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Ostern 2001: "Frieden" in Palästina ein Fremdwort

Scharon eskaliert den Krieg - Stimmen der Vernunft

Seit Ausbruch der Intifada 2 Ende September 2000 sind 466 Menschen getötet worden. Die meisten von ihnen waren Palästinenser, darunter viele Kinder und Jugendliche. Die jüngsten Opfer kamen im Gaza-Streifen ums Leben.

In der Nacht zum Mittwoch, 11. April 2001, hat die israelische Armee erstmals ein palästinensisches Flüchtlingslager auf autonomem palästinensischem Gebiet angegriffen. Dabei wurden nach Angaben des israelischen Rundfunks zwei Palästinenser getötet und 36 verletzt. Israelische Panzer und Bulldozer waren kurz nach Mitternacht in das unter palästinensischer Kontrolle stehende Flüchtlingslager Chan Junis im Süden des Gaza-Streifens eingedrungen. Die Palästinensische Autonomiebehörde sprach von mindestens 50 Verletzten, einige von ihnen seien schwer verwundet. Israels Armee stellte den Angriff als Antwort dar auf mehrere palästinensische Mörserangriffe auf jüdische Siedlungen, die von dem Flüchtlingslager ausgegangen seien. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat verurteilte den Angriff Israels als "kriegerischen Akt" und forderte die Vereinten Nationen erneut auf die Palästinenser vor israelischer Gewalt zu schützen.

Im Gaza-Streifen leben etwa 1,3 Millionen Palästinenser in Städten und Flüchtlingslagern neben etwa 6.000 jüdischen Siedlern. Diese werden von mehreren tausend israelischen Soldaten rund um die Uhr beschützt. Die Siedler beanspruchen 40 Prozent der Gesamtfläche des Gaza-Streifens, der nach UN-Angaben zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt gehört.

Scharon-Interview: "Keine Siedlung wird aufgegeben"

Wie die Süddeutsche Zeitung am 12. April 2001 berichtet, wird am 13. April in der israelischen Zeitung "Haaretz" ein Interview erscheinen, in dem Ministerpräsident Scharon Klartext spricht. Scharon sagt darin, er werde "absolut keine einzige" jüdische Siedlung im Westjordanland und im Gaza-Streifen evakuieren: "Dazu habe ich keine Veranlassung. Solange es keinen endgültigen Frieden gibt, bleiben wir im Westjordanland sitzen. Und selbst wenn es einen Frieden geben sollte, werden wir sicherlich keinen Siedler daran hindern, zu bleiben." An die Adresse der palästinensischen Autonomiebehörde ergeht die unmissverständliche Warnung: Sollte Arafat einseitig einen palästinensischen Staat ausrufen, "wird Israel die jüdischen Siedlungen zusammen mit den Sicherheitszonen annektieren. Ich rate Arafat von einer Staatsausrufung ab. Er würde einen Fehler begehen."

Scharon beruft sich bei der Begründung der fortdauernden Besetzungen auf ein angebliches historisches Recht: "Die Positionen der Siedlungen im Westjordanland sind nicht willkürlich ausgesucht worden. Sie beschützen den Geburtsort des jüdischen Volkes und geben uns einen strategischen Schutz." In diesem Zusammenhang weist er auf die strategische Bedeutung der Kontrolle über die Wasservorräte hin: "Ist es möglich, ausgerechnet jetzt die Hoheit über das Grundwasser-Reservoir im Westjordanland den Palästinensern zu überlassen?" Schon Jitzchak Rabin hatte nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Oslo erklärt: "Selbst wenn wir alle Konflikte im Nahen Osten beilegten: Falls wir das Wasserproblem nicht lösen, wird die gesamte Region explodieren." Das Wasser aus Israels "National Water Carrier", einer Leitung, die das Jordanwasser aus dem See Genezareth in die dicht besiedelte Küstenregion Israels und in die Negev-Wüste pumpt, sollte nur dem israelischen Volk gehören.



Die Bedeutung des Wassers für den Friedensprozess

"Die Palästinenser müssen jeden Sommer unter Israels Strenge leiden: Das Wasser, das ihnen zusteht, erhalten sie unregelmäßig, wenn überhaupt. Die Verteilung der Wasserquellen ist ein genauso wichtiger Punkt, über den Israelis und Palästinenser sich einigen müssen, wie die Zukunft der Siedlungen und Jerusalems. Die Zeit eilt, denn die Region trocknet aus. Israel erwägt für dieses Jahr die Ausrufung des Wassernotstands.

Die größte Grundwasserader liegt unter dem Westjordanland. Von dort fließt das meiste Wasser in israelisches Staatsgebiet, wo es 40 Prozent des Verbrauchs deckt. Vier Fünftel der Wasservorkommen aus den Palästinensergebieten, so eine Studie der Weltbank, werden von Israel genutzt. Die Ungerechtigkeit ist sichtbar: Die jüdischen Siedler im Westjordanland können ohne Sorge in Swimmingpools planschen und ihre Autos waschen. Sie verbrauchen pro Person bis zu 330 Liter am Tag – während ein Palästinenser mit 30 Litern am Tag auskommen muss. Auch deshalb besteht Arafat darauf, dass sein Volk das Nutzungsrecht für das Westjordanland-Wasser erhält. Israel argumentierte bislang, dass der Regen nicht den Bergen gehöre, auf die er falle. Der Regen fließe via Grundwasserader automatisch nach Israel."
Aus: Süddeutsche Zeitung, 12. April 2001


Stimmen der Vernunft

Es scheint, als würde sich die israelische Regierung mit ihrer unnachgebigen Kriegspolitik international immer weiter isolieren. Vor kurzem mahnte selbst Washington, Israel solle die wirtschaftliche Strangulierungspolitik gegenüber der palästinensischen Autonomiebehörde aufgeben und keine neuen Siedlungen bauen. Zur Situation im Nahen Osten äußerte sich am 11. April 2001 auch der EU-Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten. Die Siedlungspolitik der Israelis, sagte er laut Süddeutscher Zeitung (12.04.2001) sei "äußerst unglücklich". Patten kritisierte auch die Blockade von Steuergeldern, die eigentlich den Palästinensern ausgezahlt werden sollten, durch die israelischen Behörden. "Diese Politik ist von Grund auf falsch." Der israelische Journalist Danny Rubinstein weist darauf hin, dass immer mehr Bewohner palästinensischer Flüchtlingslager "spontan" zu Aktivisten der Intifada würden. Und zwar seien es oft die Palästinenser, die in den Kriegen von 1948 und 1967 von Israel vertrieben wurden, welche zu den Waffen greifen. Sie schießen auf israelische Siedlungen, die auf palästinensischem Territorium stehen. Viele dieser Lagerbewohner, so Rubinstein, "schauen Tag für Tag auf jene Häuser und Höfe, die einst die Heimstatt ihrer Vorfahren waren".

Die schweizerische Jüdische Rundschau veröffentlichte am 22. März 2001 ein Gespräch mit Professor Ernst L. Ehrlich anlässlich dessen 80jährigen Geburtstages. Ehrlich war von 1961 bis 1994 Direktor des europäischen Bnai Brith und ist seither dessen Ehren-Vizepräsident. Im fFolgenden dokumentieren wir ein paar Auszüge aus dem Interview, das uns freundlicherweise Diethelm Raff (Zürich) übermittelt und zusammengefasst hat.

Auf die Frage, ob es für die Erzielung eines Friedens zwischen Israel und seinen Nachbarn eine andere realistische Alternative als die Errichtung eines Palästinenserstaates gäbe, antwortete

Prof. Ehrlich: "Der Palästinenserstaat muss in jedem, Falle kommen, und er wird kommen. Die Frage ist nur der Zeitpunkt."

Welchen Preis müsse Israel dafür entrichten?

Prof. Ehrlich: "Der Preis wird zweifellos die Aufgabe von Siedlungen in rein palästinensischen Gebieten sein. Ich sehe beim besten Willen nicht ein, warum einige Siedlungen im Gazastreifen entstehen konnten. Israel hat dort nichts zu suchen. In der Westbank muss man von Fall zu Fall entscheiden welche Siedlung bestehen bleibt. Es ist aber nicht zu verantworten, dass eine Siedlung mit 50-60 Einwohnern von einem Mehrfachen an Soldaten bewacht werden muss."

Zur Frage, ob Israel die Palästinenser falsch eingeschätzt habe, weil deren Medien immer noch gegen Israel schreiben würden oder ob es sich dabei um eine politische Strategie der Palästinenser handle:

Professor Ehrlich: " Die Palästinenser wissen heute, so scheint mir, dass sie den Staat Israel nicht mehr beseitigen können. Auf der anderen Seite ist das ganze Besatzungssystem, einschliesslich der sogenannten Autonomie, für die Palästinenser unbefriedigend. Sie haben bisher sehr wenig von dem bekommen, worauf jedes Volk Anspruch hat. Israel hat sehr spät damit angefangen, die Palästinenser in ihrer eigenen Identität überhaupt ernst zu nehmen. Ich erinnere mich an einen Vortrag, in dem Golda Meir sagte, die Palästinenser seien wie die Kosaken, die durch die russischen Dörfer geritten seien und den Juden die Köpfe abgeschnitten hätten."

Diethelm Raff resümiert: "Eine bemerkenswerte Stellungnahme eines Mannes, der aus der eigenen Geschichte gelernt hat, dass anderen nicht dasselbe Unrecht angetan werden soll wie einem selbst und deshalb nicht nur vor Antisemitismus warnt. Ehrlich musste aus Hitler-Deutschland 1942 in die Schweiz nach Basel fliehen, wo er seine Studien weiterführen konnte.

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