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Brüchiger Frieden

Pakistan: Friedensgespräche durch Provokationen des Militärs und einzelner Rebellengruppen belastet

Von Knut Mellenthin *

Ein neuer Terrorakt in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad gefährdet möglicherweise die Wiederaufnahme der Friedensgespräche zwischen der Regierung und den einheimischen Taliban. Beim Überfall auf eine Gerichtssitzung wurden am Montag mindestens elf Menschen getötet, darunter nach ersten Berichten ein Richter und zwei Anwälte. 30 weitere Personen wurden verletzt. Mehrere Männer, die mit Sprengstoffgürteln, Handgranaten und Schußwaffen ausgerüstet waren, hatten offenbar versucht, einen Angeklagten zu befreien.

In den überwiegend prowestlichen englischsprachigen Medien Pakistans wurde sofort über eine Beteiligung der Taliban an der Aktion spekuliert, obwohl dafür zunächst keine Anhaltspunkte bekannt waren. Aus den ersten Berichten ging nicht hervor, um welchen kriminellen oder politischen Hintergrund es in dem angegriffenen Gerichtsverfahren ging. Der Sprecher des bedeutendsten Taliban-Verbandes TTP, Schahidullah Schadid, sagte mit ungewohnter Deutlichkeit und Schärfe, daß seine Organisation den Überfall verurteile. Er setzte hinzu, daß man die Terrorakte der letzten Tage nicht mit der TTP in Verbindung bringen solle. Schahid hatte der Presse auch schon früher wiederholt mitgeteilt, daß bestimmte Anschläge nicht von der TTP durchgeführt worden seien, hatte aber eine ausdrückliche Verurteilung vermieden.

Die TTP, ein Dachverband zahlreicher örtlicher und teilweise rivalisierender Gruppen, hatte am Sonnabend einseitig eine einmonatige Waffenruhe bekanntgegeben. Wenige Stunden vorher waren mindestens zwölf Menschen getötet worden, als Unbekannte einen Polizeikonvoi mit ferngesteuerten Straßenminen und Schußwaffen angegriffen hatten. Die Polizisten waren zum Schutz von medizinischem Personal eingesetzt, das an Impfungen gegen Kinderlähmung beteiligt war. Viele – wenn auch nicht alle – Taliban-Gruppen lehnen diese Impfungen ab. Die Begründungen dafür reichen von Spionagevorwürfen bis zu Behauptungen, daß ausländische Agenten die muslimische Bevölkerung unfruchtbar machen wollten. Pakistan ist neben Afghanistan und Nigeria eines der ganz wenigen Länder, wo die weltweit fast ausgerottete Krankheit immer noch auftritt.

Als Reaktion griffen Kampfhubschrauber der Luftwaffe angebliche Taliban-Stützpunkte in der Khyber-Region, einer Verwaltungseinheit in den sogenannten Stammesgebieten in Nordwestpakistan, an und töteten nach eigenen Aussagen fünf oder sechs Aufständische. Die Operation habe sich gegen eine kaum bekannte kleine Taliban-Gruppe, die Abdullah-Izam-Brigade, gerichtet, die für den Anschlag auf den Polizeikonvoi verantwortlich gewesen sei, teilten Militärsprecher mit. Zu diesem Zeitpunkt war das Waffenstillstandsangebot der TTP bereits bekannt.

Es kam daher etwas überraschend, daß Innenminister Chaudhry Nisar Ali Khan am Sonntag bekanntgab, daß sich die Regierung »nach der gestrigen positiven Ankündigung der Taliban« entschlossen habe, die Luftangriffe auszusetzen. Regierung und Streitkräfte behielten sich jedoch vor, jeden Gewaltakt der Aufständischen mit voller Härte zu beantworten.

Premierminister Nawaz Scharif hatte Ende Januar Friedensgespräche mit der TTP eingeleitet. Allerdings kam es nur zu einem einzigen Treffen von Vertretern beider Seiten am 6. Februar. Kurz darauf gab es einen Anschlag auf einen Polizeibus in Karatschi, der größten Stadt des Landes, bei dem 13 Menschen getötet wurden. Das Militär reagierte mit Luftangriffen gegen Ziele in Nordwasiristan und Khyber. Am 17. Februar erklärte die Regierung den Abbruch der Verhandlungen, nachdem eine Taliban-Gruppe die Ermordung von 23 Soldaten verkündet hatte, die sich seit 2010 in ihrer Gefangenschaft befunden hatten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. März 2914


Trotz Bombenanschlägen: Neuer Anlauf für Friedensgespräche in Pakistan **

Islamabad. Die pakistanische Regierung hat die Gespräche mit den Taliban wieder aufgenommen. Eine von dem Regierungsberater Irfan Siddiqi geführte Delegation kam am Mittwoch in der Provinz Khyber-Pakh­tunkhwa mit dem von der pakistanischen Taliban (TTP) beauftragten Geistlichen Sami ul Haq zusammen. Auf Initiative von Premierminister Nawaz Sharif hatten bereits vor einem Monat Gespräche begonnen. Die Regierung setzte die Verhandlungen jedoch später aus, nachdem eine TTP-Gruppe 23 Soldaten ermordet hatte. Die Luftwaffe flog mehrere Angriffe auf Taliban-Stellungen, bei denen nach Angaben aus Sicherheitskreisen mehr als 120 Aufständische getötet wurden. Die TTP erklärte am vergangenen Samstag eine einmonatige Waffenruhe. Die Regierung kündigte am Tag darauf ein Ende der Bombardements an, behielt sich aber vor, diese wieder aufzunehmen.

Zwei Tage nach Verkündung der Waffenruhe hatten am Montag in der Hauptstadt Islamabad (Foto) zwei Selbstmordattentäter mindestens elf Menschen mit in den Tod gerissen. Die TTP verurteilte die Tat. Am Mittwoch wurden im nordwestpakistanischen Distrikt Hangu nach Angaben aus Sicherheitskreisen sechs Soldaten bei einem Bombenanschlag getötet.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 6. März 2014


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