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Über 50 Tote bei Terroranschlägen in Pakistan

Talibankämpfer greifen Flughafen der Metropole Karatschi an *

In Pakistan sind bei zwei verheerenden Terroranschlägen auf den internationalen Flughafen von Karatschi und eine schiitische Pilgergruppe mindestens 58 Menschen ums Leben gekommen. Bei der Attacke auf den Airport wurden in der Nacht zum Montag nach stundenlangen Schusswechseln über 30 Menschen getötet, darunter auch die zehn schwer bewaffneten Angreifer. Die islamistischen Taliban bekannten sich zu der Tat. In der westlichen Provinz Belutschistan an der Grenze zum Iran töteten Attentäter mindestens 24 Pilger. Auch die drei Angreifer starben. Zu den den Anschlägen bekannte sich die wenig bekannte sunnitische Extremistengruppe Jaishul Adil, wie der Sprecher der örtlichen Grenzschutztruppen am Montag berichtete.

Am Flughafen der Hafenstadt Karatschi, der mit rund zehn Millionen Einwohnern größten Stadt Pakistans, griffen als Polizisten verkleidete Islamisten ein Terminal an, wo Privatmaschinen und Frachtflugzeuge abgefertigt werden. Sie trugen Sprengstoffwesten und kamen mit gefälschten Ausweisen auf das Gelände. Der Ministerpräsident der Provinz Sindh, Syyed Qaim Ali Shah, erklärte, die Terroristen seien gut ausgebildet gewesen. Nach fünfstündigen Gefechten meldete Generalmajor Rizwan Akhtar, dass alle zehn Terroristen tot seien. Bei den Opfern ihrer Attacke handelte es sich nach offiziellen Angaben um 14 Mitglieder der Sicherheitskräfte und sieben Zivilisten. Der Flughafen konnte erst am Nachmittag den Flugbetrieb wieder aufnehmen.

Ein Sprecher der islamistischen Extremisten erklärte, der Angriff sei die Rache für Luftschläge der pakistanischen Armee auf »Unschuldige« in den Stammesgebieten nahe der Grenze zu Afghanistan. Im Mai waren bei den Angriffen nach Militärangaben rund 100 mutmaßliche Militante getötet worden, darunter hochrangige Talibananführer. Zuvor hatte es in monatelangen Bemühungen um eine Friedenslösung keine Fortschritte gegeben.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 10. Juni 2014


Vor dem Sturm

Pakistans Militärführung stellt Ultimatum und droht mit Großoffensive gegen Nordwasiristan. Überfall auf internationalen Flughafen der Hafenstadt Karatschi

Von Knut Mellenthin **


Mindestens zehn bewaffnete Männer haben am späten Sonntag abend den internationalen Flughafen der pakistanischen Hafenstadt Karatschi überfallen. Ziel war offenbar ein Terminal, der nur für Frachttransporte und für die Flüge von Politikern und anderen »wichtigen Persönlichkeiten« benutzt wird. Die Kämpfe endeten erst am Montag morgen. Außer den Angreifern kamen auch 18 oder 19 weitere Personen ums Leben, mehrheitlich Sicherheitspersonal.

Der Sprecher der pakistanischen Taliban-Organisation TTP, Shahidullah Shahid, gab am Montag eine Erklärung ab, der zufolge der Überfall eine Reaktion auf »das Töten unschuldiger Menschen bei Luftangriffen auf ihre Dörfer« gewesen sei. Die Operation sei schon früher geplant gewesen, aber wegen der von der Regierung im Februar eingeleiteten Friedensverhandlungen mit den Taliban verschoben worden. Inzwischen habe sich dieses Gesprächsangebot aber als »Instrument des Krieges« erwiesen. Der Angriff auf den Flughafen sei auch eine Vergeltung für die Tötung des TTP-Chefs Hakimullah Mehsud durch eine US-amerikanische Drohne im November 2013, heißt es in Shahids Stellungnahme weiter.

Falls hinter der Aktion wirklich die TTP stand, wofür die präzise Planung und Durchführung spricht, wäre es seit langer Zeit die erste große Operation der Taliban außerhalb der sogenannten Stammesgebiete im Nordwesten gewesen. Zuletzt hatten Aufständische im Mai 2011 einen Flottenstützpunkt in Karatschi angegriffen. Die bei weitem bevölkerungsreichste Stadt Pakistans ist auch das Wirtschafts- und Finanzzentrum des Landes. Unter ihren über 23 Millionen Einwohnern sind mehrere Millionen paschtunische Flüchtlinge und Einwanderer aus dem Nordwesten. Das macht Teile der riesigen Hafenstadt tendenziell zu Rückzugsgebieten der Taliban.

Die Aufnahme von Gesprächen mit den Aufständischen hatte zum Programm der konservativen PML-N gehört, die im Mai 2013 als klare Siegerin aus der Parlamentswahl hervorging und seither mit Nawaz Sharif den Regierungschef stellt. Das Ziel einer politischen Beendigung des Bürgerkriegs wird von der nach Stimmen stärksten Oppositionspartei, der PTI, unterstützt. Dagegen lehnen die bis 2013 regierende PPP, die die zweitgrößte Fraktion im Parlament stellt, und andere Oppositionsparteien diesen Versuch ab und stellen ihn als Kapitulation dar.

Die mächtige Militärführung, die schon mehrmals in der Geschichte des Landes das Parlament entmachtete, tolerierte die Gespräche von Anfang an nur scheinbar – in der sicheren Erwartung ihres Scheiterns. Mit massiven Luftangriffen auf Ziele in den Stammesgebieten, vor allem auf Nordwasiristan, versetzte das Militär den sich ohnehin schon dahinschleppenden Verhandlungen im Mai vermutlich den Todesstoß. Erneut wurde dadurch eine Fluchtbewegung von bisher etwa 20000 Menschen aus den bombardierten und beschossenen Gebieten ausgelöst.

Die Panik in der Bevölkerung wird durch ein Ultimatum verstärkt, das der zuständige Militärkommandeur für die Region am Freitag auf einer von ihm einberufenen Versammlung der Stammesältesten in Nordwasiristan bekanntgab: Er forderte von ihnen, innerhalb von 15 Tagen für die Vertreibung aller »Ausländer« aus ihrem Gebiet zu sorgen. Anderenfalls würde eine Großoffensive der Streitkräfte beginnen. Tatsächlich haben sich viele Kämpfer aus anderen Ländern – Usbeken, Tadschiken, Tschetschenen, Araber und andere – dorthin zurückgezogen. Zugleich ist der Begriff »Ausländer« im Grenzgebiet zu Afghanistan aber problematisch, weil viele wechselseitige Verwandtschaftsbeziehungen bestehen.

Nordwasiristan ist der einzige Teil der Stammesgebiete, der in den letzten Jahren von Bodenoperationen des Militärs verschont blieb, obwohl Abgesandte der US-Regierung immer wieder offen und direkt gefordert hatten, die dortigen Stützpunkte der pakistanischen und afghanischen Taliban auszuschalten. Die angedrohte Offensive würde zu einer humanitären Katastrophe mit über hunderttausend Flüchtlingen führen.

*+ Aus: junge Welt, Dienstag 10. Juni 2014


Botschaft an Sharif

Olaf Standke über die Taliban-Attacke in der pakistanischen Metropole Karatschi ***

Sie trugen Uniformen und sie wollten wohl ein Flugzeug entführen. Als der Plan zu scheitern drohte, machten die schwer bewaffneten Taliban daraus einen Angriff auf den Flughafen der größten pakistanischen Metropole. Nach sechstündigen Gefechten gibt es offiziell über 30 Tote und das Eingeständnis des Provinzchefs, dass eine Attacke in dieser Dimension im wahrlich terrorgeplagten Karatschi zuvor noch nicht zu sehen war.

Als Racheakt für den Tod Unschuldiger bei Bombardements in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze und Botschaft an die Regierung in Islamabad wollen die islamistischen Extremisten den Angriff verstanden wissen. Anfang März hatten sie eine Waffenruhe ausgerufen, um Friedensgespräche zu erleichtern. Doch die ist inzwischen wieder gekündigt und die Zahl der Anschläge wächst sprunghaft. So starben jetzt bei einem weiteren Angriff auf schiitische Pilger an der Grenze zu Iran über 20 Menschen. Premier Nawaz Sharif war angetreten, um endlich einen nachhaltigen Dialog mit den Taliban zu führen und eine Verhandlungslösung im seit über zehn Jahre andauernden Konflikt zu finden. Auch dieser Plan dürfte nun gescheitert sein. Nicht zuletzt dank Washington: Am Vorabend der Gespräche ließ die Obama-Regierung den Taliban-Chef Hakimullah Mehsud durch eine Drohne töten. Sein Nachfolger Mullah Fazlullah gilt als noch brutaler.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag 10. Juni 2014 (Kommentar)


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