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Wandel unter Lugo steht aus

Paraguays Indígenas warten ungeduldig darauf, dass der Präsident seine Versprechen hält

In Paraguay kämpft die indigene Gemeinschaft der Sawhoyamaxa seit 1991 um ihr angestammtes Land im Chaco-Gebiet. Mit Hinweis auf das deutsch-paraguayische Investitionsschutzabkommen wird ihnen das Recht darauf abgesprochen, denn das Land gehört einem deutschen Großgrundbesitzer. Mit Eriberto Ayala, einem Delegierten der Sawhoyamaxa, der auf Einladung der Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung FIAN in Deutschland war, sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Tobias Lambert.
Wir dokumentieren das Interview im Folgenden.



ND: Während Ihres Besuches in Deutschland trafen Sie sich auch mit Vertretern der Bundesregierung. Was genau wollen Sie erreichen?

Ayala: Einer der Gründe für meine Reise war es, über das Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und Paraguay zu sprechen. Dieses Abkommen wird vom Senat als eine Ausrede benutzt, um unserer indigenen Gemeinschaft der Sawhoyamaxa die Übergabe unseres angestammten Landes zu verwehren, für das wir seit 1991 kämpfen. Unser Ziel ist es, einen sicheren und würdigen Ort zum Leben zu erhalten, und zwar auf dem Land, auf dem unsere Vorfahren begraben liegen. Mitarbeiter der deutschen Regierung sagen zwar, dass es sich um eine interne Angelegenheit Paraguays handelt, haben uns gegenüber aber zumindest eingeräumt, dass das Abkommen einer Enteignung nicht prinzipiell im Wege steht.

Was haben Sie in Paraguay bisher unternommen, um Ihr Land wiederzubekommen?

Wir haben sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene eine Kampagne gestartet. Denn das Problem betrifft nicht nur den Landerwerb in Paraguay, sondern die Verletzung der Menschenrechte im Allgemeinen. Der paraguayische Staat hat bisher jedoch noch keinerlei Anzeichen gemacht, einen Verhandlungsprozess mit dem Besitzer Heribert Rödel einzuleiten, obwohl er laut einem Gerichtsurteil des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte dazu verpflichtet ist.

Was genau hat der Gerichtshof beschlossen?

Der Gerichtshof hat 2006 beschlossen, dass kein internationaler Vertrag über den Menschenrechten stehen darf und Paraguay gegen diesen Grundsatz verstoßen hat. Dabei spielte nicht nur die Frage des Landbesitzes eine Rolle, sondern es ging auch um die unwürdigen Verhältnisse, in denen die Sawhoyamaxa leben. Durch die Vergabe von Land könnte die extreme Armut deutlich verringert werden.

Wie ist die Situation der Sawhoyamaxa zurzeit?

Wir leben am Rand der Landstraße, direkt neben dem beanspruchten Land. Es gibt keinen ausreichenden Zugang zu Wasser, Bildung, medizinischer Versorgung und Lebensmitteln. Seit 2006 sind bereits 13 Menschen gestorben, etwa durch heilbare Krankheiten oder Verkehrsunfälle. Diese Todesfälle sind darauf zurückzuführen, dass der paraguayische Staat nicht tätig geworden ist. Unsere Gemeinschaft lebt selbst an diesem Ort unter permanenter Bedrohung, gewaltsam geräumt zu werden. In Paraguay kommt es immer wieder zu gewaltsamen Räumungen durch Großgrundbesitzer.

Gibt es eine Art Vernetzung mit anderen Gruppen, die für Land kämpfen?

Auf kommunitärer und organisatorischer Ebene gibt es einige Initiativen. Eine Strategie ist auch, Allianzen mit Nichtregierungsorganisationen zu bilden. Die NRO können beispielsweise Unterstützung bei den juristischen Fragen leisten, wie dies in unserem Fall die Organisation Tierra Viva tut. Wir stehen auch in Kontakt mit kleinbäuerlichen Organisationen.

Der neue Präsident Fernando Lugo hat sich in der Vergangenheit häufig für eine Agrarreform ausgesprochen. Hat sich seit seiner Amtseinführung in diesem Punkt etwas getan?

Rhetorisch hat sich auf jeden Fall einiges geändert. Aber wir warten darauf, dass es wirklich einen Wandel geben wird, von dem Lugo sprach. Eine Agrarreform wird bisher mit dem Argument verhindert, dass nicht genügend finanzielle Mittel vorhanden seien.

Laut Gesetz muss in Paraguay jede einzelne Enteignung vom Kongress beschlossen werden. Lugo hat allerdings in keiner der beiden Kammern eine Mehrheit. Was also könnte er überhaupt machen?

In unserem Fall denken wir, dass die einzige Möglichkeit wäre, dass Lugo ein Gesetz zur Enteignung in den Kongress einbringt und es dort diskutiert wird. Es ist aber auch denkbar, dass er alleine tatsächlich nichts machen kann. Denn viele der Abgeordneten und Senatoren besitzen selber große Ländereien im Chaco oder dem Osten Paraguays.

[Mehr Info: »Wie deutscher Landbesitz in Paraguay effektive Hungerbekämpfung verhindert.« Kostenloser Download unter www.fian.de]

Indígenas gehen leer aus

Deutscher Großgrundbesitz bleibt unangetastet

Paraguay verfügt über eine der ungerechtesten Landverteilungen der Welt. Auch viele deutsche Staatsbürger halten Latifundien in dem südamerikanischem Binnenland. Die Enteignung unproduktiver Ländereien ist juristisch zwar möglich, der aus Abgeordnetenhaus und Senat bestehende Kongress muss jedoch jedem einzelnen Fall zustimmen.

Die Enteignung deutschen Landbesitzes wurden vom Senat in den letzten Jahren stets mit dem Hinweis auf das 1993 zwischen Deutschland und Paraguay geschlossenen Investitionsschutzabkommen abgelehnt. Die über 400 Personen umfassende Gemeinschaft der Sawhoyamaxa beansprucht angestammtes Land von gut 14 000 Hektar im Chaco-Gebiet. Da das Landstück zu einem insgesamt über 60 000 Hektar großen Anwesen des deutschen Großgrundbesitzers Heribert Rödel gehört, lehnte der Senat eine Enteignung ab.

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Paraguay im März 2006 unter anderem dazu, das beanspruchte Land innerhalb von drei Jahren an die indigene Gemeinschaft zu übergeben. TL



* Aus: Neues Deutschland, 13. Januar 2009


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