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Krisenstimmung auf Osttimor

Nach vier Jahren Unabhängigkeit kaum sichtbarer Fortschritt

Von Thomas Berger

Kurz vor dem vierten Jahrestag der Unabhängigkeit befindet sich Osttimor in der wohl schwersten Krise seiner noch jungen Selbstständigkeit.

Nach Feiern ist derzeit kaum jemandem zumute. Als am vorigen Wochenende ein Großteil der 120.000 Einwohner Dilis aus Angst vor einer neuen Gewaltwelle aus der Hauptstadt flüchtete, war damit ein neuer Gipfel der jetzt schon über Wochen anhaltenden Krise im jüngsten Staat der Welt erreicht. Dabei wäre der Mai eingetlich ein Freudenmonat. Doch von der Jubelstimmung 2002, als die Timoresen nach Jahrhunderten der Fremdbestimmung in die Unabhängigkeit gingen, ist kaum etwas übrig.

Begonnen hatte die besorgniserregende Entwicklung damit, daß im März rund 600 Soldaten für bessere und pünktliche Entlohnung gestreikt hatten. Ihre daraufhin folgende Entlassung aus dem Dienst durch den Oberkommandierenden der Armee, Taur Matan Ruak, hatte die Situation noch verschlimmert. Allerdings ist dies nur eine Facette des umfangreichen Problemkatalogs, mit dem die Regierung Osttimors derzeit fertig werden muß.

Die politische Führung zieht dabei längst nicht mehr an einem Strang. Das Land bleibt bei den sozioökonomischen Daten Schlußlicht in Südostasien. Es kann wirtschaftlich längst nicht auf eigenen Beinen stehen, sondern nur mit starker Auslandshilfe überleben. Zwar ist der Streit mit dem übermächtigen Nachbarn Australien um die Nutzung der Öl- und Gasfelder im Meeresgebiet beigelegt, doch es wird noch eine Weile dauern, bis die Milliardenprofite aus der gemeinsamen Förderung in die fast leere Staatskasse zu fließen beginnen.

Hinzu kommt, dass sich die politische Führungsschicht weitgehend verschlissen hat. Präsident Xanana Gusmao hatte ohnehin bei der ersten Wahl nur widerstrebend für das höchste Staatsamt kandidiert, seinen Ruhestand hinausgeschoben. Und Außenminister José Ramos-Horta, der zweite Volksheld aus den Tagen des Unabhängigkeitskampfes gegen die indonesischen Besatzer, liebäugelt damit, womöglich der nächste Generalsekretär der Vereinten Nationen zu werden. Aber noch hat er sich für das UNO-Amt nicht offiziell in Position gebracht, denn Ramos-Horta wird, nicht zuletzt wegen seines hohen Ansehens, von vielen als künftiger Präsident gehandelt und galt auch bisher als Wunsch-Nachfolger des Amtsinhabers.

Dabei sind die beiden prominenten Männer offensichtlich die einzigen im Regierungsteam, die noch immer das fast uneingeschränkte Vertrauen der Bürger genießen. Premierminister Mari Alkitiri gilt als gefühlloser Technokrat und ist, ungeachtet gewisser Qualitäten in Verwaltungsfragen, einer der unbeliebtesten Spitzenpolitiker. Etlichen Ministern werden wiederum fehlende fachliche Eignung, Untätigkeit oder bisweilen auch Korruption und Vorteilsnahme unterstellt.

Nicht wenige Ressortchefs, die früher in der Befreiungsbewegung Fretilin eine herausragende Stellung einnahmen, erwecken in der Tat den Eindruck, mit den neuen Ämtern heillos überfordert zu sein. So kommt der Aufbau der sozialen Infrastruktur, zu Zeiten der Besatzung arg vernachlässigt, kaum in die Gänge. Der fehlende finanzielle Spielraum – das Geld reicht trotz aller internationalen Zuschüsse kaum für die Sicherung der nötigsten monatlichen Verwaltungsausgaben – tut ein Übriges, um das Land entwicklungsmäßig auf der Stelle treten zu lassen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Wirtschaftswachstum niedrig, die Geduld der Menschen nahezu aufgebraucht.

Osttimor brauche seine Zeit, um auf die Beine zu kommen, war 2002 gemeinhin Konsens gewesen und der Regierung eine längere Schonfrist eingeräumt worden. Doch nach vier Jahren ohne sichtbare Fortschritte kann davon jetzt keine Rede mehr sein. Selbst innerhalb der Fretilin, die nunmehr die vorherrschende Partei ist, rumort es heftig. Für den stärksten Zoff sorgt dabei vor allem, daß es Leute aus einigen Teilen der Inselhälfte offenbar deutlich leichter haben, an einflußreiche, gutbezahlte Posten zu kommen, da lokale Netzwerke in politische Führungsebenen für eine Ungleichbehandlung sorgen. Nicht zuletzt spielt auch in die Armeekrise der Umstand hinein, daß der Chef des Militärs, seinerzeit Kommandeur der bewaffneten Untergrundbewegung Falintil, Kämpfer aus bestimmen Gruppen und Region bevorzugt haben soll.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2006


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