Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Kampf um die Stadt

Ein Band der Nahua Scripte liefert wichtige Anregungen aus Lateinamerika

Von Helge Buttkereit *

Das Thema ist global: Recht auf Stadt. Das Informationsbüro Nicaragua wirft mit einem kleinen, aber feinen Buch einen Blick auf die Selbstorganisation in Lateinamerika.

Die Reihe Nahua Scripte des Wuppertaler Informationsbüros Nicaragua ist nach langer Zeit mit einer neuen Nummer fortgesetzt worden. Das handliche und preiswerte Büchlein mit gut 100 Seiten Information zum »Recht auf Stadt« aus lateinamerikanischer Sicht macht klar: Das ist gut so. Denn die Wuppertaler mit ihrer jahrzehntelangen Solidaritätsarbeit für Nicaragua und Lateinamerika können aus einem Fundus von Erfahrungen schöpfen, mit dem sie auch aktuelle Entwicklungen einordnen und näher beleuchten können. Dies geschieht im Script zum Recht auf Stadt (gerade ist Nummer 14 zum ebenfalls heiß diskutierten Thema des »guten Lebens« erschienen) hauptsächlich aus der Perspektive der Akteure vor Ort.

Der Text besteht zu großen Teilen aus Interviews mit Aktivisten aus verschiedenen Ländern und ist Resultat einer mehrmonatigen Reise nach Lateinamerika. Die Texte behandeln Beispiele aus Venezuela, Nicaragua, Uruguay, Ecuador, Kuba, Argentinien und Bolivien und werden in den Zusammenhang mit den Kämpfen und Verhältnissen hierzulande gestellt. So kann sich der Leser die einzelnen Beispiele auch über die Rezeption aus Deutschland her aneignen und damit über Fragestellungen, die Aktivisten hierzulande umtreibt.

Schon in der Einleitung wird deutlich, welche Dimension der Kampf um die Stadt in Lateinamerika oft hat: »In vielen lateinamerikanischen Ländern waren soziale Bewegungen mit dem Rückzug des Staates gezwungen, unabhängige Organisationsformen zu entwickeln oder sich als kollektive Wirtschaftssubjekte jenseits von Markt und Staat zu positionieren, gemeinsam notwendige Ressourcen anzueignen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.«

Dabei geht es zum einen um den Aufbau einer lokalen, kommunitären Ökonomie in einer sozialistischen Kommune (Comuna Socialista) in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Hier ist nicht nur die weit verbreitete politische Selbstorganisation vorangeschritten, es wird auch der Versuch unternommen, ein ökonomisches Standbein auszubauen. Unter anderem werden hier Ziegelsteine hergestellt, bei dem derzeit laufenden Wohnungsbauprogramm in Venezuela ein wichtiger Produktionszweig.

Um Landwirtschaft in der Stadt geht es beim kubanischen Beispiel, in dem ein Stadtgarten vorgestellt wird und bei dessen Beschreibung das ganze Problem der Mangelwirtschaft auf der Karibikinsel vor Augen geführt wird. Andere Beispiele wie das der kommunalen Selbstverwaltung aus Nicaragua oder dem Bürgerhaushalt in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo machen auf das Spannungsverhältnis zwischen Basisaktivisten und staatlichen Stellen aufmerksam.

Dass es nicht darum gehen kann, vom Staat zu fordern oder in einer staatlich gelenkten Ökonomie die Lösung der Übel zu suchen, wird in den Texten des Buches einschließlich des Gesprächs der beiden Wuppertaler Aktivisten am Ende des Buches klar. Der kleine Band aus Wuppertal bietet wichtige Anregungen für den Kampf um die Städte und erweitert die Perspektive der Auseinandersetzungen, die hierzulande doch oft genug nur ein kleinbürgerlicher Abwehrkampf sind.

Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hrsg.): Recht auf Stadt. Gemeinwohlorientierte Selbstorganisation in Lateinamerika, nahua script 13, 110 Seiten, 5 Euro
www.informationsbuero-nicaragua.org oder Telefon: (0202) 300 030

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 10. Juli 2012


Zurück zur Nicaragua-Seite

Zur Lateinamerika-Seite

Zurück zur Homepage