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Fluch des Goldes

Peru: Illegaler Bergbau vergiftet Flüsse und Menschen. Kinderarbeit und Zwangsprostitution sind die Nebenprodukte

Von Anne Grit Bernhardt *

Eigentlich ist Madre de Dios, das südlichste Departement Perus, reiches Land. Große Teile der dünn besiedelten Region im Amazonasgebiet sind von dichtem Regenwald bedeckt. Dazu kommen die Bodenschätze. Die Flüsse und Böden des Waldes sind reich an wertvollen Metallen. Doch genau die werden dem Paradies zum Verhängnis. 16 bis 18 Tonnen Gold werden pro Jahr in Madre de Dios produziert – zu 99 Prozent auf illegale Weise. Damit einher geht eine enorme Umweltzerstörung, hauptsächlich verursacht durch den Einsatz von Quecksilber. Doch die Regierung in Lima hat endlich begonnen, den Sumpf aus vergifteten Flüssen, Kinderarbeit und Frauenhandel auszutrocknen.

In den 1980er Jahren begann der Ansturm auf Madre de Dios. Der Konflikt staatlicher Truppen mit linken Guerillas und die Armut in den Hochebenen der Anden vertrieben Tausende Menschen. In der Hoffnung auf Arbeit und Glück kamen immer mehr Arbeiter in die Regenwaldregion. Heute, so schätzt das peruanische Umweltministerium, gibt es mehr als dreißigtausend Minenarbeiter in Madre de Dios. Sie arbeiten unter prekären Bedingungen, meist ohne Schutzkleidung und Ausbildung, in den illegalen Minen. Weit verbreitet sind kleine und mittelgroße Schiffe, die die Flußsedimente aufsaugen und mit Quecksilber mischen. Innerhalb von zwölf Stunden können sie bis zu 480 Kubikmeter sedimenthaltiges Wasser aufsaugen, wobei die meisten Schiffe Tag und Nacht arbeiten. Dem Schlamm wird Quecksilber zugegeben, das mit Gold Amalgam bildet, welches sich am Gefäßgrund absetzt und dort abgetrennt werden kann. Die Legierung wird anschließend erhitzt, dabei verdampft ein Teil des Quecksilbers und vergiftet Luft und Arbeiter. Zurück bleibt das Rohgold. Ein anderer Teil des Quecksilbers gelangt in das Flußwasser, wo es – vor allem über Fische – auch in die menschliche Nahrungskette gelangt. Quecksilber ist toxisch, es schädigt das Nervensystem und kann sogar zum Tod führen. Zu den goldhaltigen Flüssen zählen Madre de Dios, Inambari, Colorado, Tambopata und Malinowski. Auch die Flüsse Jayave und Guacamayo gehörten dazu, wurden jedoch innerhalb von drei Jahren so sehr von den Goldsuchern umgewühlt und vergiftet, daß sie inzwischen als zerstört gelten. Auch Schiffsöl, Diesel und Benzin belasten die Gewässer.

An Land wird der Boden ebenfalls mit Baggern ausgehoben und mit Quecksilber versetzt, um an das wertvolle Metall zu kommen. Staatliche Regulierungen werden vollständig mißachtet, Umweltgesetze nicht eingehalten und Naturreservate in Mitleidenschaft gezogen. In den vergangenen zwanzig Jahren gelangten nach Schätzungen des Umweltministeriums drei Tausend Tonnen Quecksilber in die Flüsse des Amazonasregenwaldes. Für jedes Kilogramm Gold, das gewonnen wird, werden 2,8 Kilogramm Quecksilber verbraucht. Dies führt nicht nur zu schweren ökologischen Schäden, sondern auch zu sozialen. Vor allem die Ureinwohner des Waldes sind davon betroffen. Sie trinken das Wasser ungefiltert aus den Flüssen und ernähren sich überwiegend von Fisch. Eine Studie des peruanischen Umweltministeriums aus dem Jahr 2011 ergab, daß ein Indigener des Amazonaswaldes rund zwei Kilogramm Fisch pro Woche ißt und auf diese Weise 24 mal mehr Quecksilber zu sich nimmt, als den zulässigen Höchstwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen erklärte, daß die illegalen Minentätigkeiten weltweit die zweitgrößte Quelle für den Quecksilbergehalt in der Luft darstellen. So werden Mensch und Natur kontinuierlich vergiftet. 26 indigene Gemeinden leben im Departement auf einer Fläche von 450000 Hektar. Des weiteren existiert das Territorialreservat Madre de Dios für indigene Völker in freiwilliger Isolation. Der Fischkonsum im Amazonasgebiet ist einer der höchsten der Welt. Selbst die Stadtbewohner der Region konsumieren so viel belasteten Fisch, daß sie noch sechs bis zehnmal soviel Quecksilber zu sich nehmen, wie den von der WHO als unbedenklich eingestuften Grenzwert. Studien des peruanischen Gesundheitsministeriums zeigen, daß 94,12 Prozent der untersuchten Menschen erhöhte Quecksilberkonzentrationen im Urin aufwiesen. An Land geht die massive Umweltvernichtung weiter. Der abgelagerte Schlamm zerstört die Ufervegetation. Wald wird gerodet um Zufahrtswege und Minencamps zu bauen. Geschätzte 32000 Hektar wurden laut Umweltministerium seit den 1980er Jahren zerstört.

Jahrzehntelang schaute die peruanische Regierung dabei tatenlos zu, wie mafiöse Gruppen nach und nach die Region übernahmen und den Goldabbau verstärkten. Erst im Jahr 2010 erklärte sie in einem Dekret die Kontrolle der Minen in Madre de Dios zum nationalen Interesse. Dazu geführt haben unter anderem zahlreiche Skandale über Kinderarbeit und Frauenhandel in der Region. Unzählige illegale Bordelle befinden sich in unmittelbarer Nähe zu den Minencamps, wo minderjährige Mädchen zur Prostitution gezwungen werden. Jedes Jahr werden Hunderte durch falsche Stellenanzeigen aus allen Ecken des Landes nach Madre de Dios gelockt. Kellnerin oder Dienstmädchen wollen sie werden, schließlich enden sie in den Prostibars. Mit viel Glück werden sie von der Polizei befreit, die bis zum Mai dieses Jahres bereits 35 minderjährige Mädchen fand. Doch die Sicherheitskräfte sind überfordert, zu gut vernetzt sind die Frauenhändler und Bordellbetreiber, bis in höhere Kreise reichen ihre Kontakte. Auch die Jungen werden ausgebeutet. Für einen schlechten Lohn übernehmen sie die gefährlichste Arbeit in den Minen: Das Mischen der Sedimente mit Quecksilber. Die hygienischen Zustände in den Minencamps sind katastrophal. Temporäre Zelte aus Plastikplanen sowie das Fehlen von Toilettenanlagen und Trinkwasser sorgen dafür, daß sich Krankheiten im tropischen Klima besonders schnell ausbreiten.

Weite Teile von Madre de Dios sind so über die Jahre unregierbar geworden. Doch es besteht Hoffnung. Der aktuelle peruanische Präsident Ollanta Humala versprach, mit harter Hand die staatliche Kontrolle zurückzugewinnen. Im März 2012 erließ die Regierung ein Dekret, das eine Erhöhung der Strafen für illegale Bergbauaktivitäten vorsah. Die Realisierung und Finanzierung von Minen ohne staatliche Lizenz kann nun mit bis zu zwölf Jahren Haft geahndet werden. Dagegen protestierten die Minenarbeiter. Für mehrere Tage nahmen sie Teile der Provinzhauptstadt Puerto Maldonado ein. Erst ein harter Polizeieinsatz drängte sie zurück. Drei Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. Inzwischen hat die Regierung ein Programm ins Leben gerufen, das illegale Minenaktivitäten legalisieren soll. Dabei sollen bestimmte Regenwaldgebiete unter Schutz gestellt und von den Bergbauaktivitäten ausgenommen werden. Bereits beeinträchtigte Gebiete mit hoher Biodiversität sollen wieder aufgeforstet und entgiftet werden. Zunehmende Kontrollen und Polizeioperationen in der Region zeigen, daß es die Regierung diesmal ernst meint. Gleichzeitig soll der Tourismus gefördert werden. Er ist offiziell die Haupteinnahmequelle von Madre de Dios. An dem Goldabbau verdient die Region wenig. Der Staat schätzt, daß ihm durch die illegalen Minentätigkeiten jährlich bis zu 200 Millionen Soles (62 Millionen Euro) an Steuergeldern verloren gehen. Auch das ist eine Motivation, die Gesetze in Madre de Dios durchzusetzen. Die ersten Schritte dazu sind getan.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Juli 2013


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