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Kopf an Kopf

Parlamentswahlen in Osttimor: FRETILIN und CNRT und liegen gleichauf. UNO warnt vor drohender Hungersnot

Von Carsten Hübner, Dili *

Am Mittwoch (27. Juni) ist in Osttimor die offizielle Wahlkampfphase für die Parlamentswahl am morgigen Samstag (30. Juni) ohne die befürchteten Ausschreitungen zu Ende gegangen. Atul Khare, Chef der UN-Mission UNMIT, sprach von einem insgesamt friedlichen Verlauf der Kampagnen. Nur in wenigen Fällen sei es zu Gewalttaten zwischen Anhängern rivalisierender Parteien gekommen. Um die rund 60 Sitze im Nationalparlament bewerben sich 14 Parteien, von denen aufgrund der neu geschaffenen Drei-Prozent-Hürde jedoch nur etwa die Hälfte eine reale Chance auf Abgeordnetenmandate haben dürfte.

Keine absolute Mehrheit

Beobachter wie die in Brüssel beheimatete »International Crisis Group« (ICG) erwarten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der ehemaligen Befreiungsbewegung FRETILIN, die seit 2001 mit absoluter Mehrheit regiert, und der Anfang des Jahres neu gegründeten Partei CNRT des ehemaligen Präsidenten Xanana Gusmão. »Zwar wird keine der beiden Parteien die absolute Mehrheit gewinnen«, so ICG-Südostasien-Expertin Sophia Cason. Dennoch sei davon auszugehen, daß die CNRT mit bis zu 25 Prozent der Stimmen als führende Kraft einer möglichen Koalitionsregierung aus dem Urnengang hervorgehen wird. Im Gespräch ist eine Kooperation der CNRT mit kleineren Parteien wie der Demokratischen Partei (PD) oder der sozialdemokratischen Wahlplattform ASDT/PSD.

Ein möglicher Koalitionspartner für FRETILIN, der von der Opposition Korruption, Mißwirtschaft und die Spaltung des Landes vorgeworfen werden, ist hingegen nicht in Sicht. Bei den zwei Wahlgängen der Präsidentschaftswahl im April und Mai dieses Jahres war ihr Kandidat Francisco »Lu Olo« Guterres mit rund 20 Prozent der Stimmen weit unter den Erwartungen geblieben. Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2001 verlor die FRETILIN mehr als 30 Prozent und konnte sich lediglich in ihren Hochburgen im Osten des Landes als führende Kraft behaupten.

Das seit Mai 2002 unabhängige Osttimor steckt seit den Frühjahrsunruhen vergangenen Jahres in einer schweren Staatskrise. Nach der Meuterei eines Teils der Armee war es zu bürgerkriegs­ähnlichen Unruhen gekommen, denen seither mehr als 50 Menschen zum Opfer gefallen sind. Rund 100000 Menschen leben bis heute in Flüchtlingslagern der UNO oder haben nach der Verwüstung ihrer Wohnviertel bei Verwandten Schutz gesucht. Über 2000 Polizisten der »International Stabilization Force« (ISF) und australisches Militär versuchen seit einem Jahr, die immer wieder aufflammenden Unruhen unter Kontrolle zu bringen.

Nahrungsengpässe

Derweil warnen das Welternährungsprogramm (WFP) und die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) vor einer drohenden Hungernsnot. Dürre und Heuschreckenplagen hätten dreißig Prozent der Ernte zerstört, so die beiden Organisationen auf einer Pressekonferenz. Anthony Banbury, der zuständige Regionaldirektor des WFP, sprach vor diesem Hintergrund von einer »massiven Verschärfung der sowieso schon fragilen Lebensbedingungen in Osttimor«. Ein Fünftel der rund eine Millionen Einwohner des Landes sei bereits jetzt auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Ob die nach den Wahlen erwartete Koalitionsregierung unter Xanana Gusmão in der Lage sein wird, die immensen Probleme des Landes zu lösen, bleibt nach Einschätzung von Experten fraglich. »Es sind in Osttimor mehr die Personen als die Parteiprogramme, die den Ausgang der Parlamentswahl bestimmen werden«, so der Think-tank ICG in einer Analyse von Mitte Juni: »Aber keine von ihnen bietet konkrete Lösungen für die vielen Probleme des Landes an.«

* Aus: junge Welt, 29. Juni 2007


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