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In neokolonialer Hand

Nigerias Öl: Fünf Prozent fürs Land – 95 Prozent für ausländische Konzerne

Den folgenden Text über die Verfügungsrechte am nigerianischen Öl haben wir der Tageszeitung "junge Welt" entnommen.


Von Sam Olukoya, Lagos (IPS)

In Nigeria kommen die Bemühungen um eine Beteiligung an der für über 90 Prozent der Exporteinnahmen verantwortlichen Ölproduktion nur schleppend voran. Nach mehr als vier Jahrzehnten Ölförderung in dem westafrikanischen Staat ist die Ölbranche noch immer fest in der Hand ausländischer Konzerne, allen voran in denen des britisch-niederländischen Multis Shell. Nach offiziellen Angaben liegt die Beteiligung nigerianischer Firmen am Ölgeschäft mit einem Export von etwa 2,3 Millionen Barrel am Tag bei nicht mehr als fünf Prozent. Gleichwohl hat sich die Regierung das ehrgeizige Ziel gesetzt, den nigerianischen Anteil an der Erdöl- und Erdgasproduktion bis 2010 auf 50 Prozent zu erhöhen. Gefördert werden sollen zu diesem Zeitpunkt vier Millionen Barrel Öl am Tag.

Als wichtigen Schritt in diese Richtung sieht Edmund Daukoru, Berater in Sachen Öl von Staatspräsident Olusegun Obasanjo, die Vergabe von Off-shore-Feldern an nigerianische Unternehmen. Bis jetzt wurden 32 lokale Firmen mit 24 kleineren Feldern und Reserven von etwa 300 Millionen Barrel bedacht. Dabei stehen hinter den Plänen dicke Fragezeichen: Werden sich die Konzerne und ihre Drahtzieher vor Ort das Vorgehen gefallen lassen? Und: Werden die lokalen Firmen eingekauft?

Schwierigkeiten macht auch die Beteiligung der örtlichen Ölfelddienstleister. Sie klagen darüber, daß ausländische Investoren in der Regel auswärtige Firmen vorziehen. »Die meisten Ölriesen wenden sich trotz unseres guten Rufes an Unternehmen aus dem Ausland«, bedauert Humphrey Idisi, Chef des nigerianischen Anbieters Lonestar. Milliarden Dollar gingen dadurch der nigerianischen Wirtschaft verloren, bemängelt auch der Abgeordnete Chudi Offodile. »Etwa 95 Prozent der jährlichen Ausgaben von rund acht Milliarden US-Dollar für diesen Bereich wandern ins Ausland«, sagte er.

Als Hindernisse, die einer stärkeren nigerianischen Beteiligung und entsprechenden Firmengründungen im Weg stehen, werden unter anderem schwaches lokales Know-how, begrenzte Finanzmittel und eine desolate Infrastruktur, wie schlechte Straßen und periodisch wiederkehrende Stromausfälle, angeführt. Die großen Profiteure am schwarzen Gold haben keinerlei Interesse, vor Ort zu investieren geschweige denn, Abgaben zu zahlen. Sie investieren nicht einmal in eine mindestens ökologisch notwendige Modernisierung der Förderanlagen. Und: Die vorhandenen Staatsfinanzen fließen zu 80 Prozent in die aufgeblähte und korrupte öffentliche Verwaltung. Ausgaben für Soziales und Bildung bewegen sich im einstelligen Prozentbereich.

Nun hofft Offodile, daß ein von ihm eingebrachter Gesetzesvorschlag, der sogenannte »Nigerian Content Development Bill«, angenommen wird und die Lage verbessert. Der Entwurf zielt nicht nur auf eine stärkere Beteiligung einheimischer Unternehmen am Ölgeschäft, sondern auch auf eine Verpflichtung multinationaler Unternehmen, mehr Führungspositionen mit nigerianischen Fachkräften zu besetzen. »Die Bedeutung dieses Vorschlags und seine potentiellen Auswirkungen auf die Wirtschaft können nicht hoch genug eingeschätzt werden«, meint der Parlamentarier, der sich der Unterstützung einflußreicher Kreise aus der nationalen Bürokratie und Oberschicht sicher sein kann.

Für eine stärkere Beteiligung einheimischer Kräfte und Unternehmen am Ölgeschäft und gegen die Dominanz ausländischer Firmen setzen sich seit langem auch Nichtregierungsorganisationen wie die Bewegung für das Überleben der Ogoni ein. Insbesondere kümmert sich die Organisation um die Gemeinschaft der im nigerianischen Ölfördergebiet lebenden Ogoni-Ureinwohner. Sie macht weiter, obwohl 1995 ihr Führer Ken Saro-Wiwa von der damaligen Militärregierung unter General Abacha hingerichtet wurde. Vorangegangen waren Jahre des Kampfes für eine gerechtere Verteilung der Öleinnahmen und der Forderungen nach Beseitigung der ökologischen Schäden, die die Ölförderung mit sich gebracht hat. Ken Saro-Wiwa, Kopf und Symbolfigur des Widerstands, wurde liquidiert. Das Massenelend blieb dem neuntgrößten Ölexporteur der Welt erhalten: 290 Dollar beträgt das jährliche Pro-Kopf-Einkommen. Die Armutsrate liegt bei 70 Prozent.

Aus: junge Welt, 16. April 2004


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