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"Alle Schichten sollen an der Regierung teilhaben"

Bischof Fernando Lugo ist Favorit bei den Wahlen in Paraguay

Fernando Lugo (56) liegt in sämtlichen Umfragen für die paraguayische Präsidentenwahl am kommenden Sonntag (20. April) vorn. Sein Einsatz für Kleinbauern und Landlose brachte dem Bischof Morddrohungen ein. 2004 ließ er sich vom Vatikan als Bischof in den Ruhestand versetzen. Seit zwei Jahren führt er eine breite Bürgerbewegung an, die die 61-jährige Herrschaft der Colorado-Partei beenden möchte. Mit Lugo sprach in Asunción für das "Neue Deutschland" Gerhard Dilger.



Neues Deutschland: Monseñor, wie wird aus einem Bischof ein Präsidentschaftskandidat?

Fernando Lugo: In San Pedro, der ärmsten Region Paraguays, waren wir seelsorgerisch und sozial aktiv, wir haben wirtschaftliche Forderungen gestellt. Doch wir haben gesehen, dass all das nicht reicht. Wir glauben, Politik ist ein wichtiges Werkzeug für den wirklichen Wandel. Als ich als bereits emeritierter Bischof eine Schule leitete, haben mich über 100 000 Bürger mit ihrer Unterschrift gebeten, mein Priesteramt aufzugeben und eine breite, offene Bewegung für den Wandel anzuführen. Ich habe das abgewogen. Weihnachten 2006 blieb mir nichts anderes mehr übrig, als mich zur Verfügung zu stellen. Dann gründeten wir das Patriotische Bündnis für den Wandel, das neun politische Parteien und 20 soziale, gewerkschaftliche, Frauen-, Indianer- und Bauernorganisationen umfasst.

Sie sind dafür vom Vatikan kritisiert worden…

Der Vatikan hat schlüssig reagiert, denn es gab noch keinen solchen Fall. Er konnte keinen Präzedenzfall schaffen, das verstehe ich sehr gut. Ich bin wegen meiner politischen Tätigkeiten von den Priesterpflichten entbunden, darum hatte ich gebeten

Welche Aspekte der Befreiungstheologie sind in Ihr politisches Projekt eingeflossen?

Vor allem die Partizipation. In Ecuador, wo ich fünf Jahre als Missionar tätig war, hatte ich den ersten Kontakt mit der Befreiungstheologie, mit Bischof Leonidas Proaño. Sie hat mir die Augen geöffnet, diese neue Erfahrung. Die Befreiungstheologie räumt den Laien einen großen Raum ein. An unserer Regierung sollen sich alle Bevölkerungsschichten beteiligen.

Was sind die zentralen Punkte Ihres Regierungsprogramms?

Wohnungsbau, die Landreform, die nie richtig umgesetzt wurde, die Einführung eines universalen Gesundheitssystems, eine Bildungsreform und schließlich der Bau von Verkehrswegen, das sind die fünf großen Achsen.

Kann sich Paraguay überhaupt von den Sojaexporten abwenden, die den Kleinbauern so viel Elend bringen?

Das Sojaprogramm ist für die Regierung wichtig, weil es den größten Posten bei den Deviseneinkünften ausmacht. Aber es darf nicht das einzige Modell sein. Wir glauben, dass es nicht unvereinbar mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ist.

Wie wollen Sie verhindern, dass es zu einem Wahlbetrug kommt?

In der Geschichte Paraguays gab es kaum saubere Wahlen. Es gibt sehr viel Misstrauen gegenüber dem Obersten Wahlgericht. Doch wir haben ein Kontrollsystem aufgebaut, das bisher ziemlich gut funktioniert, so dass der 20. April ein großer Tag der Bürgerrechte werden kann.

Besteht nach einem Wahlsieg die Gefahr, dass sich wie in Bolivien mächtige Gruppen dem sozialen Fortschritt entgegenstellen, den Sie sich vorgenommen haben?

Unsere Programme sind nicht radikal, sie sind rational. Wir arbeiten an einem gesunden Pluralismus innerhalb der Kräfte, die unser Bündnis ausmachen. Die Prinzipien eines gesunden Nationalstolzes, einer Reaktivierung der Wirtschaft mit sozialer Ausrichtung werden sich durchsetzen und die Regierbarkeit erleichtern.

Wie beurteilen Sie den regionalen Kontext dafür?

Er ist ziemlich günstig. Paraguay muss auch in die Dynamik echter Veränderungen einsteigen. Brasilien, Argentinien und Uruguay müssen an der Stärkung der Demokratie interessiert sein. Wir kommen ja alle aus eisernen Diktaturen der 60er, 70er und 80er Jahre, Paraguay hat sie zuletzt hinter sich gelassen. Das Erbe ist Angst und Scheu vor der Bürgerbeteiligung, doch jetzt sind wir dabei, dies zu überwinden.

Was ist Ihre wichtigste Forderung an Brasilien?

Es geht um das Wasserkraftwerk Itaipú. In einer Note aus dem Jahr 1966 ist explizit von einem »gerechten Preis« für die Energie die Rede, die ein Land dem anderen verkauft. Der Preis, den Brasilien derzeit bezahlt, deckt gerade die Kosten. Wir möchten, dass dafür Marktpreise gezahlt werden. Wenn uns das gelingt, wird das unsere Wirtschaft erheblich ändern. Paraguay kann nicht nur ein Land der Landwirtschaft, der Rinderzucht sein, wir müssen uns in ein Land der Wasserenergie, ein Industrieland verwandeln.

Glauben Sie, Präsident Lula wird Ihnen entgegenkommen?

Ich denke schon. Lula selbst hat ja gesagt, dass Brasilien sein Wirtschaftswachstum nicht auf Kosten der Armut seiner Nachbarn planen kann. Wir bewundern die brasilianischen Sozialprogramme. Paraguay hat diesbezüglich ein großes Defizit. Das Geld von Itaipú kann uns das lindern helfen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. April 2008


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