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Kein Plan in Abuja

Rebellenaktionen, Umweltzerstörung, Armut: Auch neues Ministerium wird im Mündungsgebiet des Niger kaum Frieden und Entwicklung bringen

Von Thomas Berger *

Nur ein zusätzlicher Wasserkopf -- oder eine echte Möglichkeit zum Lösen der drängenden Probleme des Gebietes? Die Meinungen in Nigeria über das neue Ministerium, das Präsident Umaru Yar'adua im Rahmen der aktuellen Regierungsumbildung speziell für die Region des Nigerdeltas einrichtet, gehen auseinander. Während mancher an den Schritt die Hoffnung knüpft, den Unruhen und Kämpfen könnte mittelfristig durch erfolgreiche Entwicklungsprojekte die Grundlage entzogen werden, sehen Skeptiker wie der Menschenrechtsanwalt Anyakwee Nsirimovu, die Sache kritisch. Auch das neue Ministerium werde an der Lage kaum etwas ändern, meint er in der BBC.

Geld versickert

Die Kritiker verweisen vor allem darauf, daß es seit geraumer Zeit bereits eine Entwicklungsagentur für das Nigerdelta gibt. Expräsident Olusegun Obasanjo hatte die Behörde mit dem Kürzel NDDC im Jahr 2000 aus der Taufe gehoben. Sie krankte allerdings seit Anbeginn an zweierlei: Die versprochenen Mittel wurden nie auch nur annähernd in der auf dem Papier stehenden Höhe von der Zentralregierung ausgereicht, und von dem Wenigen bedienten sich verschiedene Mitarbeiter zugunsten der eigenen Tasche -- ein Vorgang, wie er in Nigeria an der Tagesordnung ist. Daß es in diesem Zusammenhang überhaupt zu einem Prozeß gegen die Verantwortlichen gekommen ist, wird von vielen bereits als Fortschritt betrachtet. So soll allein einer der leitenden Angestellten laut Anklage umgerechnet 6,1 Millionen Dollar abgezweigt haben.

Bisher hat der heutige Staatschef weder kundgetan, wie er die Korruption wirksam unterbinden will, noch mit welcher Finanzausstattung das neue Ministerium rechnen kann, dem die NDDC direkt unterstellt werden soll. Gewisse Erwartungen hinsichtlich solcher Aussagen richten sich derzeit auf den 24. September, wenn Yar'adua seine Regierungsumbildung noch einmal genauer erläutern will.

Ungeachtet seines Ölreichtums ist Nigeria abseits einiger Viertel in der Wirtschaftsmetropole Lagos und der Hauptstadt Abuja noch immer ein sehr rückständiges Land. Besonders kraß fällt dies in der Deltaregion des Nigerstromes auf: Tagtäglich sehen die Menschen, wie westliche Konzerne mit der Förderung des »schwarzen Goldes« große Profite machen sowie einige Politiker und Beamte Bestechungsgelder einstreichen, während sie selbst weder sauberes Trinkwasser noch ordentliche Straßen oder Gesundheitsstationen und Schulen haben. Zudem sollen 80 Prozent der Staatseinnahmen aus der Deltaregion stammen. An diesen Geldern hatten sich die vorherigen Regimes ausgiebig für eigene Zwecke bedient. 60 Millionen Nigerianer, gut die Hälfte der Bevölkerung, leben in Armut. Nach Schätzungen von Amina Ibrahim sind pro Jahr umgerechnet fünf bis sieben Milliarden Dollar nötig, damit das Land die Millenniums-Entwicklungsziele der UN noch erreichen kann. Ibrahim weiß, wovon sie spricht. Sie wurde noch von Obasanjo als Beauftragte für den Kampf gegen Armut eingestellt und gilt als eine der wenigen kompetenten und engagierten Vertreter der nigerianischen Administration. Allerdings hat auch sie nur einen begrenzten Etat von einer Milliarde Euro, über mehrere Jahre gestreckt, zur Verfügung, der aus dem Schuldenerlaß einiger westlicher Staaten stammt. Zu wenig, um nachhaltig etwas bewirken zu können.

»Ölkrieg« im Delta

Derweil fordern seit Jahren immer mehr militante Gruppen mit Waffengewalt eine größere Teilhabe der lokalen Bevölkerung im Mündungsgebiet des Niger am Erlös der Erdölförderung. Zu Wochenbeginn hatte eine dieser Gruppen der Zentralregierung gar den »Ölkrieg« erklärt. Die Kämpfer kidnappen westliche Mitarbeiter der Bohrfirmen, um Lösegeld zu erpressen. Sie überfallen Anlagen und verüben Bombenanschläge. Die europäischen Ölmultis Shell und Total mußten deshalb zwischenzeitlich immer wieder einzelne Einrichtungen schließen. Nigeria droht von der Position des wichtigsten afrikanischen Förderlandes von Angola verdrängt zu werden.

Yar'adua hatte zudem bei seinem Amtsantritt verkündet, einige Verträge mit den Konzernen neu verhandeln zu wollen. Eine alte Forderung, für die 1995 der Schriftsteller und Träger des alternativen Nobelpreises, Ken Saro-Wiwa, von der damaligen Militärregierung Nigerias hingerichtet worden war. Aber von einer einzigen Konzession abgesehen, die derzeit offiziell überprüft wird, hat sich bisher noch nichts getan.

* Aus: junge Welt, 17. September 2008


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