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Mit der Høyre-Partei Neues für Norwegen

Auf Erna Solbergs Sieg folgt schwierige bürgerliche Koalition

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Norwegen bekommt eine neue Regierung. Eine klare Mehrheit der Norweger schickte die Mitte-Links-Koalition nach acht Jahren Verantwortung erwartungsgemäß in die Opposition.

Erna Solberg von der konservativen Høyre-Partei gelang es, ihre Truppe aus vier konservativen und liberalen Parteien zusammenzuhalten. Sie wurden und auf das gemeinsame Ziel der Regierungsübernahme – mit rund 27 Prozent naturgemäß unter Solbergs Führung – eingeschworen. Da die Programme beider Blöcke nur geringe Unterschiede boten, breitete sich früh eine Stimmung bei den Wählern aus, Neues zu probieren.

Für Solberg wird es in den kommenden vier Jahren darauf ankommen, mit Parteien zu regieren, die in ihren Standpunkten größere Unterschiede aufweisen als ihre Partei zu den Sozialdemokraten. Die Fortschrittspartei als der Rechtsaußen der Koalition ist dabei, den Status eines Enfant terrible abzuschütteln und sich verantwortungsbewusst zu geben. Mit einigen Zugeständnissen in der Ausländerpolitik dürfte es möglich sein, auch sie auf das eiserne Prinzip norwegischer Politik einzuschwören. Das lautet, nicht mehr als die Zinsen des gigantischen Petroleumfonds für Staatshaushaltsausgaben zu verbrauchen. Gleiches gilt für Ölbohrungen bei den Lofoten. Hier wird Solberg genau so balancieren müssen wie Stoltenberg vor ihr und die Entscheidung mit technischen Begründungen hinausschieben.

Norwegische Medien zeichnen das Bild eines ausgeprägten Kompromisswillens,mit dem die schwierige Koalition glücken sollte. Gegenwärtig wird geklärt, ob alle Parteien direkte Regierungsverantwortung übernehmen oder einige sich mit parlamentarischer Unterstützung begnügen wollen. Am Gesamtbild ändert sich wenig.

Die sozialdemokratische Arbeiterpartei verlor rund 4,5 Prozent der Stimmen und blieb mit knapp 31 Prozent der Stimmen die größte Partei des Landes. Dies ist eine wichtige psychologische Stütze. Jens Stoltenberg kündigte an, dass er aus dieser Position heraus eine konstruktive Oppositionspolitik führen werde.

Wesentlich schlimmer erging es den Linkssozialisten (VS), die ein Drittel ihrer Wähler verloren und mit 4,1 Prozent nur knapp über die Sperrgrenze kam. Die Position des kleinen Bruders bekam der Partei schlecht. Sie hatte Mühe, eigene Positionen durchzusetzen. Taktische Zugeständnisse im Interesse der Koalition untergruben ihre Glaubwürdigkeit und enttäuschten die Anhänger.

Einige von ihnen sahen eine Alternative in den Grünen, die erstmals und mit einem Mandat in den Storting einzogen. Doch die meisten der Enttäuschten zogen es vor, an den beiden Wahltagen zu Hause zu bleiben. Sie trugen zur niedrigsten Wahlteilnahme seit 1927 mit nur 71 Prozent der Wahlberechtigten bei.

Die vier bürgerlichen Parteien werden in den nächsten Tagen für die Regierungsbildung, die planmäßig im Oktober stattfinden soll, ihre interne Machtbalance herstellen. Die Arbeiterpartei wird darauf hoffen, dass deren Zusammenhalt für die Legislaturperiode nicht reichen wird. In diesem Fall könnte sie eine Minderheitsregierung bilden, da die norwegische Verfassung keine vorfristigen Wahlen vorsieht.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. September 2013


Rechte punkten in Norwegen **

Rot-Rot-Grün ist Geschichte: Oslo steht vor dem Regierungswechsel **

Nach der Parlamentswahl steht Norwegen vor einem Regierungswechsel. Die konservative Partei Höyre muß sich Partner für ein gemeinsames Kabinett suchen. Zwei Jahre nach den Massenmorden des rechten Anders Behring Breivik wird dem wohl auch die rechte »Fortschrittspartei« angehören. Die derzeitige rot-rot-grüne Koalition aus Arbeiterpartei, Sozialistischer Linkspartei und Zentrumspartei hatten die Norweger am Montag abgewählt. Zwar kamen die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Jens Stoltenberg auf 30,8 Prozent (2009: 35,4) der Stimmen. Sie sind damit stärkste Kraft im norwegischen Parlament. Weil jedoch die Koalitionspartner schwächeln, kann Stoltenberg nicht weiterregieren. Sozialistische Linke und Zentrumspartei schafften mit 4,1 sowie 5,5 Prozent der Stimmen gerade so den Einzug ins Parlament.

Noch am Montag abend kündigte Stoltenberg seinen Rückzug nach der Vorstellung des Staatshaushaltes am 14. Oktober an. Seine Hauptaufgabe sehe er nun in der Opposition. Zukünftige Ministerpräsidentin wird voraussichtlich Höyre-Chefin Erna Solberg. Ihre Partei kam auf 26,8 Prozent (2009: 17,2) der Stimmen. Sie will frühestens am Wochenende Koalitionsverhandlungen mit den drei anderen Parteien aufnehmen, darunter der ausländerfeindlichen »Fortschrittspartei«. Dieser gehörte früher auch der Massenmörder Breivik an. Nach seinem Amoklauf mit 77 Toten im Juli 2011 war sie politisch im Keller, nun zieht sie mit 16,4 Prozent als Drittplazierte ins Parlament ein. Mit den beiden kleineren Parteien, der Christenpartei (5,6 Prozent; 2009: 5,6) und der liberalen Venstre (5,2 Prozent; 2009: 3,9), kann Höyre allein keine Mehrheit bilden.

»Die norwegische Linke hat ihr schlechtestes Ergebnis seit ihrer Gründung 1975 eingefahren«, erklärte Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke. »Die Wahlergebnisse zeigen eindrücklich, wie wichtig Glaubwürdigkeit in der Politik ist.« So seien in ihrer gesamten Regierungszeit die norwegischen Soldaten nicht aus Afghanistan abgezogen worden.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. September 2013


Rechtsruck in Oslo

Von Olaf Standke ***

Geschichte habe man geschrieben, tönte die Konservative Erna Solberg noch am Wahlabend in Oslo. Da zeichnete sich immer deutlicher ab, dass der langjährige Ministerpräsident Jens Stoltenberg seine Mehrheit im Parlament verloren hat. Es gilt wohl nicht mehr, was ein »Patriotismus-Philosoph« einst in Zeiten norwegischer Nationenbildung schrieb: »Das Vaterland lieben heißt die Regierung zu lieben, unter der man lebt.« Dabei hat Stoltenberg wenig falsch gemacht. An der Spitze einer »rot-grünen« Koalition hat er das Land weitgehend unbeschadet durch die weltweite Finanzkrise gesteuert und nach den Anschlägen 2011 zusammengehalten. Und nun könnte ausgerechnet die rechtspopulistische Fortschrittspartei (FrP), der der spätere Massenmörder Breivik in seiner Jugend angehörte, zum ersten Mal mitregieren.

Die Sozialdemokraten bleiben zwar stärkste Kraft, doch die Koalition aus Arbeiter-, Sozialistischer Links- und Zentrumspartei hat deutlich weniger Mandate als das »bürgerliche« Lager um Høyre-Chefin Solberg. Doch würde es wirklich schnell und sozial gerecht ändern, was man der alten Regierung im Wahlkampf vorwarf – zu hohe Steuern etwa oder den schlechten Zustand von Schulen und Krankenhäusern? Zumal die wertkonservative Christliche Partei und die FrP-Rechtsaußen, die nicht nur das Gesundheitswesen privatisieren, sondern auch die Einwanderung stark begrenzen wollen, in wichtigen Punkten noch weit auseinanderliegen. Aber Minderheitsregierungen sind in Oslo nicht ungewöhnlich.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. September 2013 (Kommentar)


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