"Eine Palästinenserin im Streit um den Frieden"
Sumaya Farhat-Naser aus Ramallah schreibt ihren Freunden zum Neuen Jahr
Am 1. und 2. Dezember war Sumaya Farhat-Naser Gast beim Friedensratschlag in Kassel. Vor wenigen Tagen schickte sie aus Ramallah die folgende Botschaft an ihre Freunde in der ganzen Welt.
Liebe Freunde,
Hinein ins Jahr 2001 begleitete uns das schwere Leiden der Besatzung - uns, den Besetzten, aber auch ihnen, den Besatzern. Über 200 tote Israelis und mehrere Hundert Verletzte, und dazu das zehnfache an Toten und über dreißigtausend verletzte Palästineser. Hunderte zerstörte Palästinenser-Häuser, über fünfzigtausend verbrannte und zerstörte Bäume, Tausende Obdachlose, viele Tausende traumatisierte, andere Hunderte zum Wahnsinn getriebene
Jugendliche. Erniedrigungen und Demütigung, Entrechtung und
Dehumanisierung wie auch Perspektivlosigkeit kennzeichneten die vergangenen Monate.
Auch der Radio-Turm in Ramallah, gebaut 1937 für das Palästina-Radio in
Jerusalem, wurde gesprengt. Seine roten Lichter, seit über siebzig Jahren Wahrzeichen für Ramallah, sind erloschen. Auch psychisch soll die Zerstörung wirken. Attentate überall in Israel und in Palästina brachten Horror und zerstörten jeden Gedanken an Frieden. Angst und Unsicherheit herrschen hier und dort wie noch nie zuvor.
Dennoch glauben die Mächtigen, dass das die beste erdachte Lösung sei. Je mehr Gewalt, desto mehr Gegengewalt - und die Situation wird noch komplizierter. Das Jahr war auch schwer für viele Menschen in den USA, in Osteuropa, in Afghanistan und an vielen anderen Orten. Heute möchte ich, trotz allem, aller gedenken und allen ein gesegnetes, sicheres, gutes Neue Jahr wünschen.
Die letzten Monaten waren sehr schwer zu ertragen, und die Situation wird schlimmer werden. Gerade weil Ohnmacht und Verzweiflung herrschen, möchte ich, wie am Ende jedes Jahr, an meine Freunde schreiben. Es ermutigt mich und gibt mir die Kraft zum Weitermachen. Ich beginne mit einem herzlichen Dank an alle, die immer wieder geschrieben oder angerufen haben, an alle, die vielen Menschen bei uns und wo anders so viel Beistand und Hilfe geleistet haben. Neben der schweren politischen Situation hatte ich einiges Schweres in der Familie - die Verantwortung und die Aufgaben werden immer mehr und vielseitiger.
Wie Einige schon wissen, bin ich seit Juni dieses Jahres nicht mehr im Jerusalem Center. Ich entschloss mich dazu, weil die Arbeit unmöglich geworden ist. Für den Weg von meinem Haus zur Arbeit, der vorher 40 Minuten dauerte, braucht man nun drei Stunden. Überall Sperren und überall Gefahr! Die Zusammenarbeit mit den Israelis wurde vom Vorstand des Zentrums wie auch von der politischen Atmosphäre verboten, und so sah ich dort keinen Platz mehr für mich. Ich fühlte mich bedroht und spürte die Notwendigkeit Abstand zu gewinnen. Es war sehr schwer, ja, ich litt sehr darunter, doch in dem Moment wo ich mich entschloss weg zu gehen, spürte ich die Kraft vom Neuen. Ich erlangte die Freiheit des persönlichen Handelns.
Ich führe meine Kontakte und Zusammenarbeit weiter, nicht als Mitglied des Zentrums, sondern als Person. Sehr gute Arbeit entsteht, und ich pflege diese Kontakte und diese Arbeit, auch wenn sie seit Monaten nur per Telefon und e-mail gemacht werden kann. Ich muss vorsichtig und klug sein. Es war ein sehr schwerer Entschluss. Doch ich glaube, es gehört zu meiner Stärke, meine Grenzen zu erkennen, und wenn die Struktur meinen Weg hemmen will, so steige ich für eine Weile aus. Ich konnte nicht länger den Vorwurf hinnehmen: Was habt ihr erreicht, ihr
Friedensleute!? Deshalb müsst ihr jegliche Kontakte stoppen. Nein, gerade weil die Situation so schlimm ist, müssen wir viel mehr gemeinsam arbeiten. Einiges haben wir gut gemacht, einiges war schwer. So entschloss ich mich, während der letzten sieben Monaten ein Buch zu schreiben. Ich war nicht erwerbstätig, aber ich arbeitete viel mehr als zuvor, auch um die neue Phase zu verkraften und zu überbrücken durch sinnvolle Arbeit. Es ist eine Reflexion über die letzten sieben Jahren geworden, über Herausforderungen, Verletzungen, Schmerz und Ärger, aber auch die vielen kleinen Schritte der Versöhnung und Verständigung. Es ist zugleich eine Dokumentation der Prozesse im Streit um den Frieden. Es war möglich und es muss möglich sein, wenn wir es wollten. Heute habe ich den Abschluss geschrieben. Es ist eine
Fortsetzung von "Thymian und Steine". Es kommt Anfang April heraus, und es heisst:
"Verwurzelt im Land der Olivenbäume", und als Untertitel: "Eine Palästinenserin im Streit um den Frieden". Es ist ein gutes Buch geworden, und es ist ein Stück Friedensarbeit, weil es als Vorlage für zukünftige Arbeit dienen wird. Ich freue mich, dass ich es geschafft habe. Es war auch wie eine Therapie für mich und ich danke alle, die mich dabei gestärkt und unterstützt haben. Ich freue mich auf die vielen Lesungen, die ich machen werde.
Ich hoffe, Mitte Februar wieder meine Lehrtätigkeit an der Uni aufzunehmen. Das ist nur möglich, wenn der Universitätsbetrieb wieder funktioniert. Ich möchte meine Friedensarbeit mit den Studenten und weiter mit jungen Frauen aufnehmen. Auf sie kommt es an, dass sie mitmachen. Ich glaube, dass ist sehr gut, und effektiver als im Zentrum, weil die Uni mir den politischen Schutz und den Rahmen gibt. Wir dürfen uns kaum bewegen, nicht mehr als drei bis fünf Kilometer. Die Not ist groß. Viele Dörfer sind abgeschnitten von der Welt. Nahrungsmittel und Heizöl wird knapp. Aber unsere Sorge gilt den großen Ängste für den
Fall, dass jemand krank wird.
Ich glaube an die Botschaft, die ich trage und meine Arbeit wird werden. Ich möchte danken für die Stärkung und Ermutigung, egal wo ich wirke. Ihnen und Euch allen möchte ich eine glücgliche Zeit wünschen und für uns alle ein Neues Jahr erhoffen, in dem Menschlichkeit und Frieden unser Leben verschönern und sichern werden. Es muss möglich werden.
Sumaya Farhat-Naser
Birzeit University - Biology Dept.
Birzeit, Palestine
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