Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krisenregion Tschadsee

Rotes Kreuz spricht von katastrophaler Situation für Flüchtlinge. USA unterstützen Kampf gegen Boko Haram

Von Simon Loidl *

Der Kampf gegen Boko Haram nimmt immer größere Dimensionen an. Während Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun militärische Erfolge ihrer Operationen gegen die Islamisten melden und westliche Staaten ihre Unterstützung zusichern, warnt das Internationale Rote Kreuz vor einer humanitären Krise in der Grenzregion rund um den Tschadsee. In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht der Organisation heißt es, dass sich die Situation für Hunderttausende Flüchtlinge im Norden Nigerias sowie in den Nachbarländern zunehmend verschlechtere. In Städten wie Maiduguri sind in den vergangenen Wochen Tausende Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen angekommen und nun auf Unterstützung angewiesen.

Neben Engpässen bei der Verpflegung der Flüchtlinge sei auch die hygienische Situation in den improvisierten Lagern und Unterkünften katastrophal. Viele Familien sind dem Bericht zufolge während der Flucht auseinandergerissen worden. Ein großer Teil der Anstrengungen der Hilfsorganisationen gilt demnach der Suche von Angehörigen und der Zusammenführung von Familien.

Unterdessen ist kein Ende der Krise abzusehen. Am Mittwoch meldete die nigerianische Armee, dass seit Beginn der gemeinsamen Offensive der vier von den Kämpfen betroffenen oder bedrohten Länder mehr als 30 Städte aus der Hand von Boko Haram zurückerobert wurden. Ein Sprecher der nigerianischen Sicherheitskräfte zeigte sich optimistisch hinsichtlich einer »vollständigen Niederlage« und »Vernichtung« der islamistischen Gruppe. Über den tatsächlichen Verlauf der Kämpfe gibt es allerdings kaum überprüfbare Meldungen.

Gleichzeitig mischen sich westliche Mächte verstärkt in die Auseinandersetzung ein. Am Mittwoch sprach US-Verteidigungsminister Ashton Carter davon, dass die USA ihren »Krieg gegen den Terror« in Hinblick auf die nigerianischen Islamisten ausweiten könnten. Laut dem britischen Guardian erklärte Carter, dass die militärischen Operationen gegen den »Islamischen Staat« (IS) in Syrien und Irak durch eine »flexible« Sprachregelung auch auf »Ziele« ausgeweitet werden könnten, die mit dem IS verbündet sind. Damit sollen Angriffe in Libyen sowie in Nigeria gegen Boko-Haram-Milizen gerechtfertigt werden. Letztere hatten am vergangenen Wochenende in einer Videobotschaft IS-Anführer Abu Bakr Al-Baghdadi Treue geschworen.

Am Mittwoch hat die für Afrika zuständige Vertreterin des US-Verteidigungsministers, Amanda J. Dory, Unterstützung ihres Landes für eine multinationale westafrikanische Truppe für den Kampf gegen Boko Haram zugesagt. Laut Internetportal News24 sagte Dory während eines Besuches in Kamerun, dass die USA eine entsprechende Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstützen würden.

Auch Frankreich will noch mehr Präsenz zeigen als bisher. Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian kündigte Mitte der Woche an, dass Einheiten aus der Zentralafrikanischen Republik nach Tschad verlegt werden sollen. Auch in Niger sind Medienberichten zufolge bereits französische Militärberater im Einsatz.

Unterschiedliche Ansichten gibt es allerdings darüber, wie die Verbindungen zwischen IS und Boko Haram zu bewerten sind. Nigerias Präsident Goodluck Jonathan sagte nach Bekanntwerden des Treueschwurs der Islamisten in einem Interview mit Voice of America, dass Boko-Haram-Kämpfer zu Trainingszwecken in den Nahen Osten gereist seien. In welchen Ländern derartige Ausbildungen stattgefunden haben sollen, erwähnte Jonathan nicht.

Demgegenüber sprachen US-Vertreter lediglich von einem propagandistischen Hintergrund des Treueschwurs. Direkte Verbindungen zwischen den Organisationen gibt es demzufolge nicht. Auch viele Kommentatoren maßen der Erklärung der nigerianischen Islamisten eher symbolische Bedeutung zu.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. März 2015


Zurück zur Nigeria-Seite

Zur Nigeria-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage