"Verantwortung liegt in der Politik der Industrienationen"
Nach einem Brand in einer pakistanischen Textilfabrik, haben sich die Arbeitsbedingungen kaum verbessert. Gespräch mit Caren Lay *
Caren Lay ist verbraucherpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag.
Sie waren in der vergangenen Woche mit der deutsch-südasiatischen Parlamentariergruppe in Pakistan. Wen haben Sie dort getroffen?
Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir uns mit den Arbeitsbedingungen in der pakistanischen Textilindustrie beschäftigen, insbesondere mit dem Brand in der Ali-Enterprise-Fabrik im November 2012. Wir haben uns mit diversen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften getroffen und konnten auch mit Angehörigen der 260 Opfer sprechen. Das waren bewegende Momente. Erschreckend ist, dass uns alle übereinstimmend berichteten, dass die Verhandlungen über Entschädigungszahlungen ins Stocken geraten sind. Viele der Forderungen an den deutschen Textildiscounter Kik stehen nach wie vor aus.
Warum ist eine deutsche Firma Adressat für die Forderungen nach zumindest finanzieller Wiedergutmachung?
Die Firma Kik war der Auftraggeber dieses Betriebs. Es waren auch zwei Vertreter des Textildiscounters vor Ort, und wir konnten mit ihnen reden. Immerhin: Die Arbeitsbedingungen sind also für den Konzern, für die gesamte Branche zunehmend ein Thema. Und die Betroffenen wehren sich. Sie haben vor einem deutschen Gericht Klage eingereicht. Das ist ein Novum.
Wie haben sich die Konzernvertreter dafür gerechtfertigt, dass die Verhandlungen ins Stocken geraten sind?
Kik hat die erste Tranche der vereinbarten Summe gezahlt. Weitere Forderungen sind nicht erfüllt worden. Man muss sich, neben der Trauer und dem tragischen Verlust, auch die wirtschaftlichen Folgen vor Augen halten: In der pakistanischen Gesellschaft ist es für Frauen nur schwer möglich, außerhalb des Hauses zu arbeiten. So sind bei dem Brand bei Ali Enterprises auch überwiegend Männer gestorben, die jeweils der Haupternährer der Familie waren. Das macht es für sehr viele Menschen auch zu einem großen ökonomischen Problem. Daraus erklärt sich die Forderung der Hinterbliebenen, jeweils drei Jahresgehälter als Entschädigung auszuzahlen. Dem ist Kik allerdings nicht nachgekommen, obwohl es sich um Summen handelt, die angesichts der geringen Löhne in Pakistan für den Konzern verkraftbar wären.
Mit welcher Begründung entzieht sich der Konzern?
Zum einen bemängelt Kik die Transparenz der bisherigen Auszahlungen. Dem widersprechen allerdings Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sagen, dass exakt dokumentiert ist, wer wieviel Geld bekommen hat. Pakistanische Politiker behaupten, es habe sich um einen Terroranschlag gegen die Fabrik gehandelt. Gewerkschaften verneinen dies. Entscheidend ist aber gar nicht die Ursache des Brandes. Beschäftigtenorganisationen berichten, dass die Türen verschlossen wurden und die Fenster vergittert waren, die Menschen also dem Feuer nicht entkommen konnten. Man befürchtete wohl, dass die Arbeiter eine Jeans oder ähnliches klauen könnten.
Es gab weitere Unfällen und Katastrophen, nicht nur in Pakistan. Die Textilindustrie hat mittlerweile mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Haben sich die Arbeitsbedingungen dadurch vor Ort mittlerweile wenigstens etwas verbessert?
Auf dem Papier gibt es positive Veränderungen. So gibt es einen sogenannten GSP Plus Prozess mit der EU. Das heißt, Pakistan muss so gut wie keine Importzölle mehr bezahlen. Davon hat die dortige Wirtschaft um 1,5 bis zwei Milliarden Euro profitiert. Im Gegenzug musste das Arbeitsrecht verbessert werden. Allerdings gibt es kaum staatliche Aufsicht über die Arbeitsbedingungen. Die europäischen Firmen wenden sich an private Organisationen, die Betriebe zertifizieren. Das Niveau ist hier ganz unterschiedlich. Die niedergebrannte Kik-Fabrik hatte ein Zertifikat, dessen Echtheit die NGOs aber anzweifeln.
Könnten Verbraucher durch ihr Konsumverhalten etwas ändern?
Das wäre wünschenswert, ist aufgrund mangelnder Transparenz kaum möglich. Die Verantwortung liegt in der Politik der Industrienationen. Wir brauchen unter anderem ein Unternehmensstrafrecht, in dem festgelegt ist, dass Konzerne, die im Ausland produzieren lassen, verantwortlich sind für die Arbeitsbedingungen vor Ort.
Interview: Claudia Wrobel
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. April 2015
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