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Landkrieg in Paraguay

Mindestens 16 Tote bei Polizeiaktion gegen Bauernbewegung

Von Benjamin Beutler *

Der seit Jahrzehnten in Paraguay schwelende Konflikt um Landbesitz hat am Freitag zum wohl schwersten Massaker in der jüngsten Geschichte des landwirtschaftlich geprägten Staates in Südamerika geführt. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Sondereinheiten der Polizei und landlosen Bauern sind im Departamento Canindeyú laut Angaben des Innenministeriums mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen. Neun der Todesopfer wurden offiziellen Angaben zufolge als Mitglieder der Landlosenbewegung »Nationale Liga der Zeltbewohner« identifiziert. Sieben der allesamt durch Schußwaffen getöteten Männer, darunter auch der Kommandeur der Spezialeinheiten, seien Polizisten. Zudem habe es Hunderte Verletzte gegeben. Noch am Sonnabend suchten Anwohner und Polizei den Tatort nahe der brasilianischen Grenze nach Toten ab. Dabei seien in einem Abstand von zehn Metern weitere zwei erschossene Bauern entdeckt worden.

Am Freitag morgen war ein über 200 Mann starkes Spezialkommando in Ybyrá Pytá eingerückt, einem abgelegenen Distrikt, 380 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Asuncíon. Ihr Auftrag war die richterlich angeordnete Räumung von privatem Landbesitz, der seit Wochen von über 100 Bauernfamilien besetzt gehalten worden war. Sie erkennen den Privatbesitz nicht an, das unrechtmäßig erworbene Land sei Staatseigentum. Nach ersten Versuchen des Dialoges zwischen Polizei und Bauern sei die Lage schließlich eskaliert. Medienberichten zufolge seien die Besetzer mit Pistolen und Sturmgewehren bewaffnet gewesen.

»Die Gewalt auf dem Land ist Ergebnis der ungleichen Bodenverteilung«, kommentierte dies der Politik­analyst Alfredo Boccia. Tatsächlich ist der Grundbesitzer Blas Riquelme, der die Polizei angefordert hatte, in Paraguay kein Unbekannter. Der konservative Exsenator der Partido Colorado und ehemalige Chef von Paraguays Handelskammer profitierte von Landgeschenken des damaligen Diktators Alfredo Stroessner. Durch sie kam eine kleinen Clique von Großbauern wie Riquelme in den Besitz von rund 20 Prozent der fruchtbarsten Ländereien. Der Antikommunist Stroessner hatte mit Unterstützung des Westens das Sechs-Millionen-Einwohnerland von 1954 bis 1989 beherrscht. Die Loyalität der europäisch stämmigen Elite erkaufte sich dessen Familien­imperium durch großzügige Landgeschenke, auch an unzählige aus Deutschland geflüchtete Altnazis. Von rund 40 Millionen Hektar Land, so ein 2008 veröffentlichter Bericht der Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Diktatur, wurden fast 6,75 Millionen Hektar Land unter der Hand verteilt.

Nach dem Sturz Stroessners durch machbewußte Wegbegleiter, unter ihnen Riquelme, und einer folgenden 15jährigen Alleinherrschaft der Klientelpartei Partido Colorado wanderten nochmals riesige Ländereien in die Hände von Großgrundbesitzern. Allein eine Million Hektar riß sich »Sojakönig« Tranquilo Favero unter den Nagel. Schlagzeilen machte dieser bekennende Stroessner-Fan zuletzt mit seinen Empfehlungen zum Umgang mit Besetzern: »Bei den Landlosen sind Mittel der Diplomatie sinnlos. Wie die Frau eines Gauners, die nur durch Schläge gehorcht, müssen sie behandelt werden«.

* Aus: junge Welt, Montag, 18. Juni 2012


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