"Invasion in Pakistan wäre ein großer Fehler"
USA und NATO haben den Krieg in Afghanistan nahezu verloren. Die Ausweitung der Kampfzone auf das Nachbarland ist nicht hinnehmbar. Ein Gespräch mit Akram Zaki
Akram Zaki war Außenminister Pakistans und von 1997 bis 2002 Mitglied des Senats in Islamabad. Von 1954 an war er im diplomatischen Dienst seines Landes tätig, unter anderem war er Botschafter in den USA, in China und auf den Philippinen.
Eine Niederlage der USA in Afghanistan wäre ein schwerer Schlag gegen
Washingtons imperiale Ambitionen. Nähmen die Vereinigten Staaten zur
Abwendung einer militärischen Schlappe die Destabilisierung der
Nuklearmacht Pakistan in Kauf?
Die USA haben den Krieg in Afghanistan nahezu verloren. Während
US-Präsident Barack Obama am Rückzug aus dem Irak bastelt, schickt er
immer mehr Truppen nach Afghanistan und verlängert mit der Strategie »Af
Pak« den Feldzug. Als die USA seinerzeit in Vietnam verloren, griffen
sie Kambodscha am. Dann mußten sie in Schande gehen. Wenn sie den
gleichen Fehler in unserer Region wiederholen, wird das Ergebnis ähnlich
sein.
Vor zwei Jahren sagten Sie, die USA wollen Pakistan destabilisieren,
entislamisieren und denuklearisieren. Ihre Regierung, enger Verbündeter
der USA, hat da eine ganz andere Position.
Ich bin immer noch der gleichen Ansicht. Pakistan und China sollen
entzweit werden, unser Land soll »freundschaftliche« Beziehungen zu
Indien, und zwar zu Indiens Bedingungen, aufbauen. Die Destabilisierung
von Pakistan ist das geeignete Instrument zum Erreichen dieser Ziele.
Die USA bauten Indien zu einem strategischen Partner für ihre Politik in
der Region gegen China, Pakistan und Iran auf. Globale und regionale
Hegemonialmächte arbeiten hier zusammen.
Seit April führt die pakistanische Armee auf heftigen Druck aus
Washington eine militärische Offensive im Nordwesten Ihres Landes, um
dort die Taliban zu eliminieren.
Die militärische Operation gegen die wachsende Bedrohung durch den
Terrorismus war unvermeidlich geworden. Es war schon fast zu einem
großen Aufstand infolge verstärkter Einmischung von außen gekommen.
Von außen?
Die afghanischen Taliban, in der Mehrzahl Paschtunen, leisten Widerstand
gegen die ausländischen Besatzungstruppen. Sie wehren sich gegen die USA
und die NATO wie seinerzeit gegen die Sowjets. Die pakistanischen
Taliban hingegen sind ein durcheinandergewürfelter Haufen, bestehend aus
religiösen Extremisten, kriminellen Elementen und einigen ausländischen
Agenten, die von unseren Nachbarn und ihren mächtigen internationalen
Alliierten unterstützt, finanziert und bewaffnet werden.
Pakistans Geheimdienst ISI argumentiert, die Offensive der US-Marines in
der südafghanischen Provinz Helmand dränge Taliban-Kämpfer ins
pakistanische Belutschistan, was dort zur Destabilisierung führe.
Es gibt zunehmend Beweise, daß die US- und NATO-Truppen mehr und mehr
afghanische Widerstandskräfte nach Pakistan verdrängen. Hintergrund: Sie
wollen das Leben der US-amerikanischen und NATO-Soldaten retten und
hoffen, daß die pakistanische Armee deren Feinde auf pakistanischem
Boden bekämpft. Das hat schwerwiegende Folgen für unsere Sicherheit und
Stabilität. Mein Land wird gezwungen, zusätzliche Streitkräfte von der
Ost- an die Westgrenze zu verlegen, um den Zustrom in unsere Gebiete
kontrollieren zu können.
Zwischen 1996 und 2001 kontrollierten die Taliban mit Unterstützung der
pakistanischen Regierung das Nachbarland Afghanistan.
Ja, die Taliban-Regierung in Afghanistan verursachte uns keinerlei
Probleme. Sie beseitigten dort den gesamten Mohnanbau, schränkten den
Drogenhandel sehr stark ein, kontrollierten die Verbreitung von Waffen,
hielten Recht und Ordnung aufrecht. Nach dem 9. September machte
Diktator Pervez Musharraf, unser Präsident, unter amerikanischem Druck
eine Kehrtwendung in der Hoffnung, seine unpopuläre Regentschaft mit
Unterstützung der USA verlängern zu können. Er profitierte persönlich,
aber das Land leidet, da er aus eigenen egoistischen Gründen
pakistanische Interessen den Interessen des Imperiums unterordnete.
Mittelschicht, Zivilgesellschaft und Medien erheben ihre Stimmen immer
lauter dagegen, damit Außen- und Innenpolitik zum Schutz der
lebenswichtigen nationalen Interessen neu bestimmt werden.
Obamas Kriegserweiterungsstrategie »Af Pak« zielt darauf ab, »Al Qaida
zu isolieren und zu zerschlagen und ihre sicheren Häfen zu zerstören«.
Hat Al Qaida in Ihrem Land eine Basis?
Die pakistanische Regierung hat um zuverlässige
Geheimdienstinformationen gebeten über Verstecke von Al-Qaida, falls
überhaupt vorhanden. Es kam aber nichts. Al-Qaida und Taliban wurden
seinerzeit vom amerikanischen Geheimdienst CIA kreiert im Kampf gegen
die Sowjets, nun sind die USA ihr Feind.
Befinden sich US-Kampfverbände in Pakistan?
Es gibt Berichte, die USA wollten einige Truppen entsenden, aber
Pakistan habe nicht zugestimmt. Eine begrenzte Anzahl von Ausbildern ist
allerdings vor Ort.
Eine Frage der Zeit, bis US-Truppen in Ihr Land eindringen?
Wiederholte Behauptungen, Al-Qaida-Führer, einschließlich Osama bin
Laden, versteckten sich in Pakistan, bergen die Gefahr der Verletzung
der territorialen Integrität. Obamas Konzept deutet an, daß die USA auch
unser Territorium als Kriegsgebiet betrachten. Eine Invasion in Pakistan
wäre ein großer Fehler.
Wo ist Osama bin Laden?
Als Osama bin Laden für die CIA gegen die Sowjetunion arbeitete, war er
eine reale Person aus Fleisch und Blut. Nach dem 11. September 2001, dem
die Invasion in Afghanistan und eine massive Bombardierung dieses
unglücklichen Landes folgten, ist er ein Mysterium. Es gibt keine
verläßlichen Nachrichten, ob er tot oder lebendig ist. Die meisten
Menschen glauben, er sei tot. Er wird am Leben gehalten als ein Geist,
als ein politisches Instrument, das zur Rechtfertigung künftiger
militärischer Abenteuer benutzt werden kann.
Sind US-Raketenangriffe auf pakistanische Dörfer nicht als Invasion zu
werten?
Die Drohnenangriffe, so wird behauptet, richten sich gegen Al-Qaida,
jedoch sind die meisten der Toten und Verletzten Zivilisten,
insbesondere Frauen und Kinder. Die Menschen in Pakistan empfinden diese
Überfälle als Aggression.
Es heißt, die pakistanische Armee habe die Kontrolle über die Region
des Swat-Tals wiedererlangt, nachdem die Taliban verjagt worden sind.
Diese hätten Städte und Dörfer übernommen – in Verletzung eines
Friedensabkommen, das wiederum die Einführung des islamischen Rechts in
der Region erlaubte.
Das Friedensabkommen wurde von allen Seiten verletzt, denn jede Seite
hatte ihre eigene Auslegung. Die Einführung der islamischen Gesetze war
eine alte lokale Forderung. Hierzu gab es schon 1994 und 1999 Abkommen,
die nie umgesetzt wurden. Das ist auch der Grund, warum die Extremisten
so populär wurden. Einige Kriminelle und ausländische Agenten heizten
die Turbulenzen dann an und schufen am Ende die wirklich ernste Situation.
Obama macht nichtmilitärische US-Hilfe für Pakistan im Wert von 1,5
Milliarden US-Dollar pro Jahr von den Bemühungen der Regierung zur
Bekämpfung der Taliban und Al-Qaida-Kämpfer abhängig. Ist das nicht
Erpressung?
Es war ein amerikanischer Krieg, und Pakistan wurde zu einem wichtigen
Opfer. Pakistan hat jetzt diese Geißel zu bekämpfen und ist unglücklich
über die »Unterstützung zu Bedingungen«. Es werden Gespräche geführt,
das zu kontern.
Allerdings wünscht sich Pakistan jetzt von den USA Drohnen und anderes
Kriegsgerät, um die Offensive gegen die Taliban ausweiten zu können. Wie
kann die Bevölkerung gewinnen, wenn sie bombardiert wird?
Ja, Drohnen- und andere Luftangriffe führen nur zum Verlust unschuldigen
Lebens. Das verursacht tatsächlich Wut und antiamerikanische sowie
Stimmung gegen die Regierung in Islamabad. Gleichzeitig produziert es
Sympathie sowie potentielle Unterstützung für Extremismus.
Die Stämme in den semiautonomen Regionen entlang der Grenze zu
Afghanistan haben sich gegen die pakistanische Regierung vereinigt. Wird
Ihr Land demnächst von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen
erschüttert werden?
Die Bereiche der sogenannten föderal verwalteten Stammesgebiete, kurz
FATA, und vor allem Nord- und Südwasiristan sind schwer zu befrieden.
Ausländische Agenten sind dort ziemlich aktiv. Militäraktionen könnten
die Konflikte wahrlich verlängern. Einen nuklear bewaffneten
Al-Qaida-Gottesstaat Pakistan wird es nie geben.
Interview: Jürgen Cain Külbel
* Aus: junge Welt, 14. August 2009
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