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"Organisierte Unsicherheit"

Brand in Textilfabrik: Opfervertreter und Verbände werfen KIK "Verzögerungstaktik" vor

Von Johannes Schulten *>

Zwei Jahre nach der Brandkatastrophe im pakistanischen Karatschi bleibt der deutsche Discounter KIK seine Verpflichtungen schuldig. Menschenrechtsorganisationen fordern eine Strafrechtsreform.

Zwei Jahre sind seit der Brandkatastrophe in der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi vergangen. Doch Verletzte und die Familien der Todesopfer warten noch immer auf den Großteil der vom deutschen Textildiscounter KIK vertraglich zugesicherten Hilfsgelder. »Nur ein kleiner Teil der vereinbarten Summe von einer Million US-Dollar wurde bisher verteilt«, so die Bilanz, die der pakistanische Rechtsanwalt und Vertreter der Hinterbliebenen des Fabrikbrandes, Faisal Siddiqi, am Freitag in Berlin zog. Die Verhandlungen mit KIK bezeichnete er als »blockiert«.

Die Organisatoren der Veranstaltung, die NGO Medico International, die Kampagne für Saubere Kleidung und der Berliner Menschenrechtsverein ECCHR, appellierten an die Bundesregierung, die Haftungsverpflichtungen für Unternehmen wie KIK im nationalen Recht zu erweitern.

Der Brand in Karatschi war die erste von drei Katastrophen in Textilfabriken, die die Weltöffentlichkeit in den letzten zwei Jahren zumindest kurzzeitig erschütterten. Im Herbst 2012 war in einer Textilfabrik in Bangladesch ebenfalls ein Feuer ausgebrochen; nur einige Monate später, im Frühjahr 2013, stürzte das Rana-Plaza-Hochhaus in Bangladesch ein – damals starben 1127 Menschen, in der Mehrzahl Näherinnen.

Nach neuesten Erkenntnissen starben in Karatschi insgesamt 255 Menschen, weil die Notausgänge verschlossen und nur ein einziger Ausgang des Gebäudes geöffnet war. 55 Personen wurden teils schwer verletzt, als sie sich mit Sprüngen vom Fabrikdach vor dem Feuer in Sicherheit bringen wollten. Das Groteske: Das italienische Textilunternehmen RINA hatte die Fabrik wenige Wochen vor dem Brand noch als sicher zertifiziert. Frauke Banse von der Kampagne für Saubere Kleidung sprach von »organisierter Unsicherheit«.

KIK hatte in allen drei Unglücksorten produzieren lassen, in Karatschi war der Discounter mit Sitz im nordrhein-westfälischen Bönen jedoch der Hauptabnehmer der hergestellten Produkte: 80 Prozent der dortigen Kapazitäten wurden von KIK genutzt.

Der Discounter hatte nach dem Unglück mit dem Pakistan Institut of Labour Education & Research, einer gewerkschaftlichen Initiative, die die Opfer vertritt, ein Hilfsabkommen unterzeichnet. In dem Dokument, das dem »neuen deutschland« vorliegt, verpflichtet sich das Unternehmen zu Soforthilfen in Höhe von einer Million US-Dollar für die Familien der Toten sowie zur Zahlung von bis zu 1300 US-Dollar für jeden Verletzten. Darüber hinaus sollen laut Abkommen weitere Langzeithilfen fließen und Mittel für den Aufbau von Arbeitsrechten in Pakistan bereitgestellt werden.

Banse warf KIK eine »Taktik der Verzögerung« vor. Der Discounter habe zahlreiche fest vereinbarte Verhandlungstermine mit Vertretern der Opfer abgesagt. Als es am vergangenen Mittwoch schließlich zu einem Treffen in Amsterdam kam, habe KIK Vertreter der Kampagne für Saubere Kleidung ausgeladen – »obwohl dieser im Vertrag der Status eines Dialogpartners zugestanden wird«, so Banse.

Um Katastrophen wie jene in Bangladesch oder Pakistan zukünftig zu verhindern, sehen die Organisatoren vor allem die Bundesregierung in der Pflicht: Sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht seien bereits Haftungsmaßstäbe für Unternehmen definiert, um Unternehmen wie KIK den Prozess zu machen. Diese sogenannten Verkehrssicherungs- und Sorgfaltspflichten müssten jedoch konkretisiert werden, um der Komplexität der globalen Zulieferer- und Wertschöpfungsketten gerecht zu werden, forderte Miriam Saage-Maaß vom ECCHR.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 19. Juli 2014


»Organisierte Verantwortungslosigkeit«

Fast zwei Jahre nach Brandkatastrophe in pakistanischer Textilfabrik: Discounter KiK will nichts mehr zahlen

Von Jana Frielinghaus **


Öffentlicher Druck ist entscheidend, wenn es darum geht, Unternehmen wie den deutschen Billigklamottenverkäufer KiK Textildiskont für Menschenrechtsverletzungen und Sicherheitsmängel in ihren Zulieferbetrieben in Fernost in die Pflicht zu nehmen. Dies ist die Überzeugung von Frauke Banse von der Kampagne für Saubere Kleidung, der deutschen Sektion der Clean Clothes Campaign (CCC). Am Freitag informierte die Nichtregierungsorganisation in Berlin gemeinsam mit Faisal Siddiqi, Rechtsanwalt der Hinterbliebenen der Brandkatastrophe in einer Fabrik des pakistanischen Textilunternehmens Ali Enterprises im September 2012, über aktuelle Gespräche mit KiK-Vertretern zu Entschädigungszahlungen. Das Ergebnis der Verhandlungen am Mittwoch in Amsterdam: KiK lehnt weitere Zahlungen ab.

Die Katastrophe, um die es geht, geriet – wie der Brand in der Fabrik Tazreen Fashion in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka mit 100 Toten im November desselben Jahres – in Westeuropa schnell nahezu in Vergessenheit. Der Grund: Der Einsturz des ebenfalls in Dhaka gelegenen Rana-Plaza-Gebäudes, bei dem am 24. April 2013 1138 Textilarbeiterinnen und -arbeiter starben und mehr als 2000 verletzt wurden, verdrängte die vielen vorangegangenen Desaster aus den Schlagzeilen.

In Karatschi war am Abend des 11. September 2012 in einer nicht offiziell registrierten Textilfabrik aufgrund eines Kurzschlusses ein Feuer ausgebrochen. Dabei starben mindestens 254 Arbeiterinnen und Arbeiter, 55 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Zahl der Opfer war so hoch, weil viele der 1500 Menschen, die dort an sechs Tagen pro Woche jeweils bis zu 14 Stunden für Hungerlöhne schufteten, faktisch im Gebäude gefangen waren. Die meisten der wenigen Fenster waren vergittert, das Haupttor verschlossen. Wenig später stellte sich heraus, daß in der Fabrik fast ausschließlich für den deutschen KiK-Konzern Kleidung hergestellt wurde.

Am 21. Dezember unterzeichnete KiK-Geschäftsführer Michael Arretz eine Übereinkunft mit dem Pakistan Institute of Labour Education & Research (PILER), einer Organisation von Gewerkschaftsaktivisten, für die auch Anwalt Siddiqi arbeitet. In dem dreiseitigen Vertrag, der jW in Kopie vorliegt, ist festgehalten, daß das Unternehmen mit Sitz im westfälischen Bönen den Hinterbliebenen und Verletzten insgesamt eine Million US-Dollar (740000 Euro) an Soforthilfe zahlt. Dies ist inzwischen auch geschehen. Im folgenden Satz heißt es, der »Beitrag« des Konzerns zur weiteren »Langzeitentschädigung« werde durch weitere Verhandlungen bestimmt.

Davon ist jetzt keine Rede mehr. Die KiK-Verantwortlichen vertreten inzwischen die Auffassung, »daß wir durch die Zahlung von einer Million US-Dollar sowohl zur kurzfristigen als auch zur langfristigen Unterstützung der Betroffenen bereits einen anteiligen Beitrag geleistet haben«. Künftige Hilfen müßten »von einer breiten Al­lianz getragen und gemeinsam ermittelt werden«, heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens vom Freitag.

PILER erwägt nun gemeinsam mit der in Berlin ansässigen Menschenrechtsorganisation ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) eine Klage wegen Vertragsbruchs vor einem deutschen Gericht. Miriam Saage-Maaß vom ECCHR hält ein solches Verfahren jedoch für sehr riskant. Nötig wäre, so die Rechtsanwältin, eine Anpassung des Straf- und Zivilrechts an die modernen Wirtschaftsbeziehungen, die durch »lange Lieferketten« geprägt sind. Diese Ketten mit zahllosen Subunternehmern seien von international agierenden Unternehmen gewollt, um stets sagen zu können, man habe von unhaltbaren Zuständen bei Zulieferern nichts gewußt. Saage-Maaß sieht hier ein »System der organisierten Verantwortungslosigkeit«.

CCC, ECCHR und die Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisa­tion Medico International setzen wegen dieser Rechtslage, die lange Verfahren und damit ein Zuspätkommen von Zahlungen an die vielfach bittere Not leidenden Familien der beim Brand ums Leben gekommenen Beschäftigten befürchten läßt, in erster Linie darauf, erneut den öffentlichen Druck auf KiK zu erhöhen. br>
** Aus: junge Welt, Samstag, 19. Juli 2014


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