Ramallahs Schachzug
UN-Sicherheitsrag lehnt kurz vor Jahresende 2014 Rückzug der israelischen Besatzer ab. Palästina tritt dem Internationalen Strafgerichtshof bei
Von Karin Leukefeld *
Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, beantragte am Mittwoch die Mitgliedschaft Palästinas im Internationalen Strafgerichtshof und unterzeichnete 19 weitere internationale Verträge. Der Beitritt zum sogenannten Rom-Statut des Gerichts war eine Reaktion auf die Ablehnung des UN-Sicherheitsrates, die israelische Besatzung Palästinas zu beenden. In einem Resolutionsentwurf hatte die Autonomiebehörde den Rückzug der israelischen Besatzungstruppen aus dem Westjordanland bis Ende 2016 gefordert. Abbas erklärte am Mittwochabend in Ramallah: »Wir werden jeden Tag auf unserem Land angegriffen, bei wem sollen wir uns beschweren?« Der Sicherheitsrat habe die Palästinenser enttäuscht, daher wende man sich jetzt an das Gericht.
Die Resolution war Anfang Dezember 2014 von Jordanien im Auftrag der Autonomiebehörde mit Unterstützung der Arabischen Liga eingereicht worden. Bei der Abstimmung kurz vor Jahresende fehlte nur eine Stimme, um die erforderliche Mehrheit von neun Voten zu erreichen. Acht Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (Jordanien, China, Frankreich, Russland, Luxemburg, Tschad, Chile, Argentinien) befürworteten den Antrag, der die Gründung eines palästinensischen Staates innerhalb von zwölf Monaten, also Ende 2015, und bis Ende 2017 den schrittweisen Rückzug der Besatzungstruppen aus Palästina vorsah. Fünf Staaten (Großbritannien, Litauen, Nigeria, Südkorea, Ruanda) enthielten sich, Australien und die USA stimmten gegen die Resolution.
Die USA hatten von Anfang an scharfen Widerstand gegen die Resolution angekündigt, die sie als »organisierte Provokation« und »einseitig« ablehnten, weil sie »die Sicherheitsinteressen Israels« nicht berücksichtige. Vor der Abstimmung hatte US-Außenminister John Kerry in Gesprächen mit den Sicherheitsratsmitgliedern, die eine andere Meinung vertraten, die Position Washingtons »deutlich« gemacht, so sein Ministerium. Dabei wurde offenbar vor allem auf Nigeria, das ursprünglich der Resolution zustimmen wollte, starker Druck ausgeübt. Washington wollte vermeiden, die Erklärung per Veto zu Fall zu bringen, um seinen ohnehin ramponierten Ruf in der arabischen Welt nicht noch mehr zu verschlechtern.
Der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur warf dem UN-Sicherheitsrat vor, seiner Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein. Er erklärte: »Das palästinensische Volk und die Welt können nicht länger warten.« Ein Vertreter der israelischen UN-Mission hatte in einer knappen Stellungnahme die Verachtung seiner Regierung gegenüber dem Anliegen deutlich gemacht: »Ich habe eine Mitteilung an die Palästinenser: Sie können ihren Staat nicht durch Agitation und Provokation erreichen. Ich fordere den Sicherheitsrat auf, die Palästinenser nicht länger zu verhätscheln und ihr verrücktes Vorgehen zu stoppen.« Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bedankte sich laut Medien seines Landes nach der Abstimmung telefonisch bei den Regierungen Ruandas und Nigerias dafür, dass sie die Resolution zu Fall gebracht hätten. Israels Außenminister Avigdor Lieberman erklärte, die Entscheidung des Sicherheitsrates solle »den Palästinensern eine Lehre sein, dass Provokationen (…) nichts bringen«.
Der russische Vertreter im Sicherheitsrat, Witali Tschurkin, hatte hingegen eine Annahme der Resolution als positiven Schritt hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung bezeichnet. Die USA dürften keine weiteren »strategischen Fehler« begehen, die einen Friedensprozess verhinderten. Frankreich hatte zwar die Erklärung unterstützt, aber erheblich zu den von verschiedenen palästinensischen Organisationen kritisierten »aufgeweichten Formulierungen« beigetragen. Aus dem deutschen Auswärtigen Amt lag bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme vor. Die neue EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini erklärte, die Abstimmung mache die »Dringlichkeit« deutlich, dass die Friedensverhandlungen zwischen Palästinensern und Israel wieder aufgenommen werden müssten. Die EU werde sich »mehr als jemals zuvor« dafür einsetzen.
Die PLO-Politikerin Hanan Aschrawi bezeichnete die Ablehnung der Resolution als »ungeheuer schändlich«. Es sei eine »Ironie, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2014 zum internationalen Jahr der Solidarität mit dem palästinensischen Volk« erklärt hätten und dennoch die Resolution durch »mangelnden politischen Willen einiger Mitglieder der internationalen Gemeinschaft« gescheitert sei.
Die nun von den Palästinensern beantragte Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof ermöglicht es, israelische Staatsbürger für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie wegen der völkerrechtswidrigen Besiedlung palästinensischen Bodens strafrechtlich zu verfolgen. Das Römische Statut trat am 1. Juli 2002 in Kraft. 122 Staaten haben es unterzeichnet. Weder Israel noch die USA haben das Abkommen ratifiziert.
* Aus: junge Welt, Freitag, 2. Januar 2015
Israelische Siedler
»Verheißenes Land«
In der Silvesternacht setzten israelische Siedler ein palästinensisches Haus unweit des Dorfes Al-Deirat (südliche Westbank) mit Molotow-Cocktails in Brand. Die siebenköpfige Familie von Mahmud Muhammad Dschaber Al-Adra, die in dem Haus schlief, sollte offensichtlich bei lebendigem Leib verbrannt werden, sagte Bürgermeister Mussam Machamreh der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan News. Die Brandstifter seien Bewohner der nahe gelegenen Siedlung Karmel gewesen. Die Männer hätten gegen drei Uhr morgens Brandsätze durch die Fenster geworfen und rassistische Parolen an die Hauswand geschrieben: »Tod den Arabern« und »Mit vorzüglicher Hochachtung: Verschwindet«.
Die 1982 entstandene Siedlung Karmel liegt in einem Gebiet, das von der israelischen Besatzung als C-Zone ausgewiesen ist und vollständig unter ihrer Kontrolle steht. 62 Prozent des Westjordanlandes sind in diese Kategorie eingestuft. Sie sollen schrittweise in palästinensische Autonomie überführt werden, .
Obwohl sich Israel internationalem Recht gemäß aus den 1967 besetzten Gebieten zurückziehen muss und Wohnraum entsprechend knapp werden wird, wirbt das Land weiterhin um Einwanderer. Allein aus Frankreich seien im vergangenen Jahr mehr als 6.600 Juden nach Israel zugewandert, teilte das Einwanderungsministerium mit. Im Jahr 2013 waren es mit 3.400 nur halb so viele. Aus Deutschland blieb dem Bericht zufolge die Zahl der Übersiedler mit 120 stabil.
Die Zahl der jüdischen Einwanderer aus Westeuropa nach Israel ist demnach in den vergangen zehn Jahren um 88 Prozent angestiegen. Insgesamt sollen im Jahr 2014 26.500 Einwanderer gekommen sein, hieß es in der Erklärung, die das Ministerium gemeinsam mit der Jüdischen Agentur veröffentlichte. Diese halbstaatliche Einrichtung wurde 1929 gegründet und wirbt seitdem weltweit darum, dass Juden nach Israel auswandern. Das vergangene Jahr habe »alle Rekorde für die Alija (Einwanderung) gebrochen«, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Agentur, Natan Scharansky. Das hebräische Wort Alija bezeichnete ursprünglich die Rückkehr der Juden aus Babylon in das »verheißene (gelobte) Land«. Die im 19. Jahrhundert entstandene zionistische Nationalbewegung benutzte den Begriff, um die massive Einwanderung von Juden nach Palästina zu forcieren. (kl)
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