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Verscharrt auf Polizeigelände

Paraguay: Fund bestätigt Massenmord durch die Stroessner-Diktatur

Von Natalia Ruiz Díaz (IPS), Asunción *

Zwanzig Jahre nach dem Ende der Stroessner-Diktatur wurde in Paraguay das erste geheime Grab mit Überresten von mindestens zwei Regimekritikern gefunden. Die Knochenreste waren am 23. Juli auf dem Grundstück einer Sondereinsatzstelle der Polizei im Hauptstadtviertel Bañado Tacumbú geborgen worden. Auf die Spur des Geheimgrabs hatte die Ermittler ein ehemaliges Mitglied der Sicherheitspolizei gebracht.

Menschenrechtler und Opferverbände feiern die Entdeckung als entscheidenden Schritt, um das ganze Ausmaß der während der Diktatur (1954--1989) begangenen Verbrechen zu dokumentieren. Bisher hatte sich diesbezüglich wenig getan. Der juristische Apparat zeigte kaum Interesse an einer Aufarbeitung. 1990 gab es genau einen Richter, der nicht Mitglied von Stroess­ners Colorado-Partei war. Zwischen 1989 und 2006 wurden bei paraguayischen Gerichten zwar 3583 Klagen gegen Menschenrechtsverbrechen eingereicht, doch es kam nur zu einigen wenigen Urteilen gegen Polizeibeamte. Massenmorde wurden im offiziellen Diskurs stets geleugnet.

Die Dimensionen der Verbrechen kamen erst zutage, als im August des vergangenen Jahres der Bericht einer 2003 einberufenen »Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit« vorgelegt wurde. Demnach »verschwanden« während der Diktatur und in den 15 Jahren der Übergangszeit 336 Menschen. 20 000 wurden willkürlich festgenommen, 18 000 gefoltert und mindestens 59 hingerichtet.

Die aktuelle Entdeckung der Skelette beweist die Verbrechen. »Der Fund straft die Anhänger von Alfredo Stroessner Lügen, die die Entführung und Ermordung von politischen Gegnern stets geleugnet haben«, sagte Antonio Palazón, Vorsitzender des »Ethiktribunals gegen die Straflosigkeit«. »Das ist der Friedhof, von dem wir während unserer Gefangenschaft gehört hatten«, meint Guillermina Kanonnikoff, die früher zur bewaffneten Widerstandsgruppe »Organisation 1. März« gehörte und 1976 gemeinsam mit ihrem Mann Mario Schaerer Prono festgenommen und gefoltert wurde. Ihr Mann kam damals ums Leben.

Heute ist Kanonnikoff Klägerin im »Fall Schaerer Prono gegen Sabino Augusto Montanaro«, Stroessners Innenminister der Jahre 1966 bis 1989. Er war im Mai überraschend aus seinem Exil in Honduras zurückkehrt. Insgesamt hat sich der unter Hausarrest stehende Montanaro sieben Gerichtsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stellen. Ein medizinisches Gutachten muß jedoch zunächst klären, ob er gesundheitlich zu einer mündlichen Aussage in der Lage ist.

Für das Verbrechen an Schaerer Prono wurden der inzwischen verstorbene Chef der damals berüchtigten polizeilichen Ermittlungsabteilung, Pastor Coronel, und dessen Helfershelfer Lucilo Benítez, Juan Martínez und Camilo Almada Morel zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die Opfer waren ermordet und »anschließend auf dem Grundstück der Sicherheitspolizei vergraben« worden, berichtete Palazón. Weil die Leichen in Plastiksäcken verschnürt wurden, habe man sie »Pakete« genannt und meist im Morgengrauen verscharrt. Dann wurden die Gräber bepflanzt. Kanonnikoff vermutet, daß es sich bei einem der beiden exhumierten Opfer um den Argentinier Oscar Luis Rojas handelt. Dieser war im Rahmen der länderübergreifenden Zusammenarbeit südamerikanischer Geheimdienste in den 70er und 80er Jahren (Plan Kondor) in Paraguay festgenommen worden. Er saß damals mit der Widerstandskämpferin im selben Folterzentrum.

* Aus: junge Welt, 4. August 2009


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