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Carperos kämpfen für Lebensgrundlagen

Paraguay: Landkonflikt an Grenze zu Brasilien spitzt sich zu

Von Andreas Knobloch *

Die seit langem laufenden Auseinandersetzungen zwischen »Brasiguayos«, aus Brasilien eingewanderten Farmern, und Landlosen an Paraguays Grenze zu Brasilien spitzen sich weiter zu. Die nach dem spanischen Wort für Zelt »Carperos« genannten Landlosen Paraguays fordern ein Eingreifen der UNO zur Lösung des Konflikts. Bereits am Montag hatten sie per Petition die Regierung in Asunción aufgefordert, die Armee zu schicken, um das umstrittene Gebiet als Staatseigentum zurückzufordern und unter den Landlosen zu verteilen. Dies lehnte das Kabinett von Präsident Fernando Lugo jedoch ab.

Bei dem Streit geht es um eine 167 Hektar große Fläche in der Region Ñacunday in Alto Paraná an der brasilianischen Grenze. Nach Meinung der Landlosen besetzen die Brasiguayos dieses widerrechtlich. Es handle sich um öffentliches Gebiet, das unter das 2007 in Kraft getretene »Grenzgesetz« fällt. Danach ist es Ausländern verboten, in einem 50 Kilometer breiten Streifen an Paraguays Grenzen Land zu besitzen oder zu bestellen. Eine der Hauptfiguren in dem Konflikt, der brasilianische Sojaproduzent Tranquilo Favero, streitet dagegen ab, daß es sich um »fiskalisches« Land handle. Er habe es vor mehr als vierzig Jahren erworben, also noch während der Regierungszeit des 1989 entmachteten Diktators Alfred Stroessner. Die Landlosen bezeichnete der auch als »Sojakönig« titulierte Unternehmer als »Banditen, die nichts zu verlieren haben«.

»Wir kampieren hier unter prekären Bedingungen, ohne Wasser, ohne Strom, ohne ausreichend Lebensmittel und ohne Hilfe der Regierung«, erklärte dagegen Victorino Lopez Cardozo, einer der Führer der Landlosen, gegenüber der brasilianischen Tageszeitung O Globo. In dem Camp aus Baracken und Zelten unweit der Besitzungen der Brasiguayos leben derzeit rund zehntausend Carperos, darunter zweitausend Kinder. Es gibt weder Schulen noch Gesundheitsposten. In den vergangenen Tagen wurde über die Ankunft weiterer Landloser und eine mögliche gewaltsame Besetzung spekuliert. »Wenn mehr Leute hier auftauchen, könnten wir die Kontrolle über die Situation verlieren. Wir wissen nicht, was dann passiert«, so Lopez Cardozo.

Die Lage ist angespannt. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Am Mittwoch wurde ein Dutzend Landlose festgenommen, als diese versuchten, in die Polizeistation in der Ortschaft Curuguaty einzudringen. Es gab mehrere Verletzte durch Gummigeschosse. Auf der anderen Seite haben die Brasiguayos angefangen, bewaffnete Männer anzuheuern.

Paraguays Regierung erklärte, die Sicherheit der Brasilianer zu schützen. Gerichte müßten klären, wem das Land gehöre. »Die Regierung kann weder Land verteilen noch wegnehmen, dies muß auf juristischem Weg geklärt werden«, so Miguel López Perito, Kabinettschef der Regierung Fernando Lugo. Man werde dem Druck der Landlosen nicht nachgeben und das Privateigentum schützen. Eine Kommission solle eingerichtet werden, um zwischen beiden Seiten zu vermitteln. Auch die brasilianische Regierung beobachtet den sich zuspitzenden Konflikt.

Die Menge der Carperos ist im vergangenen Jahr schnell gewachsen. Die Gruppierung zeichnet sich durch eine radikalere Wortwahl und ein gewaltsameres Vorgehen als die meisten anderen sozialen Bewegungen in Paraguay aus. Vorbild für die Besetzungen sind jene der Landlosenbewegung MST in Brasilien. Andererseits: In Paraguay leben ungefähr eine halbe Million Brasilianer oder Paraguayer mit brasilianischen Wurzeln. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten im Land und haben großen Einfluß im Agrarbusineß, einem der Entwicklungsmotoren der Republik.

* Aus: junge Welt, 4. Februar 2012


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