Nur ein Prozent der Haushalte ist mit Wasser und Strom sowie hygienischen Grundausstattungen versorgt. Wo es keine Krankenstation gibt, machen fehlende Wege schon eine Durchfallerkrankung oder eine Infektion zur Lebensgefahr. Nur jedes zweite Kind geht zur Schule. Es gibt keine einzige Verbindung in den Rest des Landes, nur per Flugzeug erreicht man Pucallpa, was fast 600 Kilometer weit weg liegt. Flüge per Militär- oder kleinen Chartermaschinen sind immer ausgebucht. Nicht jeder kommt heraus, denn der Luftweg ist teuer. Das spüren die Menschen auch beim Lebensmittelhändler. Die Preise für Zucker, Mehl, Fleisch und Reis sind um ein Vielfaches höher als andernorts. »Das Gefängnis von Purús«, so nennen viele Bewohner ihre eingeschlossene Stadt im Dschungel.

Doch der oberste Katholik der 2000-Seelen-Gemeinde scheint mit seiner Forderung nach einer Verbindung zur Außenwelt ein Sakrileg begangen zu haben. Die Straße Puerto Esperanza–Iñapari, deren Bau von Lima per Gesetz mittlerweile zu einer »öffentlichen Notwendigkeit und einem nationalen Interesse« erklärt wurde, würde direkt durch den »Nationalpark Alto Purús« (PNAP) und das »Gemeinschaftsreservat Purús« führen. Diese Tatsache provoziert harten Widerstand. Eine solche Verbindung, so die Gegner des Infrastrukturvorhabens, würde »das Ende« des geschützten Fleckens Erde bedeuten. »Auf der Welt gibt es nur noch eine Handvoll Orte, die von solcher biologischer und kultureller Bedeutung sind wie Perus Alto Purús«, erklärte etwa der Direktor der US-amerikanischen Umweltschutzorganisation »Upper Amazon Conservancy«. Die Straße würde durch Holzeinschlag, Besiedlung und Drogenhandel »die Existenz des gesamten Amazonasbeckens gefährden und einen der letzten isolierten Indigenen-Stämme der Welt an den Rand des Abgrundes stoßen«, so die Warnung von Chris Fagan.

Mehr Lebensqualität für Tausende von Purús-Bewohnern steht damit gegen den Schutz von Artenvielfalt und offiziellen Angaben zufolge rund 500 in den Tiefen des Waldes nach alter Art lebenden Indigenas. Perus größter Nationalpark wurde 2004 per Präsidialdekret geschaffen, was Beobachter damals als internationales Prestigeprojekt der Präsidentenfamilie kritisierten. Denn unter »Dach und Fach« brachte das Schutzgebiet, die damalige First Lady Perus Eliane Kharp, eine gebürtige Belgierin mit Anthropologiestudium, Wirtschaftsdiplom und mehreren Briefkastenfirmen im Steuerparadies Panama. Ein Jahr später wurde die Ehefrau des marktfreundlichen Präsidenten (2001–2006) Alejandro Toledo und Lieblingskandidaten aus Washington postwendend mit dem Preis »Führer für einen lebendigen Planeten« des US-Naturschutzriesen WWF honoriert.

Ihren Nationalpark verteidigen die gut betuchten Naturschutzfreunde nun mit beachtlichem Aufwand. Verwaltet wird das Gebiet etwa von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns von der staatlichen Nationalparkbehörde ­SERNAP. Das 2,5-Millionen-Hektar-Areal hat den Schutz von Biodiversität und indigenen Gruppen, die in freiwilliger Isolation zum Rest der Welt leben, zum Ziel. Die Gelder für den Erhalt des Parkes kommen von zwei peruanischen Nichtregierungsorganisationen für Umweltschutz, der »Zoologischen Gesellschaft Frankfurt« (ZGF) und dem WWF. Pater Piovesan ist längst zum Feindbild der Straßenbaugegner geworden. Der Pfarrer solle das Gebiet sofort verlassen, er wolle eine »Todesstraße« bauen, schlägt etwa die Indigenenschutzorganisation »Survival International« Alarm. Mundtot will sich der Italiener nicht machen lassen: »Der Mensch kommt vor dem Schutz von Bäumen«. Indigene, so sein Vorwurf, würden sich von den Geldgebern aus dem Ausland und deren Personal instrumentalisieren lassen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Juli 2012


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