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Ausnahmezustand in Paraguay

Präsident Fernando Lugo reagiert mit drastischen Maßnahmen auf blutigen Hinterhalt der EPP

Von Santiago Baez *

Paraguays Präsident Fernando Lugo hat über fünf Departamentos im Nordosten des südamerikanischen Landes den Ausnahmezustand verhängt und zugleich eine geplante Reise nach Bolivien abgesagt, wo er an der »Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde« teilnehmen wollte. Damit reagierte der Staatschef auf einen blutigen Zwischenfall am Mittwoch morgen (Ortszeit) in Arroyito, einer Ortschaft im Departamento Concepción. Wie Paraguays Medien berichteten, hatten mehrere Landarbeiter gemeinsam mit einem Unteroffizier der Polizei auf Pferden einen Erkundungsritt über die Weidefelder der Estancia »Santa Adelia« unternommen, wo zuvor der Diebstahl von mindestens einem Rind festgestellt worden war. Dabei gerieten sie offenbar in einen Hinterhalt, für den von den Behörden die sogenannte »Paraguayische Volksarmee« (EPP) verantwortlich gemacht wird. Dieser Anschlag kostete dem Polizisten sowie drei Arbeitern das Leben. Augenzeugen berichteten von fünf bis sieben Männern, die mit M16-Sturmgewehren aus US-amerikanischer Produktion das Feuer auf die Gruppe der Arbeiter eröffneten.

Die EPP entstand in ihrer heutigen Form offenbar im März 2008 und macht seither vor allem durch Entführungen von sich reden. Während rechte Medien und Politiker sie als linke Guerilla darstellen und ihr auch Kontakte zur kolumbianischen FARC unterstellen, halten linke Aktivisten und Menschenrechtsorganisationen sie eher für eine paramilitärische Gruppierung, durch deren Aktionen die Politik der Basisbewegungen in Mißkredit gebracht werden soll. Offizielle Erklärungen der angeblich nur 15 bis 20 Mitglieder starken EPP sind kaum bekannt, nur die seit Juli 2004 inhaftierte Carmen Villalba präsentierte sich in der Vergangenheit aus dem Gefängnis heraus mehrfach als Sprecherin der Gruppe, die sie als »revolutionäre politisch-militärische Organisation« bezeichnet.

Für Paraguays Präsidenten Fernando Lugo, der selbst als potentielles Anschlagsziel der EPP gilt, bedeuten die Aktivitäten der Gruppe vor allem zusätzliche Spannung in der labilen Atmosphäre des Landes. Lugo, der im Parlament über keine Mehrheit verfügt, sieht sich massivem Widerstand rechter und liberaler Parteien gegenüber, die seine Reformbestrebungen blockieren. Mit dem harten Vorgehen gegen die mutmaßliche Guerilla will der frühere Bischof offenbar der Kritik der Rechten begegnen, die ihm wiederholt vorgeworfen haben, in Verbindung mit den Untergrundkämpfern zu stehen.

Während des zunächst für 60 Tage verhängten Ausnahmezustandes kann die Regierung Personen ohne richterlichen Haftbefehl verhaften lassen sowie öffentliche Versammlungen und Demonstrationen verbieten oder einschränken. »Wir haben zu diesem Rechtsinstrument gegriffen, damit der Staat seine Rolle wahrnehmen und in der betroffenen Zone wieder Ruhe schaffen kann, ohne die Menschenrechte zu verletzen«, sagte der liberale Abgeordnete Víctor Ríos, der als Kandidat für die Nachfolge Lugos bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2013 gilt. Menschenrechts- und Bauernorganisationen befürchten hingegen, daß Militär und Polizei den Kampf gegen den Terrorismus als Vorwand nehmen werden, um gegen ihre Arbeit vorzugehen.

* Aus: junge Welt, 23. April 2010


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