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Der Sinn des Putsches

Von Jochen Hippler *

In Pakistan geht es um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Auch wenn General Musharraf die politische Gewalt im Land als Begründung für die Verhängung des Ausnahmezustands anführte, machte seine Proklamation zugleich das Gegenteil deutlich: Dort wurden vor allem die Justiz und insbesondere das Verfassungsgericht an den Pranger gestellt, die sich in die Regierungsgeschäfte einmischten und Politiker und hohe Beamte gedemütigt hätten.

Darin besteht der eigentliche Sinn des Putsches – die Exekutive hat sich einer aufmüpfigen Justiz entledigt, der Generalspräsident muss nicht mehr befürchten, dass seine Wahl für ungültig erklärt wird. Für den internationalen Gebrauch allerdings zog man Gewalt und Terrorismus zur Begründung heran. In Pakistan glaubt niemand diesen Vorwand, da seit der Ausschaltung und Säuberung der Gerichte nicht irgendwelche Gewalttäter verhaftet wurden, sondern Rechtsanwälte, Juristen und Parteifunktionäre der Opposition.

Fast die gesamte Bevölkerung steht geschlossen gegen den ungeliebten Präsidenten, trotz seiner wirtschaftlichen Erfolge, die sich in Wachstumsraten von sieben bis acht Prozent ausdrücken. Der oberste Richter des Landes wurde zum Volksheld, und vom Bettler bis zur wirtschaftlichen Elite ist man sich einig, dass der Präsident gehen muss, da er immer wieder die Verfassung brach und die Demokratie verhindert.

Leider sieht dies auf der politischen Ebene weniger positiv aus. Zwar treten alle Parteien für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein, die säkularen wie religiösen – aber oft nur aus taktischen Gründen. Benazir Bhutto gibt gern die säkulare Demokratin, aber sie und ihr damaliger Innenminister waren es, die in den 90er Jahren die afghanischen Taliban schufen. Ihr Konkurrent Nawaz Sharif stellt sich ebenfalls als Führer aller Demokraten dar – obwohl er in seiner Regierungszeit versuchte, die Presse zu knebeln und Schlägerbanden schickte, um das von ihm heute so geschätzte Verfassungsgericht zu stürmen und verwüsten zu lassen. An Korruption standen sich beide in nichts nach.

Auch die religiösen Parteien stehen heute in der ersten Reihe, wenn es um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geht. Tatsächlich brauchen sie beides, wenn sie politische Positionen erobern und Macht gewinnen wollen. Aber wie bei ihren säkularen Gegnern bleibt das Bekenntnis zu den demokratischen Spielregeln taktisch.

Rechtsstaatlichkeit ist als Ziel in der pakistanischen Gesellschaft inzwischen, und zum ersten Mal in der pakistanischen Geschichte, breit verankert ein zentrales Ziel. Kaum jemand wagt es noch, öffentlich gegen Demokratie zu sein. Allerdings: Das politische System ist dahinter weit zurückgeblieben und wird weiter von demagogischen und opportunistischen Parteien dominiert, die auch keine Ansätze innerparteilicher Demokratie erkennen lassen. Sie sind beliebt, weil sie gegen General Musharraf opponieren – nicht, weil sie selbst so attraktiv wären.

Deshalb muss der Kampf um Demokratie in Pakistan an zwei Fronten geführt werden: gegen die willkürliche Dominanz und Machtgelüste des Militärs und seines Oberkommandierenden – und gegen den Opportunismus, die Korruptionsgelüste und Inkompetenz der meisten Parteien, die sich heute hinter demokratischen Phrasen verbergen. Ohne eine innere Reform der Parteien wird langfristig keine lebensfähige Demokratie entstehen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2007 (Gastkommentar)


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