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"Den Ausverkauf Osttimors stoppen"

Der Sozialist Avelino da Silva* über die Krise im Land und die Verantwortung der politischen Elite

* Avelino da Silva ist Vorsitzender der Sozialistischen Partei Osttimors (PST). Er kandidiert am 9. April zu den Präsidentschaftswahlen. Die PST ist derzeit mit einem Abgeordneten im osttimorischen Parlament vertreten.Für "Neues Deutschland" sprach Max Lane mit da Silva. Das Interview übersetzte Carsten Hübner.**



ND: Warum treten Sie bei den Präsidentschaftswahlen gegen den amtierenden Premierminister und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta an?

Avelino da Silva: Osttimor steckt in einer tiefen Krise. Die Gesellschaft ist gespalten – eine Spaltung, die es vorher so nicht gab. Selbst in den schwierigsten Zeiten hat es derartige Vorurteile zwischen den Menschen aus dem Osten und dem Westen des Landes nicht gegeben. Sie haben über Jahrzehnte zusammen für die Unabhängigkeit gekämpft. Dazu kommen die Probleme mit der Lebensmittelversorgung. Es ist die derzeitige Führung der Regierung und des Parlaments, die für diese Entwicklung verantwortlich gemacht werden muss.

Was werfen Sie Regierung und Parlament konkret vor?

Die politische Elite hat zugelassen, dass sich ein ökonomisches System entwickeln konnte, das vor allem auf Vetternwirtschaft basiert. Wer keine Kontakte zu offiziellen Stellen hat, hat keine Chance. Die Auseinandersetzungen im Land haben ihre Ursache in dieser Politik der persönlichen Interessen. Das hat auch die Armee und die Polizei gespalten. Können Sie sich vorstellen, dass das Parlament gerade ein Gesetz verabschiedet hat, das lebenslange Pensionen für Parlamentsmitglieder vorsieht? Gleichzeitig gibt es für die Veteranen des Guerillakampfes keine Pensionen – nur Medaillen.
Darüber hinaus hat eine ganze Reihe politischer Fehlentscheidungen die soziale Krise verschärft. Zum Beispiel der Beschluss, Portugiesisch zur offiziellen Landes-sprache zu erklären. Die meisten Menschen beherrschen nur Tetum und Indonesisch. Es gibt gegenwärtig Tausende junger Menschen, die an Universitäten in Indonesien studieren. Sie werden bald gut ausgebildet zurückkehren – aber sie sprechen kein Portugiesisch. Damit sind sie auf dem offiziellen Arbeitsmarkt kaum vermittelbar.

Wollen Sie deshalb die Landessprache ändern?

Ja, wir favorisieren Tetum als offizielle Arbeitssprache, mit Indonesisch als Ergänzung. Das bedeutet, dass die Absolventen der indonesischen Universitäten hier ohne Schwierigkeiten arbeiten könnten. Für uns ist das ein wichtiger Punkt zur Wiedergewinnung nationaler Würde und zur Zurückdrängung des ausländischen Einflusses. So könnten wir die Ausgaben für die sogenannten internationalen Experten massiv zurückfahren.

Sie sehen den ausländischen Einfluss weiterhin als ein Hauptproblem an?

Ja, die überwiegende Mehrheit der Projekte, die die Regierung finanziert, geht an ausländische Firmen – mit einigen Einheimischen als Kontaktpersonen. Selbst die Fischerei wird von den Thailändern dominiert, während unsere Fischer ihren Lebensunterhalt verlieren. Die kleinen Handwerksbetriebe schließen einer nach dem anderen. Landwirtschaftliche Kooperativen, die eigentlich die Basis unserer Lebensmittelversorgung sein sollten, machen Pleite. Inzwischen sind wir sogar von Reisimporten abhängig. Es gibt Versorgungsengpässe und die Preise schießen in die Höhe. Das sorgt natürlich für erhebliche Unruhe.
Um ausländische Investoren zu buhlen, ohne gleichzeitig Timorer für die Sektoren auszubilden, in denen die ausländischen Experten arbeiten, ist gleichbedeutend mit dem Ausverkauf des Landes. Wir fordern deshalb, die Öl- und Gas-einnahmen Osttimors vor allem in die Entwicklung unserer Landwirtschaft und Industrie zu stecken. Außerdem müssen die hohen Steuern für die normalen Menschen gesenkt werden – schließlich zahlen die Reichen und die internationalen Investoren häufig gar keine Steuern.

Liegen solche Veränderungen überhaupt in der Macht des Präsidenten?

Der zentrale Punkt meiner Kandidatur ist, dass man als Präsident die Möglichkeit hat, zum ganzen Volk zu sprechen. Wir wollen das Volk direkt an der Politik beteiligen und unterstützen deshalb jede Form gesellschaftlicher Organisierung. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, auf die wesentlichen Entscheidungen Einfluss zu nehmen – und gleichzeitig muss er überschauen können, wie deren Umsetzung verläuft. Nur so können wir Bestechung und Vetternwirtschaft zurückdrängen und eine Kultur der politischen Führung etablieren, die der ganzen Gesellschaft dient.

** Aus: Neues Deutschland, 12. März 2007


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