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Strategische Umorientierung

Pakistan wendet sich von US-Bündnispartner ab. Geheimdienst ISI auf Washingtons Terrorliste

Von Rainer Rupp *

In den vergangenen Monaten sind die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan auf einen neuen Tiefstand gefallen. Nun scheint der vielschichtige Interessenkonflikt in eine neue Phase übergegangen zu sein. Einem Bericht des Wall Street Journal vom 27. April zufolge hat Pakistan versucht, die US-amerikanischen Ziele in Afghanistan massiv zu untergraben.

Beim bilateralen Gipfeltreffen am 16. April in Kabul habe der pakistanische Ministerpräsident Yousuf Raza Gilani seinen afghanischen Amtskollegen Hamid Karsai beschworen, einen von Washington angestrebten Vertrag über eine strategische Partnerschaft, nicht zu unterzeichnen. Das Papier würde den USA im Falle eines Abschlusses langfristige Rechte für die Errichtung von Militärbasen am Hindukusch sichern.

Gilani soll demnach Karsai nahe gelegt haben, für die Zukunft seines Landes nicht länger auf die USA zu setzen, sondern in Richtung Pakistan zu blicken. Sein Land könne bei den Verhandlungen mit den Taliban helfen sowie in Richtung China vermitteln, das mit seiner Finanzmacht besser nach Gilanis Meinung als die USA zur wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans beitragen könne. Das berichtete das New Yorker Blatt unter Berufung auf »US-freundliche« Teilnehmer am Gipfel.

In der Vergangenheit hat es zwischen Washington und der pakistanischen Hauptstadt Rawalpindi schon öfters gekracht. Große Sorgen über einen möglichen Schaden der Beziehungen haben sich die US-Amerikaner bisher jedoch nicht gemacht. Trotz wiederholten Aufbegehrens schien die politische und militärische Führung Pakistans kein wirkliches Interesse zu haben, vom Tropf der USA abzulassen. Mit dem Plan für die US-Basen aber scheinen die US-amerikanischen Vorstellungen für die Neuordnung der afghanisch-pakistanischen Großregion die pakistanischen Sicherheitsinteressen zu untergraben. Ein Grund dafür sind die wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Aktivitäten, die Indien mit US-Wohlwollen in Afghanistan entwickelt. Diese werden von Pakistan besonders mißtrauisch beäugt, denn in Indien sieht es seinen Erzfeind und strategischen Rivalen in der Region.

In Afghanistan wiederum sieht Pakistan sein »strategisches Hinterland«, vom dem bei einem Konflikt mit Indien keine Gefahr für Pakistan ausgehen darf. Vor allem aber scheint der fortdauernde Versuch Washingtons, mit den Taliban doch noch zu einem Verhandlungsfrieden zu kommen, in Rawalpindi für Empörung zu sorgen. Denn Pakistan ist von den Verhandlungen ausgeschlossen, während Indien aktiv beteiligt ist.

Bei der pakistanischen Führung scheint sich offensichtlich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, daß die USA sich von einem Verbündeten zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheitsinteressen gewandelt haben. Das legt zumindest die Aussage eines hochrangigen pakistanischen Teilnehmers am Gipfel in Kabul nahe, der im Wall Street Journal zitiert wird: »Wenn die US-Amerikaner gehen wollen, dann sollen sie gehen. Pakistan ist der einzige Garant seiner eigenen Interessen.« Und die verfolgt Pakistans mächtiger Geheimdienst ISI, indem er weiterhin enge Beziehungen zu vielen in Afghanistan kämpfenden Taliban unterhält. Denn die Taliban sind Pakistans strategischer Trumpf, um zu verhindern, daß im post-US-amerikanischen Afghanistan pakistanfeindliche Kräfte an die Macht kommen.

Derweil berichtete der britische Guardian am 25. April unter Berufung auf Wikileaks-Dokumente, daß Washington den ISI auf die Liste der Terroristengruppen gesetzt habe.

* Aus: junge Welt, 29. April 2011


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