Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Köhler im Schmugglerparadies

Bundespräsident begann Lateinamerika-Reise in Paraguay

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Horst Köhler besucht derzeit als erster deutscher Präsident überhaupt Paraguay. Das Land gilt in Lateinamerika als Synonym für Korruption und Schmuggel. Brasilien und Kolumbien sind die nächsten Stationen.

Zum Auftakt seines ersten Lateinamerikabesuchs als Bundespräsident machte Köhler am Montag in Asunción, der Hauptstadt Paraguays, deutlich, dass die Globalisierung einer Gestaltung bedarf. Armut sei wahrscheinlich die wichtigste Quelle für Terror, Drogenkriminalität und andere Dinge.

Um die Armut zu bekämpfen, müsse es international faire Regeln für den Handel geben. Auf nationaler Ebene müssten die Staaten Rahmenbedingungen für Rechtsstaatlichkeit und ein gutes Investitionsklima schaffen. Dazu zählte Köhler auch die Bekämpfung der Korruption. »Zur Korruption gehören immer zwei«, sagte Köhler beim Staatsbankett. Daher müsse nicht zuletzt auch in den Industriestaaten des Nordens der Kampf gegen korrupte Wirtschaftspraktiken energisch geführt werden, forderte Köhler. Für Paraguays Präsident Frutos Duarte ist das Problem der Korruption nichts Neues. Alle seine drei Vorgänger im Amt wurden wegen Korruption und Bereicherung nach ihrer Amtszeit rechtskräftig verurteilt. Zuletzt erwischte es Luis Angel González Macchi. Der Ex- Präsident von 1999 bis 2003 wurde wegen der »illegalen Abzweigung« von 16 Millionen US-Dollar aus den Beständen der Zentralbank zu acht Jahren Haft verurteilt. Zuvor waren die ehemaligen Präsidenten Juan Carlos Wasmosy (1993-1998) und Raúl Cubas (1998-1999) ebenfalls verurteilt worden.

Experten bezeichnen das südamerikanische Binnenland als feudale Kleptokratie. Einige hundert, vor allem weiße Familien haben das Land unter sich aufgeteilt. Nach den offiziellen Statistiken besitzen zehn Prozent der Bevölkerung achtzig Prozent des Landes. Gut 40 Prozent der 6,5 Millionen Paraguayer leben unterhalb der Armutsgrenze.

70 Prozent der Bevölkerung leben noch immer auf dem Land. Regelmäßig kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Großgrundbesitzern und landlosen Bauern. Nach Angaben der Nationalen Bauerorganisation MCNOC sind 300 000 Familien ohne Land. Eine von der Regierung zugesagte Umverteilung von brachliegenden Ländereien kommt nicht voran. Stattdessen verdrängt der agrarindustrielle Sojaanbau die Kleinbauern mehr und mehr.

Derzeit beherrscht der medizinische Ausnahmezustand das Land. Seit Monaten grassiert das Denguefieber. Experten schätzen die Zahl der Erkrankten auf 150 000. Die Regierung spielt den Ernst das Lage herunter. Nach ihren Angaben gibt es bisher nur 16 297 Erkrankungsfälle. Elf Menschen sind offiziell an den Folgen des Fiebers gestorben. Nach langem Drängen der Opposition hatte der Präsident vergangene Woche endlich den Gesundheitsnotstand verhängt.

Dem Präsidenten kommt die Epidemie höchst ungelegen. 2008 sind Präsidentschaftswahlen, und Nicanor Frutos Duarte will erneut kandidieren. Frutos Duarte gehört selbstverständlich zur konservativen Colorado-Partei. Seit 1947 sind die Colorados an der Macht. Das war auch unter der Diktatur von Alfredo Stroessner nicht anders. Der deutschstämmige General hatte sich 1954 an die Macht geputscht und herrschte mit Hilfe der Colorados bis 1989. Alle folgenden Präsidentschaftswahlen gewann ein Kandidat der Colorados. Mit Nicanor Frutos Duarte steht zwar ebenfalls ein Colorado an der Spitze, aber pikanterweise erstmals kein Katholik.

Und ausgerechnet ein ehemaliger Bischof und katholischer Priester will die 60 Jahre dauernde Herrschaft der Colorados brechen. Am Weihnachtstag 2006 hatte Fernando Lugo Mendez angekündigt, er werde bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2008 antreten. Er sei weder rechts noch links, und dies sei auch völlig unwichtig, denn in Paraguay gebe es ohnehin nur zwei Klassen von Bürgern: »Leute, die stehlen, und solche, die bestohlen werden«.

Der 58-jährige Lugo Mendez war 1994 von Papst Johannes Paul II zum Bischof Diözese San Pedro ernannt worden. 2005 hatte ihn Papst Johannes Paul II mit 55 Jahren ohne genauere Angaben von Gründen vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Vermutet wurde, Lugos entschiedene Kritik an der Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) und sein konsequentes Eintreten für die landlosen Bauern in seiner Gemeinde seien dem Vatikan ein Dorn im Auge.

Mendez werden derzeit große Chancen bei der kommenden Wahl eingeräumt. Mit den Themen Korruption und Diebstahl hat er Erfolg bei der Mittelklasse. Zudem spricht er mit Guaraní die Indígenasprache, die noch immer vier von fünf Paraguayern in den ländlichen Gebieten sprechen. Ob er sich mit dem ehemaligen IWF-Chef und jetzigen Bundespräsidenten Köhler über Korruption und Kleptokratie unterhalten wird, ist fraglich. Ein Gespräch mit Mendez steht nicht auf dem Reiseplan.

* Aus: Neues Deutschland, 7. März 2007


Zurück zur Paraguay-Seite

Zur Lateinamerika-Seite

Zurück zur Homepage