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Welche Auswirkungen könnten die US-Luftangriffe haben?

Zur Situation in Pakistan und dem Verhältnis zu den USA antwortet Citha D. Maaß von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik*

Was war passiert?

  • "Bei einem US-Luftangriff auf ein nordpakistanisches Dorf, in dem offenbar ranghohe El-Kaida-Vertreter vermutet wurden, sind am 13. Januar 2006 mindestens 18 Bewohner getötet worden. Unter den Opfern sind mehrere Frauen und Kinder. Die Behörden in Pakistan zweifelten Medienberichte an, wonach bei dem Drohnen-Angriff nahe der Grenze zu Afghanistan auch Bin-Laden-Stellvertreter Aiman el Sawahiri getötet worden sein soll. Die Regierung in Islamabad legte bei den USA scharfen Protest gegen den Luftangriff auf ihrem Territorium ein. Bei dem Angriff wurden einem Augenzeugen zufolge zunächst mehrere Gästehäuser bombardiert. Kurz darauf sei ein daneben liegender Wohnkomplex vollständig zerstört worden. Nach Angaben eines anderen Zeugen sind die Opfer sämtlich Dorfbewohner. Ein ranghoher Vertreter der pakistanischen Sicherheitskräfte bestätigte, die Toten seien ausschließlich örtliche Stammesangehörige ohne jeglichen erkennbaren Kontakt zu Terrorgruppen. Ausländer seien nicht darunter. Sawahiri ist Ägypter. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass sich Sawahiri in dem angegriffenen Dorf Damadola in der Region Bajur aufgehalten habe, sagte ein pakistanischer Geheimdienstvertreter. Ein Regierungsbeamter bekräftigte, es sei unwahrscheinlich, dass der Stellvertreter von El-Kaida-Chef Osama bin Laden in dem Ort gewesen sei." (AFP, 14.01.2006)
  • "Die pakistanische Regierung hat bei den USA scharfen Protest gegen den Luftangriff auf ihrem Territorium eingelegt. Außenminister Riaz Khan habe US-Botschafter Ryan Crocker einbestellt und ihm eine Protestnote überreicht, sagte Ministeriumssprecherin Tasnim Aslam am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Der pakistanische Informationsminister Sheikh Rashid verurteilte den US-Angriff mit mindestens 18 Toten als "hochgradig verdammenswert". Er bedauere zutiefst, dass bei dem Zwischenfall so viele Zivilisten ums Leben gekommen seien." (AFP, 14.01.2006)
  • US-Außenministerin Condoleezza Rice hat den US-Luftangriff auf ein Dorf in Pakistan indirekt verteidigt: Sie könne sich zu den "Details dieses speziellen Umstandes" nicht äußern, sagte Rice; das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet sei aber "extrem schwierig". "Die pakistanischen Truppen versuchen, die Kontrolle zu erlangen und wir versuchen, ihnen dabei zu helfen", sagte Rice. (AFP, 16.01.2006)
  • Tausende Pakistaner haben am 15. Januar gegen einen US-Bombenangriff protestiert, der allem Anschein nach den Al-Kaida-Vize Ajman al Sawahri verfehlte. Allein in der größten Stadt Karachi gingen rund 10.000 Demonstranten auf die Straße und skandierten Parolen wie "Tod für Amerika". Hunderte Polizisten mit Schlagstöcken waren in Karachi stationiert. Die Protestaktion ging jedoch ohne Zwischenfälle nach etwa einer Stunde zu Ende. Auch in der Hauptstadt Islamabad sowie in Lahore, Multan, Peshawar und Samarbagh versammelten sich mehrere hundert Demonstranten. Bereits am 14. Januar hatten tausende Dorfbewohner zum Teil gewaltsam gegen die Militäraktion protestiert. Sie sprachen von mehr als 30 Toten, Ärzte gaben die Zahl mit mindestens 17 an. Ein Abgeordneter der Islamistischen Partei, Sahibzada Haroon ur Rashid, sagte, bei den Opfern handele es sich ausschließlich um Zivilpersonen. Der US-Luftangriff sei Terrorismus. (AP, 16.01.2006)
  • Bei dem US-Luftangriff auf ein pakistanisches Dorf sind in der vergangenen Woche nach Geheimdienstinformationen mehrere führende El-Kaida-Mitglieder getötet worden. Unter den vermutlich vier getöteten Extremisten sei der Schwiegersohn von El-Kaida-Vize Aiman el Sawahiri, sagte ein hochrangiger pakistanischer Geheimdienstmitarbeiter am 19. Jan. Auch der Bombenspezialist Midhat Mursi soll getötet worden sein. Pakistans Informationsminister Scheikh Rashid sagte, die Regierung überprüfe derzeit noch die Identität der Toten. (AFP, 19.01.2006)
  • Rund eine Woche nach dem amerikanischen Luftangriff auf ein pakistanisches Dorf gibt es weiter keine gesicherten Erkenntnisse über Al-Kaida-Extremisten unter den Opfern. Der pakistanische Ministerpräsident Shaukat Aziz erklärte am 20. Jan. bei einem Besuch der Vereinten Nationen in New York, es lägen keine handfesten Beweise dafür vor, dass unter den Toten auch ranghohe Funktionäre des Terrornetzwerks gewesen seien. Aziz sagte, Ermittler vor Ort hätten ihm mitgeteilt, sie könnten nach wie vor keine klaren Aussagen machen, ob sich zum Zeitpunkt des Luftangriffs eine bestimmte Gruppe oder eine bestimmte Person in dem Dorf Damadola aufgehalten habe.
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das der Wiener "Standard" mit der Politikwissenschaftlerin Citha D. Maaß, Berlin, führte und in der Online-Ausgabe am 16. Januar 2006 veröffentlichte.



derStandard.at: Gibt es noch irgendwelche Zweifel, dass die Luftangriffe im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan auf das Konto der USA gehen?

Citha Maaß: Bei den jetzt vorliegenden Informationen kann man davon ausgehen, dass die USA bzw. die amerikanischen Spezialkräfte auf afghanischer Seite für den Angriff verantwortlich sind.

Der führende US-Senator John McCain hat inzwischen gegenüber CBS den Angriff zwar bedauert, kann aber nicht ausschließen, dass solche Aktionen nicht wieder vorkommen, wenn es der Kampf gegen den Terror erfordert.

derStandard.at: Verboten ist es dennoch.

Maaß: Nach völkerrechtlichen Prinzipien ist es natürlich nicht erlaubt. Das ist ein Angriff auf einen souveränen Staat, auf einen vermuteten Unterschlupf eines Terroristen. Es ist definitiv eine Verletzung der pakistanischen Souveränität.

derStandard.at: Afghanistans Präsident Karzai hat heute trotzdem gemeint, die USA könnten "von überall aus" derartige Angriffe starten.

Maaß: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Staatspräsident ausländischen Streitkräften einen Freibrief für Angriffe auf das Territorium seines Staates gibt. Zumindest nicht, wenn er zuvor nicht von der anderen Regierung konsultiert wurde.

derStandard.at: Denken Sie, dass Musharraf konsultiert wurde?

Maaß: Das bezweifle ich in diesem Fall. Bei größeren Aktionen ja - zum Beispiel wurde Musharraf am 6. Oktober 2001 von den USA über die am 7. Oktober beginnenden US-Luftangriffe auf Afghanistan informiert. Das hatte aber eine andere Qualität als dieser jüngste Angriff mit unbemannten Drohnen.

derStandard.at: Es ist bekannt, dass die CIA in der Region Jagd auf El Kaida-Mitglieder macht. Seit Dezember war dies bereits der dritte mysteriöse Luftangriff. Warum überlässt man den Job nicht den pakistanischen Sicherheitskräften?

Maaß: Grundsätzlich wird die CIA wichtige Aktionen immer in eigener Verantwortung machen. Zudem gibt es auf der pakistanischen Seite ein Problem: Derzeit geht man davon aus, dass Musharraf über die oberen Ränge des Militärs und Geheimdienstes eine fast vollkommene Kontrolle ausübt.

Im Grenzgebiet zu Afghanistan gibt es jedoch eine andere Situation. Dort sind für den operativen Bereich rangniedrigere Kader des militärischen Geheimdienstes ISI verantwortlich, die selbst zur paschtunischen Ethnie gehören. Diese ethnisch verwandten Kader mit ausgezeichneten Informationszugang haben in der Taliban-Zeit wichtige Information hin- und hergebracht.

Über diese kann Islamabad keine so gute Kontrolle ausüben, weil sich hier ethnische mit militärischen und politischen Loyalitäten überschneiden. Paschtunisch ausgerichtete untere Ränge dürften also nicht als zuverlässige Partner für die CIA in Frage kommen. Genau an diese Ränge muss sich die CIA aber wenden, wenn sie Informationen über Untergeschlüpfte haben möchte.

derStandard.at: Für wen sind diese unteren Ränge tätig?

Maaß: Das hängt von Fall zu Fall ab und ist auch eine Geldfrage.

Es gibt aber auch Beispiele, bei denen die Zusammenarbeit mit CIA funktioniert hat. Zum Beispiel im Fall von Aimal Kansi, einem pakistanischen Terroristen. Kansi verübte 1993 einen Anschlag auf CIA-Mitarbeiter direkt vor dem CIA-Haupteingang in Langley, floh dann nach Pakistan und tauchte in Afghanistan unter. 1997 wurde er mit Hilfe genau dieser paschtunischen ISI-Ränge in einen Hinterhalt nach Pakistan gelockt, vom CIA verhaftet und mit Zustimmung der pakistanischen Regierung an die USA ausgeliefert.

derStandard.at: Warum können sich Terroristen gerade im Grenzgebiet zu Afghanistan versteckt halten?

Maaß: Da müssen wir auf die letzten 200 Jahre zurück gehen, denn bereits den Briten gelang es nicht, in den drei Anglo-Afghanischen Kriegen diese Grenzgebiete unter ihre Kontrolle zu bringen.

Es ist ein Gebiet, in dem auf pakistanischer wie afghanischer Seite sehr eigenmächtige Stämme herrschen. Und was genau so wichtig ist: Es ist ein Hochgebirgsgebiet, das schon allein aus geographischen Gründen sehr schwierig zu kontrollieren ist.

derStandard.at: Halten Sie es für möglich, dass sich Bin Laden hier noch immer versteckt hält?

Maaß: Das ist denkbar.

derStandard.at: Pakistans Militärmachthaber Pervez Musharraf hat direkte Kritik am Vorgehen der USA vermieden, dagegen gab es in der Bevölkerung massive Proteste. Könnten die Luftschläge Musharraf den Kopf kosten?

Maaß: Musharraf musste natürlich eine offene Kritik vermeiden, weil er ein direkter Verbündeter der USA im Kampf gegen den Terror ist. Das ist aber genau die Gratwanderung, die er gehen muss, da ein erheblicher Anteil der Bevölkerung gegen diese enge Zusammenarbeit mit den USA ist.

Was es in der jetzigen Situation für Musharraf besonders schwierig macht ist, dass Mitglieder seiner eigenen Regierungsallianz ebenfalls Kritik am amerikanischen Vorgehen geäußert haben. Man kann davon ausgehen, dass er auch diese Krise meistern wird, seine Situation wird ein Jahr vor den Parlamentswahlen jedoch immer schwieriger.

derStandard.at: Von welcher Seite kommt der Druck auf Musharraf?

Maaß: Zunächst natürlich aus der religiösen Richtung, denn verschiedene religiöse Parteien haben sich zu einer breiten Allianz zusammengeschlossen. Druck kommt aber auch von der säkularen Allianz, die unter Führung der früheren Premierministerin Benazir Bhutto aufgebaut wurde und in Kontakt mit dem ebenfalls entmachteten Ex-Premierminister Nawaz Sharif steht. Schließlich hat es auch in Musharrafs eigener Allianz Protest gegeben. Also sieht sich Musharraf einer massiven innenpolitischen Kritik ausgesetzt.

derStandard.at: Kursieren bereits Namen möglicher Nachfolger?

Maaß: Es wäre jetzt zu früh darüber zu spekulieren. Zunächst müsste die Machtfrage geklärt werden, ob wieder ein Militär oder ein ziviler Politiker als Nachfolger Chancen hätte. Diese Frage ist derzeit offen, deshalb ist es müßig, über einen möglichen Kronprinzen zu spekulieren.

derStandard.at: Denken Sie, dass die Luftangriffe nun unvermindert weiter gehen?

Maaß: Unvermindert nicht, aber man kann davon ausgehen, dass es sie weiter geben wird. Es ist zu befürchten, dass die CIA die politischen Folgen derartiger Angriffe zu wenig berücksichtigt. Hier wäre es die Aufgabe der politischen Führung in Washington, mehr Zurückhaltung von der CIA einzufordern. Sollten sich solche Angriffe nämlich häufen, dann wird es für Musharraf tatsächlich immer schwieriger.

* Dr. Citha D. Maaß ist Mitarbeiterin der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik - Forschungsfeld: Pakistans innenpolitische Entwicklung und internationale Rolle.
Die Fragen stellte Rainer Schüller

Das Interview erschien am 16. Januar 2005 in der Online-Ausgabe der Wiener Zeitung "Der Standard". Wir danken Frau Maaß für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.


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