"Störfaktor" und Hoffnungsträger
Nikaragua: Tod von Herty Lewites schwächt die sandinistischen Dissidenten
Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt *
Nach dem Tod des nicaraguanischen Präsidentschaftskandidaten Herty Lewites werden die Karten
im Machtpoker neu gemischt. Der ehemalige Präsident Daniel Ortega könnte davon profitieren.
Für Nicaraguas Sandinistenchef Daniel Ortega war er ein lästiger Störfaktor auf dem Weg zur
Rückkehr an die Macht. Für seine Anhänger repräsentierte er die Hoffnung, die festgefahrenen
Machtstrukturen in dem mittelamerikanischen Staat aufbrechen zu können. Am vergangenen
Sonntag starb der sandinistische Dissident und Präsidentschaftskandidat Herty Lewites 66-jährig in
der Hauptstadt Managua an Herzversagen.
Mit Blick auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 5. November dieses Jahres hatten
Umfragen den Politiker und seine Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) zuletzt auf dem
dritten Platz gesehen. Der Parteienallianz MRS gehören neben dem Dichter und ehemaligen
nicaraguanischen Kulturminister Ernesto Cardenal eine Reihe weiterer prominenter Persönlichkeiten
an, die von der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) ausgeschlossen wurden oder ihr den
Rücken kehrten. Lewites wurde im vergangenen Jahr aus der Partei geworfen, weil er dem im
November zum vierten Mal antretenden Ortega die Präsidentschaftskandidatur streitig machen
wollte.
Obwohl er nie aktiv in der Guerilla kämpfte, engagierte sich Lewites früh im Widerstand gegen die
Somoza-Diktatur in Nicaragua. Für die FSLN organisierte er in den 70er Jahren Solidaritätskomitees
in den USA und Waffenlieferungen. Nach dem Triumph der sandinistischen Revolution im Sommer
1979 war er Tourismusminister – bis zur Wahlniederlage der Sandinisten gegen eine von den USA
gesponserte konservative Allparteien-Koalition im Jahre 1990. Anschließend saß er noch sechs
Jahre lang im Parlament.
Von 2000 bis 2005 erlangte Herty Lewites als erfolgreicher Bürgermeister Managuas landesweite
Popularität. Im Diskurs weitaus weniger radikal als FSLN-Chef Daniel Ortega (»Ich stehe eher Lula
als Chávez näher.«), entfernte sich der auch als Unternehmer tätige Lewites zunehmend von der
alles bestimmenden FSLN-Figur. Er wandte sich insbesondere gegen den Pakt zwischen Ortega
und dem ultrakonservativen ehemaligen Präsidenten (1996-2001) Arnoldo Alemán, der die faktische
Aufteilung der staatlichen Institutionen zwischen den Adepten dieser beiden »Caudillos« bedeutete.
Obwohl sich Alemán heute wegen Korruptionsvergehen in Haft befindet, halten er und
Oppositionsführer Ortega mit ihren Absprachen die Fäden der nicaraguanischen Politik zu großen
Teilen in der Hand.
In einem Interview im vergangenen Jahr bezeichnete Lewites Alemán und Ortega sogar als
»gefährlicher als Somoza«. Die Sandinistenführung warf ihm im Gegenzug vor, von ausländischen
Interessen gestützt zu sein. Lewites Position jedoch war vor allem Anti-Ortega, weniger Anti-FSLN.
Reelle Aussichten auf den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen hätte er wahrscheinlich nicht
gehabt. Unzweifelhaft schwächte er aber die Kandidatur des angesichts einer gespalten antretenden
Rechten diesmal favorisierten Ortega. Anders als früheren FSLN-Dissidenten wurden seiner
Parteienallianz gute Möglichkeiten für eine substanzielle Präsenz im Parlament eingeräumt. Das
hätte nach Meinung mancher Beobachter auch verkrustete Strukturen in der FSLN selbst
aufweichen können. Mit dem Tod der charismatischen Figur wird dieses Szenarium
unwahrscheinlicher.
* Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2006
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