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Osttimor vor Regierungswechsel

Fretilin bleibt stärkste Partei, verliert jedoch die absolute Mehrheit

Von Carsten Hübner *

Die politische Landschaft Osttimors steht nach der Parlamentswahl vom vergangenen Sonnabend vor einem einschneidenden Umbruch. Zwar bleibt die ehemalige Befreiungsbewegung Fretilin nach dem vorläufigen Auszählungsergebnis mit rund 30 Prozent der Stimmen die stärkste Partei des Landes. Sie verlor aber landesweit 25 Prozentpunkte und damit die absolute Mehrheit, mit der sie das Land seit seiner Unabhängigkeitserklärung im Jahre 2002 regiert hatte.

Auf Platz zwei liegt der erst vor einigen Monaten gegründete Nationalkongress für den Wiederaufbau Osttimors (CNRT) des bisherigen Staatspräsidenten Xanana Gusmão mit 23 Prozent der Stimmen. Gusmão gilt damit weiterhin als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Unter seiner Führung, erwarten Kenner, könnte sich in den kommenden Wochen eine Koalition des CNRT mit der sozialdemokratischen Wahlplattform ASDT-PSD (16 Prozent) und der Demokratischen Partei (12 Prozent) formieren, die über eine deutliche Mehrheit der Sitze verfügen würde.

Eine vom neuen Staatspräsidenten José Ramos-Horta unmittelbar vor der Wahl in einer Fernsehrede angeregte Allparteienregierung zur Überwindung der tiefen Krise des ärmsten Landes Südostasiens war von Fretilin-Generalsekretär Mari Alkatiri umgehend abgelehnt worden.

Osttimors Nationalhelden Ramos-Horta und Gusmão gehörten in den 70er Jahren zu den Gründungsmitgliedern der Fretilin, überwarfen sich aber mit der Organisation und gehören heute zu ihren erbittertsten Kritikern. Für die Fretilin sind die herben Verluste bei der Parlamentswahl der zweite empfindliche Rückschlag binnen weniger Monate. Schon bei der Präsidentschaftswahl im April und im Mai dieses Jahres war ihr Kandidat Francisco Lu-Olo Guterres gescheitert. Im zweiten Wahlgang hatten nahezu alle Oppositionsparteien zur Wahl Ramos-Hortas aufgerufen, der daraufhin mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen gewann.

Unklar ist, wie die Fretilin auf die neuerliche Niederlage reagieren wird. Sie ist weiterhin die mitgliederstärkste und am besten organisierte Partei des Landes. In ihren Hochburgen im Osten der Insel erzielte sie auch bei den Wahlen vom Wochenende wieder Ergebnisse von 50 Prozent und mehr. Gleichzeitig wird sie vor allem in Zentral- und West-Osttimor für Korruption und Misswirtschaft verantwortlich gemacht. Auch die Eskalation der Gewalt nach der Meuterei eines Teils der Armee, die das Land im Frühjahr letzten Jahres in eine tiefe Staatskrise gestürzt hatte, soll nach Ansicht vieler Osttimorer durch die damalige Fretilin-Regierung unter Mari Alkatiri zumindest mitverschuldet worden sein.

Seither gilt die Partei politisch als weitgehend isoliert. Koalitionspartner, auch unter den drei kleinen künftig im Parlament vertretenen Parteien, die zusammen rund 10 Prozent der Stimmen erreichten, sind derzeit nicht erkennbar.

Erstmals galt bei der Parlamentswahl die Dreiprozenthürde. Nur sieben der vierzehn angetretenen Parteien werden deshalb in der kommenden Legislaturperiode Abgeordnete ins Parlament entsenden können. Auch die sozialistische Partei PST scheiterte an dieser Neuregelung. Sie war bisher mit einem Abgeordneten vertreten. Bis auf bescheidene Achtungserfolge in den Distrikten Manatuto (2,9 Prozent) und Viqueque (2,2 Prozent) verfehlte die vor allem von Intellektuellen und Studenten unterstützte Partei mit einem landesweiten Ergebnis von einem Prozent deutlich ihr Ziel.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Juli 2007


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