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Selbst Bush gratuliert dem Erzfeind

Sandinistenchef Daniel Ortega kehrt nach 16 Jahren ins Präsidentenamt Nicaraguas zurück

Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt *

Die Rückkehr an die Macht ist geschafft. Der ehemalige sandinistische Revolutionskommandant Daniel Ortega, bis 1990 schon einmal Präsident Nicaraguas, wird heute erneut in dieses Amt eingeführt.

Die Zeiten ändern sich. USA-Präsident George W. Bush gratulierte dem gewählten Präsidenten Nicaraguas und einstigen Intimfeind der USA, Daniel Ortega, am Montag zum Wahlsieg. Zugleich bot er ihm in dem Telefonat Zusammenarbeit bei der Umsetzung seiner innenpolitischen Ziele an.

Ortega wird nach seinem Wahlsieg am 5. November sein Amt an diesem Mittwoch (10. Januar 2007) antreten. Beim Urnengang hatten ihm nach der Wahlgesetzgebung des Landes 38 Prozent der Stimmen gereicht, um im ersten Wahlgang das Rennen um die Präsidentschaft gegen seine liberal-konservativen Opponenten für sich zu entscheiden. 27 Jahre nach dem Sieg der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) gegen Diktator Somoza und gut 16 Jahre nach seiner mit der Abwahl endenden ersten Regierungsperiode (1985-1990) ist das ein großer Tag für Ortega. Ob für Nicaragua, muss sich herausstellen.

Die Rückkehr des inzwischen 62-Jährigen an die Macht war nur unter sehr speziellen Bedingungen möglich. Wichtige Elemente stellten eine erstmals in zwei gleich große Lager gespaltene rechte Opposition sowie ein Wahlkampf Ortegas dar, der sich ganz auf Frieden und Versöhnung ausrichtete. Das hat seinen Preis. Die neoliberale Politik der vergangenen anderthalb Jahrzehnte wird vom neuen Staatschef wohl nur in Details in Frage gestellt werden. Die Unternehmer jedenfalls äußerten sich mit den ersten Erklärungen Ortegas einverstanden. Als Vizepräsident steht ihm Jaime Morales Carazo zur Seite, der noch in den 80er Jahren als von den USA gestützter Contra-Chef die Sandinisten erbittert bekämpfte. Auch mit der extrem konservativen katholischen Kirchenhierachie hat Daniel, wie ihn viele Anhänger einfach nennen, Frieden geschlossen. Rechtzeitig vor den Wahlen ließen er und seine langjährige Lebenspartnerin Rosario Murillo sich ausgerechnet vom jahrelangen Erzfeind der Sandinisten, Kardinal Miguel Obando y Bravo, trauen. Mit den FSLNStimmen war ganz im Sinne der katholischen Kirche im vergangenen Oktober noch das Abtreibungsrecht verschärft worden.

Im Parlament muss die weit von einer absoluten Mehrheit entfernte FSLN Vereinbarungen mit der Liberalen Verfassungspartei (PLC) oder ihrer Abspaltung, der Liberalen Allianz Nicaraguas (ALN), suchen. Die FSLN-Dissidenten von der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS) spielen dagegen als viertgrößte Partei zahlenmäßig nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn zu ihren Unterstützern viele bekannte Gesichter aus der Frühphase der sandinistischen Revolution gehören. Die politische Beobachter bewegende Frage ist, ob in der Praxis der stillschweigende Pakt zwischen Ortega und dem wegen Korruptionsvergehen unter großzügigem Hausarrest stehenden Expräsidenten Arnoldo Alemán (1996-2001) von der PLC Bestand haben wird. In den letzten Jahren hatte dieser Pakt eine Ämteraufteilung in vielen staatlichen Institutionen zwischen PLC und FSLN und eine faktische sandinistische Mitregierung zur Folge. Theoretisch könnte die neue Parlamentszusammensetzung diese Strukturen etwas aufbrechen.

»Kein Analphabetismus, keine Arbeitslosigkeit, kein Hunger.« Diese Versprechungen machte Ortega im Wahlkampf, ohne näher auf die Umsetzung einzugehen. In Nicaragua, dem zweitärmsten Staat Lateinamerikas, stießen sie auf offene Ohren und Hoffnungen. Nicht nur bei den älteren Anhängern, die sich noch an die sozialen Errungenschaften der sandinistischen Revolution erinnern, sondern auch bei vielen jungen Menschen. Deswegen erhielten Ortega und die FSLN eine zweite Chance.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Januar 2007


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