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Steht auch Peru eine Linkswende bevor?

Ollanta Humala Favorit der Präsidentenwahl


Der ehemalige Oberleutnant Ollanta Humala (42) führt die letzten Umfragen zur peruanischen Präsidentenwahl am Sonntag, den 9. April 2006, an. Er plädiert für eine regionale Integration und will das Freihandelsabkommen mit den USA verhindern, in das die Regierung des derzeitigen Präsidenten Alejandro Toledo Ende 2005 eingewilligt hat.
Humala distanziert sich von seiner Familie: Sein Vater Isaac propagiert als Chefideologe des "Ethnocacerismus" ebenso wie Ollantas Brüder Antauro und Ulises die Überlegenheit der indigenen "Kupferrasse". Ulises ist ebenfalls Präsidentschaftskandidat.


ND: Herr Humala, begreifen Sie sich als Teil der Linkswende in Lateinamerika?

Humala: Ja. In Peru spricht man von Nationalismus, anderswo redet man von Indigenismus, Sozialismus oder einfach nur der Linken. Diese progressiven Kräfte wollen dem neoliberalen Wirtschaftsmodell und der üblichen Politik etwas entgegensetzen.

Im Oktober 2000 haben Sie den Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Alberto Fujimori gewagt. Wie kam es dazu?

Es war eine Zeit sozialen Aufruhrs gegen ein Regime, das sich an der Macht verewigen wollte. Anderswo gab es Ähnliches: Die Bevölkerung erhebt sich gegen das System und stürzt den Präsidenten, wie in Ecuador, Bolivien oder Argentinien. Das war der Kontext unserer Aktion, als wir dem korrupten Fujimori-Regime den Ungehorsam erklärten.

Was trennt Sie vom Rest Ihrer Familie?

Ich glaube an die Demokratie. In Peru ist die Demokratie zerbrechlich und beschränkt sich auf Wahlen. Das Volk wird nur alle fünf Jahre gefragt, welche Präsidenten, Parlamentarier und Bürgermeister es will. Darüber hinaus gibt es keine Beteiligung. Dieses System ist verbesserungswürdig.

Was sagen Sie zum aggressiven Nationalismus und zu jenem neuen Inkareich, für die sich Ihr Vater und Ihre Brüder stark machen?

Das Inkareich Tahuantinsuyo ist für uns so etwas wie das Römische Reich für einen Italiener – eine Quelle der Inspiration, des Stolzes. Aber es gibt wohl keinen Italiener, der französisches Territorium reklamiert, weil das einst zum Römischen Reich gehörte. Langfristig wird die Integration mit Bolivien, Ecuador und dem ganzen andinen Amerika darüber entscheiden, ob wir international unsere Eigenständigkeit bewahren können, ob unsere Länder überleben.

Sie gelten als vehementer Globalisierungskritiker...

Wir sind gegen das Wirtschaftsmodell, das die Sieger des Kalten Krieges durchgesetzt haben, den globalisierten Neoliberalismus. Die Öffnung der Märkte, die Durchlöcherung der nationalen Souveränität, die Schwächung der kulturellen Identitäten – das sind schädliche Folgen dieser Globalisierung.

Was möchten Sie dagegen tun?

Wir können das Wirtschaftsmodell nicht über Nacht ändern. Die Industriestaaten haben ja die Technik, das Kapital, die großen Firmen, die es ihnen ermöglichen, in andere Märkte einzudringen. Unsere Industriebetriebe, die Devisen und Arbeitsplätze schaffen müssten, werden in den Ruin getrieben. Der Gipfel dieser Entwicklung ist das Freihandelsabkommen mit den USA, in das die Regierung Toledo eingewilligt hat. Es würde uns auf Jahrzehnte knebeln und die kleinbäuerliche Landwirtschaft zerstören. Der Kongress darf es nicht ratifizieren.

Mario Vargas Llosa hat Sie wie Evo Morales und Hugo Chávez als »neuen barbarischen Caudillo« bezeichnet. Wie finden Sie das?

Herr Vargas Llosa ist ein guter Schriftsteller, aber was die Realität Perus und Lateinamerikas angeht, liegt er ziemlich daneben.

Fragen: Gerhard Dilger

Aus: Neues Deutschland, 6. April 2006


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