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Prestigeobjekt am Isthmus

Den Herrschenden ist der Panamakanal zu klein geworden

Von Marina Flämig, Panama-Stadt*

Zum Jahreswechsel beging das Volk am mittelamerikanischen Isthmus den Jahrestag der Autonomie über den Panamakanal. Den Herrschenden ist der inzwischen nicht mehr groß genug. Sie schmieden Ausbaupläne.

Als zum Jahreswechsel tausende Raketen Panama-Stadt erhellten, war das nicht nur ein Ausdruck von Partyfreude. Gleichzeitig feierte die zentralamerikanische Nation den 6. Jahrestag der Kanalübergabe durch die USA. Die Wasserstraße, die 1914 für den Schiffbetrieb eröffnet wurde, verbindet den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean und ist damit eine der wichtigsten geostrategischen Verkehrsverbindungen. Der Bau des Kanals erfolgte auf Betreiben der USA – ebenso wie die Gründung des Staates Panama 1903.

Da die damalige USA-Regierung den künstlichen Wasserweg nicht durch das große Kolumbien bauen wollte, unterstützte sie die separatistische Bewegung der kolumbianischen Provinz Panama so tatkräftig, dass diese sich nach einem dreijährigen blutigen Bürgerkrieg von ihrem Mutterland abspaltete. Die 1903 ausgerufene República de Panamá trat damals alle Rechte an dem geplanten Kanal an die Vereinigten Staaten ab. Nach dem Bau nahmen die USA mitten im Land, als Quasi- Protektorat, einen fünf Meilen breiten Landstreifen zu beiden Seiten des Kanals unter ihre Kontrolle.

In den sechziger Jahren begann der Unmut über diesen Zustand zu wachsen. Getragen von einer nationalen Welle, putschte General Omar Torrijos gegen den USA-freundlichen Präsidenten Arnulfo Arias und erklärte die Rückgewinnung des Kanals zum Hauptziel seiner Regierung. 1977 schlossen Torrijos und der damalige USA-Präsident James (Jimmy) Carter den »Torrijos-Carter-Vertrag«, der Panama die Autonomie über den Wasserweg ab 1. Januar 2000 garantierte. In den Vertrag wurde eine Klausel eingefügt, die Panama zur Gewährleistung demokratischer Verhältnisse und eines unbehinderten internationalen Handels verpflichtet.

Vier Jahre nach Abschluss des Vertrags kam Omar Torrijos bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die genauen Umstände wurden nie geklärt; nicht nur Verschwörungstheoretiker sehen die CIA in dieses »Unglück« verwickelt. Panams heutiger Präsident Martín Torrijos kann jedenfalls die Früchte der Arbeit seines Vaters ernten. Dank dem Kanal und der daraus resultierenden Stellung Panamas als Handels- und Finanzzentrum beläuft sich das Durchschnittseinkommen der Pana-meños auf über 4000 US-Dollar im Monat. Von gerechter Verteilung der Einnahmen kann allerdings keine Rede sein. Eine kleine tonangebende Minderheit lebt in Saus und Braus, während über 40 Prozent der Bevölkerung sich mit weniger als zwei Dollar pro Tag durchschlagen müssen. Viele hausen auf der Straße.

Trotz der miserablen sozialen Lage vieler Einwohner – Panama ist nach Brasilien der lateinamerikanische Staat mit den größten Einkommensunterschieden – will die Regierung Unsummen in ein neues Prestigeobjekt investieren: die Kanalerweiterung. In den Augen der Elite reicht die Durchfahrt der im Schnitt 37 Schiffe pro Tag, von denen jedes rund 45 000 US-Dollar pro Passage zahlt, noch nicht aus. Ein drittes, breiteres Schleusenpaar soll her, damit noch mehr und noch größere Frachter den Kanal passieren können.

Eine exakte Kostenkalkulation gibt es noch nicht. Unklar ist auch, welche Auswirkungen sich für das ökologische Gleichgewicht der Region ergeben. Der Gatún-See, der den Kanal speist, verliert bei jeder Schleusenöffnung Millionen Kubikmeter Süßwasser.

Ob das Projekt in Angriff genommen wird, hängt von den Panamaern selbst ab. Laut Artikel 319 der Verfassung muss bei Kanalerweiterungen oder -umbauten eine Volksabstimmung das Vorhaben legitimieren. Umfragen zeigen, dass die Zustimmung bisher überwiegt. Die – von Kritikern als irrational angesehene – Hoffnung auf neue Arbeitsplätze und mehr Wohlstand prägt die Meinungsbildung, angetrieben vor allem durch konservative Medien und Propaganda.

Dennoch gibt es durchaus auch kritische Stimmen in der Presselandschaft. So hinterfragt der panamaische Autor Héctor Endara in der Zeitung »La Prensa« das Kosten-Nutzen-Kalkül des Vorhabens: »Wer zahlt die Verschuldung des Landes? Wie viel kostet das Projekt überhaupt?«

Es bleibt zu hoffen, dass alle Panameños sich mit diesen Fragen auseinander setzen, bevor sie – voraussichtlich im Herbst – ihr Kreuzchen bei der Volksabstimmung setzen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2006


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