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Nigeria streikt weiter

Präsident kündigt nur leichte Senkung der Benzinpreise an

Von Christian Selz, Kapstadt *

Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Tagen hat sich Nigerias Präsident Goodluck Jonathan am Montag morgen (16. jan.) mit einer Fernsehansprache an die Bürger des mit 160 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Landes Afrikas gewandt. Zum zweiten Mal wurde er nicht erhört. Nachdem Jonathan am vorletzten Samstag (7. Jan.) vergeblich versucht hatte, einen Generalstreik gegen die Streichung von Treibstoffsubventionen damit abzuwenden, auch die Gehälter der Regierungsbeamten um 25 Prozent zu kürzen, blieb auch sein Angebot einer 30prozentigen Senkung der seit Jahresbeginn mehr als verdoppelten Benzinpreise erfolglos. Nachdem die Proteste in der Vorwoche mindestens neun Menschenleben forderten, waren es statt dessen die Gewerkschaften, die für leichte Beruhigung sorgten. Zwar soll der Generalstreik weitergehen, bis der Benzinpreis auf Normalniveau zurückkehrt, der Gewerkschaftsbund Nigerian Labour Congress (NLC) rief seine Mitglieder jedoch dazu auf, zu Hause zu bleiben, anstatt auf den Straßen zu protestieren.

Der wochenlange Ausstand richtet sich derweil längst nicht mehr nur gegen die heftigen Preissteigerungen für Treibstoff, sondern vermehrt auch gegen die ausufernde Korruption in Behörden und Regierung. Nigeria muß als wichtigster Ölförderer Afrikas fast sein gesamtes Benzin aus dem Ausland importieren, weil die heimischen Raffinerien heruntergewirtschaftet und ineffizient sind. Von den Re-Importen des raffinierten Treibstoffs profitiert vor allem ein Kartell von Importunternehmen. Kritiker bemängeln, daß ein Großteil des auf dem Papier eingeführten und subventionierten Benzins nie in Nigeria ankommt und statt dessen im benachbarten Ausland verkauft wird. Jonathans von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds unterstützter Schritt, die Subventionen daher gänzlich abzuschaffen, hat die Nigerianer allerdings hart getroffen. Die Preise für Transport und Lebensmittel explodierten, ein Liter Benzin kostete mit umgerechnet 141 Naira (0,69 Euro) zuletzt mehr als doppelt so viel wie vor dem Jahreswechsel. 80 Prozent der Nigerianer leben von maximal zwei US-Dollar (1,58 Euro) am Tag. Die Benzinsubventionen waren bisher ihre einzige Teilhabe am Ölreichtum des Landes. An die von der Regierung angekündigte Umlagerung der durch den Subventionswegfall freiwerdenden Mittel in Infrastruktur- und Förderprogramme glauben nur die wenigsten.

Am Montag (16. Jan.) signalisierte der Präsident nun ein leichtes Entgegenkommen: »In Anbetracht der Not, die Nigerianer erleiden, hat die Regierung die Senkung des Benzinpreises auf 97 Naira (0,47 Euro) beschlossen«, sagte er. Gleichzeitig kündigte er jedoch an, seinen Deregulierungskurs im Treibstoffmarkt fortführen zu wollen. Die Gewerkschaften beschlossen deshalb umgehend, den Generalstreik unbefristet fortzuführen. Für Jonathan geht es mehr und mehr auch um seine eigene politische Zukunft. Mit dem ausgeschlagenen Verhandlungsangebot dürfte er seine Position – durch die wochenlangen Proteste längst schwer beschädigt – weiter geschwächt haben. Beugt er sich dem Protestbündnis allerdings nicht, droht dem Land der völlige Kollaps. Nach Berechnungen der Tageszeitung Business Day hat der Streik das Land bisher bereits umgerechnet 9,6 Milliarden Euro gekostet. Die Gewerkschaften haben bereits angekündigt, zukünftig auch die Ölindustrie zu bestreiken. Zwar schätzen Experten die Industrie als hochautomatisiert ein, zudem seien die Ölvorräte gut gefüllt, dennoch stieg der Ölpreis an den internationalen Börsen gestern bereits. Dramatischer dürften die Folgen für Nigerias Regierung sein: Sie generiert 80 Prozent ihrer Einnahmen aus der Ölförderung.

* Aus: junge Welt, 17. Januar 2012


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