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"Söldner der Reichen"

Linksbündnis zwingt peruanisches Regierungskabinett zum Rücktritt

Von Benjamin Beutler *

Perus neoliberaler Präsident Alan Gabriel Ludwig García steht mit dem Rücken zur Wand. »Ende der Woche werden wir ein neues Kabinett haben, also auch einen neuen Premier«, gab das wackelnde Staatsoberhaupt am Mittwoch den »endgültigen Rücktritt« seines Ministerpräsidenten Yehude Simon bekannt. Der Parteilose Simon war neben García als oberster Befehlshaber der Streitkräfte und Innenministerin Mercedes Cabanillas als Polizeichefin Hauptverantwortlicher für das »Massaker von Bagua« vor einem Monat. Armee und Sonderkommandos der Polizei hatten damals eine Straßenblockade oppositioneller Amazonas-Indigener gewaltsam aufgelöst, es gab 34 Tote. Seitdem reißen die Proteste gegen García und dessen Regierungspartei »Revolutionäre Volksallianz Amerikas« (APRA) nicht ab.

In Peru muß bei Demission des Premiers das gesamte Kabinett abdanken. Der Rücktritt ist ein eindeutiger Erfolg der jüngsten Protestwelle, die diese Woche über das Andenland rollt. Denn trotz der übermächtigen Präsenz von Militär und Polizei – in ganz Peru waren 41 000 Uniformierte im Einsatz – ließen sich Hunderttausende Regierungsgegner nicht einschüchtern. In Streiks von Lehrern und Transportunternehmern und zeitgleichen Demonstrationen gaben Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Linksparteien wie die größte Oppositionsfraktion »Peruanische Nationalpartei« (PNP) ihren Forderungen nach einem Politikwechsel lautstarken Ausdruck: Rücknahme des Freihandelsvertrages mit den USA, neue Wahlen, eine verfassungsgebende Versammlung und eine unabhängige Untersuchung des »Massakers von Bagua«.

Der »andine und amazonische Streik« war bis auf die Hauptstadt Lima überall zu spüren, auch wenn die Regierung im Einklang mit den konservativen Massenmedien ein »totales Scheitern« der Proteste sah. In mehreren Landesteilen kam es zu Blockaden von Straßen wie der berühmten »Panamericana« von Alaska nach Feuerland und einigen Flughäfen. Die Touristenstadt Cusco im Süden und die Andenstadt Puno am Titicaca-See waren lahmgelegt, der Flugverkehr nach Bolivien mußte zeitweilig eingestellt werden. In Lima gab die Regierung darum Eisenbahnen für den Nahverkehr frei, die sonst für den Bergbau reserviert sind, und erließ eilig ein Gesetz, welches Streikbrechern im öffentlichen Dienst eine Extrazahlung von sieben US-Dollar gewährt. Bei einer Demonstration in Lima forderten mehrere tausend Menschen den Rücktritt von García, den sie als »Söldner der Reichen« beschimpften.

Über ein Drittel der Peruaner sind arm und müssen mit weniger als einem Dollar am Tag leben. Auch die Weltwirtschaftskrise ist immer mehr spürbar, die Wirtschaftsleistung sank im April 2009 um 2,1 Prozent. Umfragen sehen die Beliebtheit des Präsidenten darum im freien Fall (25 Prozent Zustimmung). Gegen das wachsende Mißtrauen der Bevölkerung will der seine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik weiterführen. »Wir haben allen Grund zum Optimismus, wir werden uns doch nicht von irgendwelchen Alltagsproblemen aus der Ruhe bringen lassen«, so García.

* Aus: junge Welt, 10. Juli 2009

Letzte Meldung

Neuer Regierungschef in Peru ernannt

Gut einen Monat nach den blutigen Unruhen von Ureinwohnern in Peru hat Präsident Alan García einen neuen Regierungschef vereidigt. García nahm in Lima dem bisherigen Parlamentspräsidenten Javier Verlásquez Quesquén den Amtseid ab und ernannte sieben neue Minister. Velásquez' Vorgänger Yehude Simon war wegen der Unruhen Anfang Juni mit mindestens 34 Todesopfern zurückgetreten.

"Jetzt erwartet das Land Ordnung und soziale Einbindung und ich bin überzeugt, dass das Kabinett von Verlásquez Quesquén diese Ziele erfüllen wird und dem Land Vertrauen und Optimismus zurückgibt", sagte García unmittelbar vor der Vereidigungszeremonie. Velásquez, der bereits mehrere Funktionen in Garcías APRA-Partei, aber nie einen Ministerposten innehatte, solle die Arbeit der zwei Vorgänger-Regierungen fortsetzen. Priorität müsse die Bekämpfung der Armut sein, die in Peru noch gut ein Drittel der Bevölkerung betrifft. García besetzte insgesamt sieben der 16 Ministerposten neu.

Die Opposition übte Kritik an dem neuen Regierungschef: Velásquez stehe nicht für eine Abkehr von der liberalen Wirtschaftspolitik, "den das Land braucht", sagte der linksgerichtete Abgeordnete Freddy Otarola.

Velásquez' Vorgänger Simon hatte mit seinem Rücktritt die Konsequenzen aus den schwersten Unruhen in Peru seit fast 20 Jahren gezogen. Bei Protesten gegen umstrittene Dekrete der Regierung zur Ressourcen-Nutzung im Amazonas-Regenwald waren Anfang Juni nach offiziellen Angaben im Norden des Landes mindestens 34 Menschen - 25 Polizisten und neun Ureinwohner - ums Leben gekommen.

Velásquez ist der dritte peruanische Ministerpräsident innerhalb von drei Jahren. García hatte vergangenes Jahr den linksgerichteten Simon zum Ministerpräsidenten gemacht, um seiner liberalen Wirtschaftspolitik ein "soziales Gesicht" zu geben. Dass der Staatschef nun seinen loyalen Gefolgsmann und Parteifreund Velásquez zum Regierungschef machte, deutet darauf hin, dass er die Regierung bis zum Ende seiner Amtszeit 2011 stärker kontrollieren will. García hat seit Jahren mit schlechten Umfragewerten zu kämpfen. Wegen des wirtschaftlichen Abschwungs und sozialer Konflikte im Land sind 67 Prozent der Bevölkerung gegen den Präsidenten.

Nachrichtenagentur AFP, 12. Juli 2009




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