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Nach dem Staatsstreich

In Paraguay wird mit weiteren Demonstrationen gerechnet

Von Johannes Wilm, Asunción *

Auch drei Tage nach dem kalten Putsch war die Situation in Paraguay am Sonntag chaotisch. Am Freitag hatte der gestürzte Präsident Fernando Lugo erklärt, daß er das Amtsenthebungsverfahren als Staatsstreich betrachte. Carlos Filizzola, einer der vier Senatoren, die gegen die Entmachtung stimmten, erklärte am Sonntag auf einer Kundgebung in Asunción, daß Lugo weiterhin rechtmäßiger Präsident des Landes sei. Auf die Frage der Demonstranten, warum Lugo den kalten Putsch vor zwei Tagen akzeptiert habe, erklärte Filizzola, daß dies die einzige Möglichkeit gewesen sei, ein Blutbad zu vermeiden. Die Kundgebung wurde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen TV Pública direkt übertragen. Wie lange die Journalisten des Kanals ihren unabhängigen Kurs beibehalten können, ist unklar, auch wenn die Unterstützer Lugos am Sonntag durchsetzen konnten, daß das Programm nach mehreren Stunden Unterbrechung wieder auf die Bildschirme zurückkehren konnte. De-Facto-Präsident Federico Franco hat bereits einen neuen Sendechef für den Kanal eingesetzt.

Unterdessen zeigten sich die Demonstranten überzeugt, daß die Proteste in der Hauptstadt in den nächsten Tagen an Stärke zunehmen werden. Die wichtigsten Unterstützer Fernando Lugos, die aus der armen Landbevölkerung stammen, hätten sich auf den Weg nach Asunción gemacht. Gerechnet wird mit bis zu 10000 Menschen.

Mitarbeiter der bisherigen Regierung gehen zudem davon aus, daß die Auswirkungen durch den Machtwechsel zunächst gering sein werden. Alejandro Méndez Mazo, der als Direktor im Ministerium für Kultur und Bildung arbeitet und Mitglied der kleineren Linkspartei »Bewegung 20. April« ist, sagte: »Die neue Regierung hat nur wenige Monate bis zur Wahl im nächsten Jahr, die Zeit reicht nicht aus, um größere Änderungen herbei zu führen.«

Die neue Führung ist außenpolitisch isoliert. Am Sonntag griff der zum Außenminister ernannte José Fernández das Regionalbündnis UNASUR massiv an. Die Union Südamerikanischer Nationen habe keine juristische Autorität, um bei einer für Mittwoch in Perus Hauptstadt Lima anberaumten Sondersitzung über die Rechtmäßigkeit der Absetzung Lugos zu befinden und Gegenmaßnahmen gegen die neuen Machthaber einzuleiten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Juni 2012


Freunde der Putschisten

Linke kritisiert FDP-Unterstützung für institutionellen Staatsstreich in Paraguay. Proteste gegen neues Regime halten an

Von André Scheer **


Wieder stellen sich FDP-Politiker hinter lateinamerikanische Putschisten. War es im Fall des Staatsstreichs gegen den honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya 2009 vor allem die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung, preschte am Wochenende Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel bei einem Besuch in Paraguay vor und lobte den Sturz des demokratisch gewählten Staatschefs Fernando Lugo. Zudem traf er sich am Samstag mit dem nach dem Sturz Lugos eingesetzten De-Facto-Staatschef Federico Franco. »Mein erster Eindruck ist, daß der Amtswechsel nach den Regeln der Verfassung abgelaufen ist«, wird Niebel auf der Homepage seines Ministeriums zitiert. Weiter behauptet er: »Auch Fernando Lugo hat das Ergebnis faktisch anerkannt.« Dieser hatte jedoch schon unmittelbar nach seinem Sturz am Freitag erklärt: »Heute wurde nicht Fernando Lugo abgesetzt. Es ist die paraguayische Geschichte, seine Demokratie, die schwer verletzt wurden, weil sie (die Putschisten) feige alle Prinzipien der Verteidigung verletzt haben.« Am Wochenende schloß er sich den Protesten an und kündigte an, alle gewaltfreien Aktionen für die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung zu unterstützen.

Es sei »bezeichnend für das Demokratieverständnis von Minister Niebel«, daß er den »institutionellen Staatsstreich« in Paraguay »als erster europäischer Minister gutheißt und dadurch die Interessen der Großgrundbesitzer des südamerikanischen Landes schützen hilft«, kritisierte die Linke-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel das Vorgehen des FDP-Politikers. In einer am Wochenende einstimmig verabschiedeten Erklärung stellte sich auch der Linke-Parteivorstand hinter Lugo und forderte die Bundesregierung auf, das neue Regime nicht anzuerkennen: »Paraguay darf nicht in die Zeiten der brutalen Diktatur Stroess­ner zurückfallen.«

Am Montag bemühte sich die Bundesregierung, die Äußerungen Niebels zu relativieren. Niebel habe seine Äußerung mit den Worten »erster Eindruck« zutreffend eingeschränkt, erklärte Außenamtssprecher Andreas Peschke einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP zufolge.

Praktisch einstimmig haben auch die Nachbarländer Paraguays den Staatsstreich verurteilt und ihre Botschafter aus dem Land abgezogen. Sogar die rechtsgerichteten Regierungen Kolumbiens und Chiles verurteilten den Verfassungsbruch in Asunción und rief ihre Vertreter zu Beratungen zurück. Demonstrativ haben die Staatschefs des südamerikanischen Wirtschaftsblocks Mercosur Paraguays Mitgliedschaft suspendiert und nicht etwa den als neuen Staatschef eingesetzten Federico Franco, sondern Lugo zu ihrem Gipfeltreffen in dieser Woche im argentinischen Mendoza eingeladen.

Venezuelas Regierung kündigte an, die Erdöllieferungen an Paraguay einzustellen. Das könne zu Treibstoffknappheit in dem Binnenland führen, warnte Alberto Grillón, ein Senator der Partei Solidarisches Land. Entgegen anderslautender Behauptungen des neuen Regimes verfüge Paraguay nur über sehr begrenzte Ölreserven.

Weil es die Demonstrationen für Lugo live übertragen hatte, ließen die neuen Machthaber am Samstag abend (Ortszeit) die Einrichtungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Paraguays, Canal 2, besetzen und unterbrachen für mehrere Stunden das Signal. Daraufhin versammelten sich Tausende vor den Studios und protestierten, bis die Übertragungen wieder aufgenommen wurden. Seither kommen über dieses Programm die Putschgegner zu Wort. Die Leitung des Kanals unterstrich, man erkenne die neue Regierung nicht an und unterstütze weiter Lugo. Über das »Offene Mikrofon«, einer seit wenigen Monaten existierenden Sendung des Kanals, erklärte der frühere Innenminister Carlos Filizzola, Lugo bleibe rechtmäßiger Präsident des Landes. Er spreche auch für seine Ministerkollegen, mit denen er sich am Montag zu einer Kabinettssitzung versammeln wollte, um »verschiedene Fronten« im Kampf gegen die Putschisten zu eröffnen, so eine Klage vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Lugo war Ende vergangener Woche in einem insgesamt nur 30 Stunden dauernden Amtsenthebungsverfahren von beiden Kammern des paraguayischen Parlaments für abgesetzt erklärt worden. Gelegenheit, sich gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen, wurde ihm praktisch nicht gegeben. Ausschlaggebend für den Sturz des 2008 gewählten Präsidenten war, daß sich die liberale PLRA offen auf die Seite der Regierungsgegner schlug. »Präsident Lugo kann im Parlament nur auf die Unterstützung der Cogoyal-Partei und der Bewegung zum Sozialismus zählen, alle anderen Kräfte gehören zur politischen Opposition, die keinerlei Wandel zulassen will«, hatte der Journalist Joel Cazal schon Ende 2009 dem lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur gesagt. Bereits damals hatten Putschgerüchte die Runde gemacht, woraufhin Lugo das Oberkommando der Streitkräfte ausgewechselt hatte. Mehr als einen Zeitgewinn hat ihm das offenbar nicht gebracht.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Juni 2012


Gericht brüskiert Lugo

Spruch gegen Paraguays abgesetzten Präsidenten ***

In Paraguay hat der Oberste Gerichtshof die Verfassungsbeschwerde des abgesetzten Präsidenten Fernando Lugo abgelehnt.

Lugo hatte beklagt, zu wenig Vorbereitungszeit für die Verteidigung in seinem Amtsenthebungsverfahren bekommen zu haben. Die Richter sahen in dem schnellen Vorgehen des Kongresses gegen Lugo jedoch keinen Verstoß gegen die Verfassung, berichtete die Zeitung »ABC Color«. Lugo kündigte an, er werde bei nationalen und internationalen Gerichten in Berufung gehen. Zugleich lehnte Paraguays Oberster Wahlgerichtshof vorgezogene Neuwahlen ab. Der Amtswechsel sei verfassungskonform verlaufen und Federico Franco »der legitime Präsident«, der sein Mandat bis zum August 2013 erfüllen muss, erklärten die Richter.

Lugo war vom Kongress in nur zwei Tagen am Freitag des Amtes enthoben worden. Beide paraguayische Kammern hatten ihn mit großer Mehrheit für den Tod von mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen von Landbesetzern und Polizisten politisch verantwortlich gemacht. Lugo hatte die Entscheidung angenommen, sie aber als »Staatsstreich im Expressverfahren« bezeichnet.

Die Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) will am Freitag auf einem Sondergipfel im argentinischen Mendoza eine gemeinsame Haltung zur »heiklen« Lage in Paraguay nach der Absetzung Präsident Lugos abstimmen.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 27. Juni 2012


Fragiles Bündnis

Paraguays gestürzter Präsident Fernando Lugo mußte gegen das Parlament um soziale Reformen kämpfen

Von Johannes Wilm, Asunción und Michael Böhner ****


In Paraguay hat der gestürzte Präsident Fernando Lugo am Montag im Gebäude der Partei País Solidario (PPS) mit einigen seiner Minister ein »Kabinett zur Rückgewinnung der Demokratie« gebildet. An diesem Gremium beteiligen sich neben Lugo die bisherige Gesundheitsministerin Esperanza Martínez, Außenminister Jorge Lara Castro, Regierungsminister Miguel Angel López Perito und Informationsminister Augusto Dos Santos. Lugo erklärte, gemeinsam mit seinen Mitstreitern die Rolle von »beobachtenden Staatsanwälten« einnehmen zu wollen und wies darauf hin, daß die Verfassung des Landes ein gewaltfreies Widerstandsrecht des Volkes vorsehe.

Der Oberste Gerichtshof Paraguays hat indessen eine Verfassungsbeschwerde des abgesetzten Präsidenten zurückgewiesen. Lugo hatte beklagt, im Amtsenthebungsverfahren zu wenig Vorbereitungszeit für die Verteidigung bekommen zu haben. Die Richter sahen in dem schnellen Vorgehen des Kongresses jedoch keinen Verstoß gegen die Verfassung, berichtete die Tageszeitung ABC Color. Lugo kündigte an, er werde bei nationalen und internationalen Gerichten in Berufung gehen. Der Oberste Wahlgerichtshof seinerseits lehnte vorgezogene Neuwahlen ab. Der Amtswechsel sei »verfassungskonform« verlaufen und Federico Franco »der legitime Präsident«, der sein Mandat bis zum August 2013 erfüllen müsse, hieß es.

Lugo war es im August 2008 gelungen, mit einem fragilen Bündnis aus liberalen und linken Parteien die zuvor mehr als 60 Jahre lang regierende Colorado-Partei abzulösen, die mit einer offenen oder verdeckten Militärdiktatur die Aufrechterhaltung der Privilegien der auf Agrarexport orientierten Eliten garantiert hatte. Die Möglichkeiten der neuen Regierung waren jedoch von Beginn an begrenzt. Die einfache Mehrheit von 40 Prozent der Stimmen, mit denen Lugo gewählt wurde, reichte für das Präsidentenamt, nicht jedoch für eine Mehrheit in den beiden Kammern des Parlaments. Zudem traf der Beginn der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise kaum vier Wochen nach Lugos Amtseinführung das Land hart. Die für die paraguayische Wirtschaft entscheidenden Exporte gingen um 32 Prozent zurück. 40 Prozent der Bevölkerung leben mit Einkünften unterhalb der Armutsgrenze, ein Fünftel der Paraguayer in bitterster Armut.

Unter diesen Bedingungen verfehlte die Regierungsallianz ihr Ziel, die Wirtschaft in einer Weise wiederzubeleben, die der großen Mehrheit der Bevölkerung zugute kommen sollte. Immerhin gelang es, einige Sozialprogramme für die ärmsten Schichten der Bevölkerung durchzusetzen. Als größter Erfolg dürfte dabei die Gesundheitsreform zu werten sein: Die gesamte medizinische Betreuung ist mittlerweile kostenlos. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel gewann Lugo durch eine Neuverhandlung der Verträge über die binationalen Wasserkraftwerke Itaipu (mit Brasilien) und Yacyreta (mit Argentien). Allein aus Brasilien stiegen die Einnahmen aus den Stromerlösen danach auf 360 Millionen US-Dollar – bei einem Staatshaushalt von insgesamt gut 2,8 Milliarden Dollar eine erhebliche Größenordnung.

In Ansätzen steckengeblieben ist die angestrebte Agrarreform. Bisher gehören zehn Prozent der Bevölkerung zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Zwar kann heute jeder Großgrundbesitz, der nicht zu mindestens 30 Prozent landwirtschaftlich genutzt wird, enteignet werden. Trotzdem ist immer noch etwa ein Drittel der ländlichen Bevölkerung ohne Land. Immerhin wurden über zehntausend Familien Flächen zugesprochen. Und das Koordinierungsamt für die Durchführung der Agrarreform (CEPRA) ging gerichtlich gegen die unrechtmäßige Vergabe von sieben Millionen Hektar Land durch die Vorgängerregierung vor. Allerdings erstreckte sich der Zeitplan für die Reform bis 2023. Kritiker wie Jorge Galeano von der Bauernorganisation Movimiento Agrario Popular beklagen zudem, daß im Landwirtschaftsministerium zunehmend die großen Sojaproduzenten das Sagen haben.

Nach dem Sturz des Präsidenten finden in Asunción praktisch täglich Demonstrationen gegen den Putsch statt, deren Teilnehmerzahlen zwischen hundert und mehreren tausend schwanken. Ausgangspunkt der Proteste sind vor allem die Avenida Alberdi, eine der zentralen Verkehrsachsen der Hauptstadt, und der Platz vor dem Gebäude des öffentlichen Fernsehens TV Pública. Nachdem dessen »Offenes Mikrofon« am Wochenende zu einer Stimme des Widerstandes geworden war, gibt es seit Montag ein zweites »Mikrofon« an der Plaza de las Armas, über das die Putschbefürworter zu Wort kommen. Dort versammelten sich nicht ganz 200 Menschen. Die Beiträge von beiden Mikrofonen wurden im Fernsehen übertragen.

**** Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. Juni 2012


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