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Ausnahmezustand in Osttimor

Koordinierte Mordanschläge gegen Präsident und Premier / Ramos-Horta schwer verletzt

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Der Präsident von Osttimor, José Ramos-Horta, ist bei einem Anschlag von Rebellen am Montag (11. Februar) angeschossen worden. »Er ist in äußerst kritischem Zustand«, so der Sprecher einer Flugzeugambulanz, die ihn zu einer Notoperation nach Australien ausflog. Auch auf Ministerpräsident Xanana Gusmao wurde ein Attentat verübt. Er entkam unverletzt, verhängte den Ausnahmezustand und machte eine Rebellentruppe aus entlassenen Soldaten für den »versuchten Sturz« der demokratisch gewählten Regierung verantwortlich.

Die koordinierten Attacken gegen die Führer des politisch ohnehin instabilen Inselstaates zwischen Indonesien und Australien sorgten für Schockwellen in der ganzen Region. Beobachter fürchten, dass die Anschläge der Auftakt für noch größere Unruhen sein könnten, die die junge Nation schon mehrmals erschüttert haben. Der erschossene Hauptattentäter, ein abtrünniger Militärangehöriger namens Alfredo Reinado, hatte in Teilen der Bevölkerung den Ruf eines neuen Robin Hood, der für die Rechte der Armen und Verstoßenen kämpft. Selbst zwei Koalitionspartner von Premier Gusmão unterstützten seine Rebellen. Und Präsident Ramos-Horta führte Verhandlungen mit dem Ex-Chef der Militärpolizei.

Niemand rechnete mit den gestrigen Attacken. Offenbar plante Reinado die gewaltsame Machtübernahme. Ramos-Horta war in seiner Residenz aus zwei Autos heraus beschossen worden. Zwei Kugeln durchschlugen seinen Rücken, eine verletzte den Unterleib. Ein Leibwächter Hortas starb, zwei der Angreifer wurden erschossen -- einer davon war Rei-nado. Der gesundheitliche Zustand des Präsidenten, der 1996 zusammen mit Bischof Carlos Belo den Friedensnobelpreis erhielt, konnte gestern im australischen Militärhospital von Dili zwar erst einmal stabilisiert werden, verschlechterte sich dann aber im Laufe des Tages, und Horta wurde von einem Sanitätsflugzeug zur weiteren Behandlung in ein Militärhospital in Darwin gebracht. Weitere Operationen sind möglich.

Gusmão entging mit Glück einem Anschlag auf seine motorisierte Eskorte. »Der Staat wurde attackiert«, so der Regierungschef in einer ersten Erklärung, während man nach Hintermännern der Rebellen suchte und in der Region die Angst vor einem weiteren gescheiterten Staat wächst. Australiens Premier Kevin Rudd zeigte sich »tief schockiert« und verurteilte die Anschläge auf »demokratisch gewählte Führer und Freunde Australiens« in aller Schärfe. Canberra stockte seine Friedenstruppen in Osttimor auf. Dort geht es um das Schicksal der »jüngsten Nation« Asiens, die auch sechs Jahre nach Erringung der Unabhängigkeit von schwerer Armut geplagt und von wiederkehrenden Unruhen zwischen Ethnien und Stämmen heimgesucht bleibt.

Reinado hatte schon im März 2006 eine Rebellion gegen die Regierung angeführt. Dili brannte, Zehntausende flohen. Ein Drittel der rund 1800 Militärangehörigen Osttimors war damals wegen Befehlsverweigerung gefeuert worden. Reinado weigerte sich, sein Widerstandscamp auf einem Hügel vor der Hauptstadt zu räumen. Schließlich wurde er verhaftet. Doch im vergangenen August gelang ihm die Flucht, und seither entzog er sich einer Großfahndung durch die von Australien angeführten Friedenstruppen.

Bei den Unruhen vor zwei Jahren waren mehrere Dutzend Menschen um Leben gekommen, bei weiteren Unruhen im letzten August wurde die ehemalige Kolonie Portugals von weiteren Brandschatzungen erschüttert. Noch heute leben rund 100 000 Menschen, rund zehn Prozent der Bevölkerung, in behelfsmäßigen Lagern. Die Sicherheitslage in Osttimor bleibe »fragil«, so ein UN-Bericht vergangenen Dezember. Dabei hatte Xanana Gusmão, der frühere Widerstandsführer gegen Indonesien und erste Präsident Osttimors, vor der Ausrufung der Unabhängigkeit noch gehofft, das Land werde wegen der Öl- und Gaslager vor seiner Küste zu einer »Schweiz Asiens« aufsteigen. Doch noch immer fließen keine Einnahmen aus den »Timor Gap«-Feldern, und die Weltgemeinschaft scheint Osttimor vergessen zu haben. Das kleine Land bleibt der Armenhof Asiens mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen und der höchsten Kindersterblichkeit der Region.

Derweil erließen Australien und die USA Reisewarnungen für ihre Staatsbürger. Das Washingtoner Außenministerium sprach von »unbestätigten Berichten über Unruhen« im Dili-Stadtteil Lahane. Im Dili der verfeindeten Straßenbanden und Clans können jederzeit Unruhen ausbrechen und ganze Straßenzüge in Flammen aufgehen. Andere Augenzeugen berichteten allerdings, die Hauptstadt sei gestern weitgehend ruhig geblieben -- die Präsenz der Sicherheitskräfte war deutlich verstärkt worden.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2008


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