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Fischen bis zur letzten Flosse

Peru setzt auf industrielle Fang- und Verarbeitungsmethoden - Bestände sind bedroht

Von Knut Henkel, Chimbote *

Peru gehört zu den größten Fischereinationen weltweit. Jedes Jahr werden Millionen Tonnen Meerestiere aus dem Pazifik gezogen. Der Konflikt mit dem Nachbarland Chile über die Nichteinhaltung von Fangquoten ist exemplarisch für ein Grundproblem in allen Weltmeeren - die Überfischung.

Javier Castro ist ein erfahrener Fischer. Er kennt die Bucht von Chimbote schon lange, erinnert sich noch daran, als hier Seezunge, Meerbarbe und andere Edelfische gefangen wurden. »Heute wird hier nichts mehr gefangen. Die Bucht ist klinisch tot. Die Einleitung von Abwässern ist der eine Grund, der andere die Überfischung«, klagt der Gewerkschaftsfunktionär und deutet auf die Fangflotte, die in der Bucht von Chimbote vor Anker liegt.

Etliche Dutzend Schiffe unterschiedlicher Größe sind es, die nur darauf warten, dass die zuständige Abteilung im Produktionsministerium die Quoten freigibt, damit die überdimensionierte Flotte Perus größten Hafen verlassen kann, um die Netze auszulegen und Anchovis, Makrelen und Co. en gros aus dem Meer zu ziehen. Fisch ist die zweitwichtigste Einnahmequelle für die Wirtschaft des südamerikanischen Landes. In der Fischregion wird der Fisch knapp

Um die Zukunft der Fischerei sorgt sich Javier Castro. »Zehn Millionen Tonnen und mehr haben wir noch vor ein paar Jahren während einer Fangsaison aus dem Meer geholt«, erklärt er. In diesem Jahr wird es wohl nur eine Fangquote von 5,5 bis 6 Millionen Tonnen geben, um die Bestände zu schützen. So hat das Ministerium angekündigt. Fisch wird immer knapper in der Region, die eigentlich zu den fischreichsten der Welt gehört. Die Ursache dafür sind die sogenannten Auftriebswasser. Die transportieren - einem Fahrstuhl ähnlich - nährstoffreiches, von Plankton durchsetztes Wasser aus der Tiefe bis fast an die Oberfläche. »Dadurch ist der Tisch vor Perus Küste, wo der kalte Humboldt-Strom vorbeifließt, quasi gedeckt für die kleinen Fische«, erklärt Salvador Viviano. Der Fischer von Mitte 50 macht sich ebenfalls Sorgen um die Zukunft seines Berufs in Chimbote und den anderen Häfen an der 2400 Kilometer langen Küste Perus. »Das Meer gibt kaum mehr etwas her. Die Bestände sind eingebrochen«, klagt der rundliche Mann mit der Schiebermütze.

Das hat seinen Grund, wie eine Serie von Artikeln auf der Internetplattform »IDL-Reporteros« aufgedeckt hat. Die Journalisten des investigativen Mediums, das unter dem Dach einer Menschenrechtsorganisation angesiedelt ist, hat zwischen Januar und Anfang Mai recherchiert, wie Fangquoten systematisch umgangen und Abertausende Tonnen an Fisch zusätzlich gefangen werden. Zwischen 10 und 50 Prozent Mehrfang konnte Milagros Salazar einzelnen Schiffen nachweisen. Dabei hat die Reporterin akribisch die Fänge über einen Zeitraum von knapp 30 Monaten ausgewertet und festgestellt, dass mindestens 630 000 Tonnen Anchovis mehr gefangen wurden, als eigentlich erlaubt war.

Die kleinen, maximal 20 Zentimeter langen Tiere, auch als Sardellen bekannt, bilden das Rückgrat der peruanischen Fischindustrie. Aus ihnen wird vor allem Fischmehl produziert, welches in der Schweinemast und der Aquakultur eingesetzt wird. Das Fischmehl wird nach China, aber auch nach Deutschland exportiert. Ein Milliardengeschäft, das Peru zu einer der größten Fischereinationen weltweit gemacht hat. Pro Jahr werden zwischen 1,2 und 2 Millionen Tonnen Fischmehl zu Preisen von 1200 bis 1900 US-Dollar pro Tonne exportiert; die Nachfrage nach dem Futtermittel ist hoch. »Ein wesentlicher Grund dafür, dass gefangen wird, was das Meer hergibt, und dass die Quoten mit allen Tricks umgangen werden«, sagt Gustavo Gorriti, Redaktionsleiter von »IDL-Reporteros«. Es gehe um zusätzliche Einnahmen von 200 Millionen Dollar, die nicht versteuert wurden - »ein attraktives Geschäft«, so Gorriti. Er ist stolz darauf, dass die Recherchen seiner Reporterin so viel Wirbel verursacht haben, dass auch die internationale Presse berichtete.

Das Nachbarland beschwert sich

Obendrein haben die Chilenen sich offiziell beschwert, dass sich Peru nicht an internationale Absprachen halte. So werde hier das Sechsfache der international vereinbarten Fangquote an Makrelen aus dem Meer gezogen. Ein Vorwurf, den die Peruaner mit dem Verweis auf die großen Bestände in den eigenen Küstengewässern zu entkräften suchen. Doch in Chimbote winkt man nur ab. »Wir schlachten die Gans, die jahrelang goldene Eier legte«, warnt Gewerkschafter Castro. Der Endfünfziger ist regelmäßig an der Mole, wo die Kutter anlegen, schaut auf dem Fischmarkt vorbei und spricht mit den kleinen Fischern genauso wie mit dem Personal, das auf den größeren Fabrikschiffen schuftet. Das Grundproblem ist, dass die großen Schwärme an Anchovis und Makrele in der Nahrungskette eine so wichtige Funktion haben. Ohne sie gibt es auch die größeren Edelfische wie Thunfisch oder Barsch seltener. »Einzelne Edelfischarten müssen wir bereits in Chile einkaufen«, erklärt eine Verkäuferin auf dem Markt von Chimbote. Für eine Nation, deren Nationalgericht »Ceviche« ist - in Limonensaft marinierter roher Edelfisch, der mit gekochtem Mais und Süßkartoffel serviert wird - ein Desaster. Doch bisher hat die im Produktionsministerium angesiedelte Abteilung für Fischerei meist abgewiegelt, wenn es um die Überfischung und die Kontaminierung von Buchten wie die von Chimbote mit Abfällen aus der Fischerei, der Schwerindustrie und der Haushalte ging, beklagt Maria Elena Foronda. Die Direktorin der Nichtregierungsorganisation »Natura« begrüßt die Berichterstattung über die Überfischung in der Region. Diese habe Wirkung gezeigt, doch die Fischindustrie wisse, ihre Interessen nach wie vor durchzusetzen. Das zeigte der Streit über die Fangquote für Makrelen Ende April. Die wurde nach handfesten Protesten aus den Reihen der Fischindustrie von 8600 auf 14 000 Tonnen heraufgesetzt - gegen den Widerstand der Vizeministerin Patricia Majluf. Die gilt als ausgewiesene Expertin und musste sich dem Argument beugen, dass am Makrelenfang rund 10 000 Arbeitsplätze in Paita, hoch im Norden Perus, hängen. Anfang Mai zog die Ministerin, gerade erst zwei Monate im Amt, die Konsequenzen und trat zurück. In der Begründung kritisierte sie fragwürdige Personalentscheidungen, mangelnde Unterstützung und die wenig kohärente Fischereipolitik. Fabriken unterhalten viel zu große Fangflotten

Die Vorwürfe sind berechtigt, wie vor allem die kleinen Fischer in Chimbote betonen. »Es gibt kaum etwas zu holen. Die Fangflotten lassen kaum mehr etwas übrig. Angesichts der hohen Preise für Fischmehl werden auch andere Arten verarbeitet, die dann wiederum in der Nahrungskette fehlen«, klagt Salvador Viviano. Er ist mit seinen 58 Jahren einer der älteren Fischer am Steg und sieht kaum noch Perspektiven. »Die Fabriken unterhalten viel zu große Fangflotten, es wird zu wenig kontrolliert und ohne Rücksicht auf Verluste alles aus dem Meer gezogen, was schwimmt«, klagt er. Zwar sollen moderne satellitengestützte Kontrollverfahren genau das verhindern, aber die Fischer glauben nur, was sie sehen. Das sind immer öfter leere Netze und allein die Bestände der Makrele sind laut Recherchen von »IDL-Reporteros« in den letzten 20 Jahren um 90 Prozent eingebrochen. In Peru wird allerdings trotzdem weitergefischt - bis zur letzten Flosse?

* Aus: neues deutschland, Samstag 9. Juni 2012


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