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Armee meldet Erfolge

Nigeria: Entführte aus der Gewalt von Boko Haram befreit

Von Simon Loidl *

Der nigerianischen Armee sind nach eigenen Angaben während der vergangenen Tage bedeutende Erfolge im Kampf gegen die islamistische Gruppe Boko Haram gelungen. Nach übereinstimmenden Meldungen nigerianischer und internationaler Medien konnten bei einer Operation in den Sambisa-Sümpfen im Nordosten des Landes 293 Frauen und Mädchen aus der Gewalt der Aufständischen befreit werden. Militärsprecher Chris Olukolade bestätigte dies gegenüber Medien am Dienstag abend, betonte aber zugleich, dass die Identität der Befreiten erst geklärt werden müsse. Demnach seien bei der Offensive auch mehrere Camps der Islamisten zerstört worden.

Mit dem Hinweis auf die zunächst unklare Identität der Befreiten kam das Militär Spekulationen zuvor, wonach es sich bei den etwa 200 Mädchen um jene handeln könnte, die vor mehr als einem Jahr von Boko-Haram-Kämpfern in der Stadt Chibok entführt worden sind. Alle befreiten Personen würden nun untersucht, erklärte der Militärsprecher laut der nigerianischen Zeitung ThisDay. Erst danach könne man Details bekanntgeben.

Die Massenentführung hat die Gewaltexzesse in Nigeria in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Eine von Medien, Politikern und Menschenrechtsaktivisten getragene internationale Kampagne mit dem Slogan »Bring back our girls« (Holt unsere Mädchen zurück) forderte die Behörden des Landes wiederholt dazu auf, die Anstrengungen zur Auffindung und Befreiung der Schülerinnen von Chibok zu forcieren. Insbesondere Präsident Goodluck Jonathan warfen Kritiker und Angehörige der jungen Frauen vor, viel zu spät auf die Entführung reagiert zu haben. Oppositionskräfte wiederum sprachen generell von einem zu unentschlossenen Vorgehen des Präsidenten gegen Boko Haram. Nach Ansicht vieler Beobachter war das Versagen von Behörden und Armee im Kampf gegen den islamistischen Aufstand ein Hauptgrund für die Wahlniederlage von Jonathan Ende März. Sein designierter Nachfolger, Muhammad Buhari, hatte versprochen, die Anstrengungen in der Auseinandersetzung mit Boko Haram zu erhöhen, sollte er gewählt werden. Buhari soll das Präsidentenamt Ende Mai antreten.

Die aktuellen Meldungen über die Offensive in den Sambisa-Sümpfen und die Befreiung der knapp 300 Frauen und Mädchen stützten sich zunächst ausschließlich auf Meldungen der Behörden und der Armee. Gesicherte Informationen über den Verlauf der Kämpfe aus unabhängigen Quellen gibt es nicht. In der Vergangenheit gab es immer wieder Berichte über militärische Erfolge, die sich letztlich als Propaganda herausstellten. Im Oktober vergangenen Jahres etwa hatte ein Sprecher der Streitkräfte eine mit Boko Haram vereinbarte Waffenruhe verkündet – nur wenige Stunden später gab es neue Angriffe und Anschläge der Islamisten. Hintergrund derartiger widersprüchlicher Meldungen ist aber nicht nur der Versuch der Armee, der nigerianischen Öffentlichkeit Erfolge zu präsentieren, sondern auch die Komplexität des Konfliktes. Bei »Boko Haram« handelt es sich nicht um eine geschlossene Gruppe. Es existieren mehrere Splittergruppen, die teilweise unabhängig voneinander operieren.

Der Kampf gegen die Islamisten ist längst keine allein nigerianische Angelegenheit mehr. Seit Anfang des Jahres beteiligen sich Tschad, Kamerun, Niger und Benin am Krieg gegen Boko Haram. Die Aufständischen hatten zuvor ihre Operationen auf kamerunisches Territorium ausgeweitet. Zuletzt meldete Niger am vergangenen Wochenende Kämpfe auf einer Insel im Tschadsee. Dabei sind laut der britischen Rundfunkanstalt BBC mindestens 28 Zivilisten, 46 Soldaten und mehr als 150 islamistische Kämpfer bei einem Boko-Haram-Angriff getötet worden.

Auch westliche Mächte mischen in der Auseinandersetzung mit. Frankreich, das in mehreren ehemaligen Kolonien Militärstützpunkte hat, soll immer wieder Aufklärungsflüge durchführen. Französische Streitkräfte griffen während der vergangenen Jahre wiederholt in regionale Konflikte ein, etwa in Côte d’Ivoire, Mali oder der Zentralafrikanischen Republik. Auch die US-Armee unterstützt die Streitkräfte der gegen Boko Haram kämpfenden Länder mit Ausrüstung und dem Training von »Antiterroreinheiten«. Im März bestätigte Nigeria zudem den Einsatz südafrikanischer Söldner. Während es seitens der Behörden hieß, dass es sich bei den ausländischen Kräften ausschließlich um Ausbilder und Berater handle, gab es immer wieder Augenzeugenberichte über Kampfeinsätze von Söldnern.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. April 2015


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