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Osttimor gelangt nicht zur Ruhe

Kämpfe zwischen marodierenden Jugenbanden - Dili von humanitärer Katastrophe bedroht

Von Boris B. Behrsing, Darwin*

Trotz der Anwesenheit einer internationalen Eingreiftruppe von nun 2250 Soldaten aus Australien, Neuseeland und Malaysia gehen die Unruhen in Osttimor weiter.

Angesichts von Brandstiftungen, Plünderungen und Kämpfen zwischen marodierenden Jugendbanden in den Straßen der Hauptstadt von Osttimor, Dili, musste der australische Premier John Howard die 1300 Mann starke australische Friedenstruppe am Montag gegen Vorwürfe verteidigen, sie bringe die Unruhen nicht schnell genug unter Kontrolle. »Die jetzige Situsation ist für unsere Truppen weitaus gefährlich als sie 1999 bei der Abtrennung Osttimors von Indonesien war«, erklärte der konservative Regierungschef.

Freilich darf das australische Militär nach den derzeitigen Interventionsregeln nur schießen, wenn es angegriffen wird. Die Truppen haben begonnen, die Banden, die nicht schnell genug den Soldaten ausweichen können, zu entwaffnen. Dabei reichen die sichergestellten Waffen reichen von Gewehren, Handgranaten und Revolvern bis zu Macheten, Dolchen und Steinschleudern. Der Aufruhr, der mit heftigen Kämpfen zwischen den regierungstreuen Trupen und rebelllierenden Soldaten begonnen hatte, ist in den letzten Tagen zu Scharmützeln zwischen ethnisch verschiedenen marodierenden Jugendbanden ohne politische Motivierung ausgeartet. Noch ist nicht zu übersehen, wie viele Tote der neue Konflikt gefordert hat.

Wegen der Gewalttätigkeiten haben die Vereinten Nationen den größten Teil ihres Personals aus Dili abgezogen. Auch die in Osttimor sehr aktive australische Hilfsorganisation »World Vision« erwäge den Abzug aus Osttimor, erklärte am Montag ihr Chef, Pfarrer Tim Codstello. In einem Interview mit dem australischen Staatsrundfunk ABC warnte er vor einer humanitären Katastrophe in Dili.

Etwa 50 000 Einwohner Dilis haben sich in 35 Notlager geflüchtet, in denen es nach Angaben von Costello an Lebensmitteln und Trinkwasser fehlt. Ein mit Reis gefülltes Warenhaus der Regierung in Dili ist von den Banden aufgebrochen und ausgeraubt worden.

Im nordaustralischen Darwin landen fast pausenlos Militärmaschinen mit Evakuierten. Darwin ist damit erneut zu einer Etappenstadt in einem Osttimor-Konflikt geworden. Auch die Verwundeten der jüngsten Zusammenstöße in Dili sind zu den dortigen Krankenhäusern gebracht worden. Unter diesen befinden sich Polizisten aus Osttimor, die vom eigenen Militär beschossen wurden, nachdem sie sich UNO-Beamten ergeben hatten und entwaffnet worden waren.

Der australische Regierungschef Howard sieht den Grund für die Unruhen vor allem in einer unzulänglichen Politik. Das Versagen der Landesverwaltung wurden auch von Außenminister Ramos Horta in einem Interview im australischen Rundfunk bestätigt.

Am Montag begannen in Dili an einem geheim gehaltenen Ort Krisen-Beratungen des Staatsrats über mögliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage. Im Gespräch ist die Einsetzung einer Einheitsregierung. Vor allem aber soll der bisherigen Premierminister Mari Alkatiri, den weite Teile der Bevölkerung für den Hauptschuldigen an der Krise halten, zum Rücktritt bewogen werden. Der australische Außenminister Alexander Downer hofft, dass die Vereinten Nationen ihre Mission in Osttimor wieder aufnehmen, und meinte vor Pressevertretern, er sei sich sicher, die USA würden dafür Verständnis aufbringen, wenn Australien seine Truppen aus Irak nach Osttimor verlege.

Auch in Australien geht die Suche nach den Gründen für die Unruhen weiter. In Canberra wandte sich Justizminister Chris Ellison gegen den von hohen an der Intervention von 1999 beteiligten Offizieren erhobenen Vorwurf, die australischen Truppen seien nach der Abtrennung von Indonesien zu früh von Osttimor abgezogen worden. Elllison betonte, es sei die UNO gewesen, die vor einem Jahr entschieden hatte, dass die internationale Friedenstruppe Osttimor verlassen sollte.

Seit Montag [29. Mai 2006]patrouillieren auch australische gepanzerte Truppenfahrzeuge durch die Straßen Dilis. Um diese von den im Hafen liegenden australischen Kriegsschiffen an Land zu bringen, mussten besondere Anlegerampen gebaut werden. Australien schickte auch 24 Bundespolizeibeamte in das Krisengebiet, die bei der Stabilisierung der Sicherheitslage helfen sollen.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Mai 2006


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