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Aufruf zum Generalstreik

Panama: Regierung will Gewerkschaften kontrollieren und stößt auf massiven Widerstand

Von Benjamin Beutler *

Nach den heftigsten sozialen Unruhen seit Jahren ist in der panamaischen Ortschaft Changuinola in der Westprovinz Boca del Toro trügerische Ruhe eingekehrt. Kommunalangestellte und andere Behördenvertreter waren nach dreitägigen Straßenschlachten zwischen Protestierenden und Polizei damit beschäftigt, Barrikaden und abgebrannte Autos von den blockierten Straßen zu räumen. In der Nacht zum Montag (12. Juli) hatten sich Gewerkschaftsführer der Bananenplantagenarbeiter und Vertreter der Rechtsregierung des Multimillionärs Ricardo Martinelli auf ein vorläufiges Ende der blutigen Proteste geeinigt. Der Palacio Nacional in Panama Stadt versprach eine »übergangsmäßige« Aufhebung des kontroversen »Gesetz Nr. 30«. Mitte Juni war das umkämpfte Gesetzespaket verabschiedet worden. Durch die Hintertür wurden damit per Verfassungsänderung grundlegende Rechte der Gewerkschaften beschnitten. Unternehmer sollten von der obligatorischen Abführung der Gewerkschaftsbeiträge befreit und damit die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Organisation der Beschäftigten gefährdet werden. Auf dem gleichen Weg wurde der Einsatz von Streikbrechern Weg legalisiert. Von der weitreichenden Gesetzesänderung, im Volksmund »Wurstgesetz« genannt, waren neben Arbeitsrecht auch Strafrecht und Justizstruktur betroffen.

Der Preis, den die Protestbewegung für den nun erzielten Waffenstillstand zahlt, ist hoch. Der massive Polizeieinsatzes in Changuinola kostete Regierungsangaben zufolge zwei Menschen das Leben, über einhundert wurden zum Teil schwer verletzt. Oppositionspolitiker Mitchell Doens von der »Demokratischen Revolutionspartei« (PRD) meldete am Montag Zweifel an den offiziellen Zahlen an. »Heute sehen wir die traurige Wahrheit von Bocas del Toro, wo es sechs Tote, mehr als tausend Verletzte und Hunderte Verhaftungen gab«, so der PRD-Chef, dessen Partei vor der Wahl Martinellis im Mai 2009 das Land um den Panamakanal 32 Jahre lang regierte. Präsident Martinelli, Vorsitzender des rechtliberalen »Demokratischen Wandel« (CD), hingegen bezeichnete den Streik als »unnötig«. Er »gefährdet die Wirtschaft des Landes«, so der 58jährige Wirtschaftmagnat des mittelamerikanischen Zwergenstaates.

Er muß es schließlich wissen. Nach Abitur an einer Militärschule und Managmentstudium in den Vereinigten Staaten baute er ein wahres Firmenimperium auf. So ist er Chef der Importfirma Ricamar sowie der Discountkette Supermercados 99, einer der größten Unternehmen des Landes. Auch der Plastikfabrik Plastigol, der Firma ERA, Lebensmittelmühlen Gold Mills, der Global Bank, dem nationalen Fernsehsender Direct TV steht der einstige Minister für die staatliche Verwaltung des Panamakanals trotz Präsidentenamt weiterhin vor. So werden Klientelinteressen schnell zu einer nationalen Angelegenheit erklärt. »Stellen wir doch den Wohlstand aller Panamesen in den Vordergrund und suchen wir nach einer gemeinsamen Problemlösung«, appellierte der von den Protesten sichtlich überraschte Präsident zu Wochenbeginn.

Trotz der Einigung mit dem Bananensektor stehen die Zeichen in der Hauptstadt weiter auf Sturm. Die Gewerkschaftsverbände CTRP und CONATO verlangen statt einer Aussetzung von »Gesetz Nr. 30« dessen komplette Streichung. Am Dienstag (13. Juli) riefen sie zum landesweiten Generalstreik auf.

* Aus: junge Welt, 14. Juli 2010

Generalstreik in Panama erfolgreich

Regierung setzte umstrittenes Gesetz aus

Vertreter von Gewerkschaften und Lehrerverbänden in Panama haben den Generalstreik am Mittwoch (Ortszeit) positiv bewertet.

Der Ausstand in dem mittelamerikanischen Land war ausgerufen worden, um eine von der Regierung geplante Abschwächung arbeitsrechtlicher Garantien für Arbeiter und Angestellte zu verhindern. Unter anderem soll der Kündigungsschutz gelockert und die bislang obligatorische Beteiligung von Unternehmern an Sozialabgaben gelockert werden.

In Panama-Stadt waren während des Streiks Baustellen lahmgelegt. Unterstützt wurde der Streik auch von Studierenden in der Hauptstadt. Die Regierung hat das Gesetz unterdessen für 90 Tage ausgesetzt, in denen verhandelt werden soll. Der rechtsgerichtete Präsident und Unternehmer Ricardo Martinelli schloss eine Rücknahme der Regelung aber aus.

Die sozialdemokratische Oppositionspartei PRD kritisierte die politische Führung. Martinelli habe zahlreiche Wahlversprechen gebrochen, sagte PRD-Generalsekretär Mitchell Doens am Mittwoch vor ausländischen Pressevertretern. Dies sei der Grund für die massiv einbrechenden Popularitätswerte des Präsidenten. Nach Angaben des Umfrageinstitutes Dichter and Neira kommt Martinelli nur noch auf 56 Prozent - 14,3 Prozent weniger als bei der vorherigen Erhebung.

»Man kann ein Land eben nicht wie ein Unternehmen führen«, kommentierte Doens dieses Ergebnis. Die PRD fordert eine sofortige Rücknahme von »Gesetz 30«. Im Fall einer erneuten Regierungsübernahme 2014 werde man die Novelle aber spätestens rückgängig machen.

Quelle: Neues Deutschland, 16. Juli 2010



Aufbegehren in Panama

Generalstreik und soziale Proteste setzen Präsident Martinelli unter Druck

Von Benjamin Beutler **


Panama kommt nicht zur Ruhe. Ein von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen angekündigter Generalstreik hat zu Wochenbeginn weite Teile von Wirtschaft und Bildungssystem lahmgelegt. Die Organisatoren zeigten sich mit der Streikbeteiligung zufrieden. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch wurde Bilanz gezogen. Rund 95 Prozent des Bausektors sei beim 24-Stunden-Ausstand vom Dienstag zum Stillstand gekommen, mit zehn Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung immerhin eine der ökonomischen Säulen des Landes am Panamakanal. »Wer sich nicht traut zu kämpfen, der verdient es nicht zu erziehen!« war auf Protestflugbändern vieler Schulen in der Hauptstadt Panama City zu lesen. Nicht nur die Lehrer hatten sich dem Aufruf zur Arbeitsniederlegung angeschlossen, um gegen das Mitte Juni von Panamas neoliberaler Regierung unter Ricardo Martinelli erlassene »Gesetz Nr. 30« zu protestieren, das die Rechte von Arbeitern und Gewerkschaften massiv beschneidet. Auch die Mehrzahl der Eltern hatte einer dringenden Bitte der Bildungsministerin Lucy Malinar nicht Folge geleistet, ihre Kinder am Streiktag doch zum Unterricht zu schicken. Schulen und Universitäten hatten ihren Unterricht somit fast zu 100 Prozent eingestellt. Auf die Straße gegangen waren, wenn auch nur sporadisch, Angestellte der nationalen Sozialversicherung, von Coca Cola, der Zementfabrik Cemento Panama und der Milchfirma Estrella Azul. In der Landwirtschaft hingegen wurde die Arbeit nur stundenweise aus der Hand gelegt, zwei Stunden am Morgen, zwei am Abend. Eine Ausnahme bildet der Bananensektor. Hier streikten die Bauern fast zwei Wochen lang, bevor der Ausstand am vergangenen Sonntag in der Ortschaft Changuinola mit einem brutalen Polizeieinsatz blutig beendet wurde. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben, Hunderte wurden verletzt.

Hatte die Martinelli-Administration in Changuinola auf die Macht von Polizei und Staatssicherheit gesetzt, so versuchte sie den ersten Generalstreik seit ihrem Regierungsantritt im Juli 2009 schlicht zu ignorieren. Martinellis Popularität ist laut Umfragen in den letzten Tagen von 56 Prozent auf 42 Prozent eingebrochen. »Die Regierung spielt mit dem Feuer«, warnte ein Kommentar in der konservativen Tageszeitung La Prensa vor weiterer Eskalation. »Die Politik des Durchgreifens vor dem Dialog, die der Peitsche vor dem Konsens« könne zu sozialen Unruhen führen. Dies befürchtet auch die Unternehmerschaft und fordert Multimillionär Martinelli offen »zum bedingungslosen Dialog« auf. Für Juan Francisco Kiener, Chef des Panamesischen Bundes der Industriellen (SIP), bedrohe »Konfrontationen und Streik die wirtschaftliche Stabilität«, eine »Verhandlungslösung« sei die bessere Variante.

Das harte Vorgehen gegen die Streikenden wurde zuletzt sogar vom Obersten Gericht gerügt. Verhaftungen mehrerer Gewerkschaftler und Aktivisten seien unrechtmäßig. Dennoch bleiben sie weiter in Haft. »Verdeckte Agenten« sollen nun bezeugen, daß die Beschuldigten angeblich »Aktionen gegen den Panamakanal« geplant hätten. »Die neue Sicherheitsgesetzgebung ist eine Kopie der Antiterror-gesetze aus den USA«, erklärte dazu Professor Marco Gandásegui von der Universität Panama. Gewerkschaften Protestierende sollen kriminalisiert und zum Schweigen gebracht werden.

* Aus: junge Welt, 16. Juli 2010


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