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Ortega bei Kommunalwahlen auf dem Prüfstand

Nicaraguas Sandinisten wollen ihre Macht konsolidieren / Erneuerungsbewegung darf nicht antreten

Von Ralf Leonhard *

Jede Kommunalwahl hat auch ein gesamtpolitisches Element. In Nicaragua werden die Gemeindewahlen am 9. November von Präsident Daniel Ortega sogar als Plebiszit über seine bisher knapp zweijährige Amtszeit inszeniert.

Daniel Ortega hat seit seiner Rückkehr an die Macht 2007 einiges auf den Weg gebracht: mehrere Sozialprogramme, wie Null-Hunger und Null-Wucher, um die Verarmung, die sich unter den rechtskonservativen Vorgängerregierungen verschärft hat, abzufedern. Gleichzeitig bemüht er sich, die Macht zu zentralisieren und die Voraussetzungen für eine zweite Amtszeit zu schaffen. Dafür wäre eine Verfassungsänderung notwendig. Ein deutliche Bestätigung seiner Politik durch einen Sieg in den Gemeinden wäre dafür eine wichtige Voraussetzung.

Wenn am Sonntag in 145 der insgesamt 153 Gemeinden des Landes neue Bürgermeister und Gemeinderäte gewählt werden, geht es darum, die sandinistische Macht zu konsolidieren. FSLN-Parlamentsabgeordneter Gustavo Porras gab die Parole aus: »Wir müssen in allen Gemeinden mit mehr als 50 Prozent gewinnen.« Das ist zwar utopisch, doch jüngste Umfragen geben den sandinistischen Kandidaten in den meisten Gemeinden gute Chancen.

Besonders umkämpft ist natürlich Managua, wo die FSLN bereits die zweite Periode hintereinander regiert. Die Sandinisten schicken mit dem ehemaligen Boxweltmeister Alexis Argüello einen populären Quereinsteiger ins Rennen. Er liegt bei den Demoskopen knapp vor seinem ärgsten Rivalen Eduardo Montealegre von der Liberalen Allianz, der vor zwei Jahren bei den Präsidentschaftswahlen gegen Ortega unterlag, politisch allrdings beschädigt ist, weil ihm eine dubiose Rolle bei der Rettung der Privatbanken nachgesagt wird.

Der Konkurrenz von Links hat sich Ortega entledigt. Die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS), die vor allem vom städtischen Mittelstand unterstützt wird, darf nicht antreten. Denn der Zentrale Wahlrat hat ihr in einer umstrittenen Entscheidung wegen angeblicher Formfehler ebenso wie der Konservativen Partei die Rechtspersönlichkeit entzogen.

Ortega und seine First Lady Rosario Murillo überlassen nichts dem Zufall. Seit Wochen sind sie landauf landab unterwegs, wenn es irgendetwas zu verteilen gibt, seien es Schecks des Null-Hunger-Programms, Häuser eines Wohnbauprojekts oder von Venezuela gespendete Kochherde. Immer dabei ist auch Boxchampion Alexis Argüello. Wer in den Genuss solcher Güter kommen will, tut allerdings gut daran, den »Bürgerbeteiligungskomitees« (CPC) beizutreten. Die haben mit Basispartizipation wenig zu tun. Es sind administrative Parallelstrukturen, die von den jeweiligen FSLN-Parteisekretären getragen werden. Schon Monate vor dem Wahlkampf, auf dem FSLN-Parteitag Ende Februar, nahm Ortega allen Bürgermeisterkandidaten das Versprechen ab, sich im Fall ihrer Wahl den Entscheidungen der CPC zu unterwerfen. Das führe, so Kritiker, zur Unterhöhlung der in der Verfassung verankerten Gemeindeautonomie, einer Errungenschaft der sandinistischen Revolution. Denn unter Diktator Anastasio Somoza war die Autonomie der Kommunen aufgehoben worden.

Während der 17 Jahre konservativer und liberaler Regierungen ermöglichten die autonomen Gemeinden die Fortführung von Projekten aus der sandinistischen Zeit. Ausländische Organisationen konnten auf diesem Wege gewachsene Strukturen an der Regierung vorbei erhalten. Dass jetzt die Bürgermeister an die Kandare genommen werden, fügt sich in das Bild der autoritären Amtsführung. Vor kurzem wurde die Frauenorganisation AMNLAE, die sich eine gewisse Unabhängigkeit erkämpft hatte, von der Partei übernommen. Eine Spaltung war die Folge. Unabhängigen Organisationen wird das Leben schwer gemacht.

Wählerinnen und Wähler, die mit ihrem sandinistischen Bürgermeister eigentlich zufrieden sind, die zentralistische Machterweiterung des Ehepaars Ortega aber ablehnen, stehen vor einem Dilemma. Deswegen ist auch knapp vor dem Urnengang der Prozentsatz der Unentschlossenen mit rund einem Drittel sehr hoch.

Politisch riskant ist die Entscheidung von MRS-Chef Edmundo Jarquín, dessen Leute ja nicht antreten dürfen, die jeweils aussichtsreichsten Kandidaten gegen die FSLN zu unterstützen, egal ob sie der Liberalen Allianz, der Liberal-Konstitutionalistischen Partei oder der konservativen Allianz für den Wandel angehören. Parteiintern hat das zu einer Spaltung geführt. Der linke Flügel unter Mónica Baltodano will nicht mit den traditionellen Gegnern der sandinistischen Idee gemeinsame Sache machen und ruft zur Abgabe ungültiger Stimmen auf.

Der Tag vor und der Tag nach der Wahl wurden von der Regierung arbeitsfrei gegeben. So soll für hohe Wahlbeteiligung gesorgt werden. In den acht Gemeinden der Autonomen Region Nordatlantik, die im September vom Hurrikan Felix verwüstet wurde, sollen die Wahlen am 18. Januar nachgeholt werden. Wahlbeobachter lehnt Daniel Ortega ab.

* Aus: Neues Deutschland, 8. November 2008


Sturm über Nicaragua

Kommunalwahlen am Sonntag gelten als Gradmesser der Verankerung der Sandinisten in der Bevölkerung

Von Ingo Niebel **

Nicaragua muß sich auf ein stürmisches Wochenende gefaßt machen: spätestens am Samstag (8. Nov.) soll der Hurrikan »Omar« das zentralamerikanische Land erfassen – und am Sonntag (9. Nov.) wählen die Nicaraguaner in 146 der 153 Kommunen die Bürgermeister neu. Die internationale Presse sieht in der Wahl einen Gradmesser für die Verankerung des linksgerichteten Präsidenten Daniel Ortega in der Bevölkerung.

Der Comandante der Nationalen Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) war 2006 ins Präsidentenamt gewählt worden. Seit seinem Wahlkampf fährt er einen politischen Zickzack-Kurs auf allen Ebenen. Auf der einen Seite sucht der Sandinist den Ausgleich mit dem ideologischen Feind: an die USA ist er durch ein Freihandelsabkommen gebunden, und die Katholische Kirche hat er mit einem der schärfsten Abtreibungsgesetze beglückt. Auf der anderen Seite hofiert Ortega die evangikalen Kirchen, die in Nicaragua ein Gegengewicht zur Römischen Kurie darstellen. Außen- und wirtschaftspolitisch arbeitet der Sandinist eng mit seinen Amtskollegen in Venezuela und Kuba, Hugo Chávez und Raúl Castro, zusammen. Innenpolitisch hantiert er einerseits mit der rechten Konstitutionalistischen Liberalen Partei (PLC) des Expräsidenten Arnaldo Alemán. Andererseits hat er das privatisierte Gesundheits- und Bildungswesen wieder verstaatlicht. Neben dem wieder kostenlosen Arzt- und Schulbesuch soll das Sozialprogramm »Hambre Cero« (Null Hunger) der vorwiegend armen Bevölkerung helfen, sich mit Grundnahrungsmitteln selbst zu versorgen. Ortegas Taktiererei hat ihn vorerst vor Putschen wie in Venezuela bewahrt. Dafür war er über die persönliche Seite angreifbarer.

Da ist an erster Stelle der Vorwurf, Ortega hätte seine Stieftochter seit ihrem 16. Lebensjahr sexuell mißbraucht. Diese machte den Fall später publik, als der Comandante sie nicht heiraten wollte. Seitdem wird die schmutzige Wäsche öffentlich gewaschen, obwohl in der Sache niemals ein Richterspruch erging. Die Wahrheit versinkt im Sumpf von Desinformationskampagnen. Alle weiteren Analysen werden dem so geschaffenen schlechten Image von Ortega untergeordnet. In dieses Bild paßt, daß sich auch Ernesto Cardenal als ein Opfer des Sandinisten darstellt. Der Poet war in einem Rechtsstreit wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von umgerechnet 650 Euro verurteilt worden. Cardenal vermutet eine Anweisung Ortegas hinter dem Urteil, obwohl der mit dem Verfahren gar nichts zu tun hatte.

Falls die Sandinisten die Wahl gewinnen sollten, liegt das daran, so sagen ihre Kritiker, daß die FSLN-Abspaltung, die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS), aus formaljuristischen Gründen nicht zugelassen wurde. Aus derselben Ecke wird bemängelt, daß die NGO »Ética y Transparencia« die Wahl nicht beobachten darf. Die Gruppe gibt allerdings zu, daß sie von der USAID, einer Vorfeldorganisation der CIA, finanziert wird, die auch die Putschisten in Venezuela unterstützt hat.

** Aus: junge Welt, 8. November 2008


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