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Dili wurde zur "Cowboystadt"

Wachsender Unmut über australische Truppen in Osttimor

Von Carsten Hübner *

Erst ein halbes Jahr sind australische Truppen in Osttimor stationiert. Doch sie haben es bereits geschafft, sich so unbeliebt zu machen, dass ihr Abzug gefordert wird.

Nach den jüngsten Unruhen in Osttimors Hauptstadt Dili, bei denen in den vergangenen Tagen mindestens zehn Menschen getötet und Duzende verletzt wurden, verschärft sich das Klima gegenüber der australischen Truppenpräsenz. Parlamentspräsident Fransisco Guterres warf den Australiern Versagen bei der Verhaftung von Kriminellen vor, die an den Ausschreitungen beteiligt waren. Außerdem sei ihm von Übergriffen australischer Soldaten gegenüber Unbeteiligten berichtet worden. »Ich sage das als gewählter Volksvertreter: Niemand darf in unserem Haus seine Hand erheben und unsere Kinder schlagen«, warnte Guterres und verlangte den Abzug der australischen Truppen. Sie sollten durch Polizisten unter UN-Kommando ersetzt werden.

Osttimors Armeechef Taur Matan Ruak schloss sich dieser Kritik inzwischen an. Die Hauptstadt Dili sehe sechs Monate nach der Ankunft der Australier »wie eine Cowboystadt aus«, so der Brigadegeneral. Ziel der Unruhen sei es, »die Regierung zu destabilisieren und handlungsunfähig zu machen«. Eine unabhängige Kommission müsse deshalb untersuchen, inwieweit australische Soldaten in die Auseinandersetzungen verwickelt seien und Partei für eine Seite ergriffen hätten, forderte Ruak.

Australien wird seit den Unruhen im April und Mai dieses Jahres verdächtigt, Sympathien für den zumeist aus dem Westen des Landes stammenden Widerstand gegen die Regierungspartei Fretilin zu hegen.

Erst kürzlich hatte sich der australische Befehlshaber in Osttimor, Mick Slater, mit Rebellenführer Alfredo Reinado getroffen. Der in Australien ausgebildete ehemalige Militärpolizist Reinado ist laut einem UN-Untersuchungsbericht für schwere Straftaten während der Frühjahrsunruhen verantwortlich und hält sich seit seinem spektakulären Ausbruch aus dem Gefängnis im August in den Bergen versteckt. Derzeit macht ein Brief in Osttimor die Runde, in dem er die Bevölkerung zum Sturz der Regierung aufruft.

Australien dementierte derweil jegliche Parteinahme für eine Seite. Das Treffen mit Reinado habe allein der Deeskalation gedient. Außerdem sei man zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen, den von Bewaffneten umgebenen Ex-Major zu verhaften, ohne ein Blutbad zu riskieren. »Die australischen Truppen agieren hier völlig neutral«, so der australische Kommandeur.

Allerdings räumte er ein, dass die Beziehungen zur osttimoresischen Armee schwer belastet seien. Brigadegeneral Taur Matan Ruak wirft den Australiern vor, ihn öffentlich gedemütigt zu haben. Australische Soldaten hätten ihn binnen weniger Tage zwei Mal für längere Zeit an einer Straßensperre festgehalten, obwohl er Uniform trug und allgemein bekannt ist.

In Osttimor sind derzeit mehr als 2000 ausländische Soldaten und Polizisten stationiert, um für Sicherheit und Stabilität in dem ärmsten Land Südostasiens zu sorgen. Doch nur etwa die Hälfte davon steht unter UN-Kommando. Australien hatte sich während der Verhandlungen um das Mandat der UN-Mission in Osttimor UNMIT geweigert, die Befehlsgewalt über seine Truppen an die Vereinten Nationen zu übergeben.

Eben dieses Verhalten wurde am vergangenen Freitag im osttimoresischen Parlament scharf kritisiert. »Unsere Beschlusslage sieht vor, dass alle Truppen, egal ob Polizei oder Militär, unter dem Kommando der UNO stehen sollen«, bekräftigte Parlamentspräsident Fransisco Guterres.

* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2006


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