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Moscheen und Kirchen abgebrannt

Ausnahmezustand in Zentralnigeria. Hunderte Tote bei schweren Kämpfen

Von Raoul Wilsterer *

Im Zentrum der Bundesrepublik Nigeria toben seit Freitag schwere Kämpfe. Allein am Samstag wurden, so Informationen der britischen BBC aus der Provinzhauptstadt Jos, die Leichen von etwa 300 Menschen in die Zentralmoschee gebracht. Insgesamt wurde am Sonntag von etwa 500 Toten gesprochen, die es im Bundesstaat Plateau gegeben habe. In diesem verläuft die Grenze zwischen den beiden Hauptreligionen des mit 150 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Landes Afrikas: Der Norden ist stark muslimisch geprägt, während im Süden das Christentum dominiert. Am Samstag wurde über Jos eine zunächst auf 24 Stunden befristete Ausgangssperre verhängt. Auf den Straßen der 860000 Menschen zählenden Großstadt patrouillierten Einheiten der Armee.

Augenzeugenberichten zufolge brannten in Jos - ein Akronym für »Jesus our Saviour« (Jesus unser Retter) - während der Kämpfe mehrere Kirchen und Moscheen nieder. Opfer gab es unter beiden religiösen Richtungen. Und trotz anderslautender Medienberichte, wonach Glaubenskonflikte die Kämpfe ausgelöst hätten, sind die Ursachen für die schweren Auseinandersetzungen vorrangig sozial und politisch begründet.

Nach den Kommunalwahlen am Donnerstag und Freitag hatte sich die Bekanntgabe der Auszählungsergebnisse mehrfach verzögert. Daraufhin wurden offensichtlich Manipulationen befürchtet. Zu solchen war es in der Vergangenheit in dem westafrikanischen Staat am Golf von Guinea mehrfach gekommen, und zumeist waren sie im Interesse der korrupten Zentralmacht durchgeführt worden. Diese wiederum ist - trotz des Regierungswechsels vor etwa anderthalb Jahren - nach wie vor für ihre Selbstbedienungsmentalität berühmt wie berüchtigt. Während ein Großteil der Öleinnahmen - die USA wollen Nigeria bis 2020 zu ihrem Hauptlieferanten machen - in dunklen Kanälen verschwindet, liegt das Durchschnittseinkommen pro Kopf bei weit unter zwei Dollar täglich. Etwa 35 Prozent müssen mit weniger als einem Dollar auskommen. Über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt, wobei über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion auf kleinen Anbauflächen in Subsistenzwirtschaft erwirtschaftet werden.

Am Samstag nun hatte die Wahlkommission bekanntgegeben, daß die in Abuja regierende Demokratische Volkspartei (PDP) in 16 der 17 Kommunen gewonnen habe. Die Nigerianische Volkspartei (ANPP), die vor allem Rückhalt in ländlichen, mehrheitlich muslimischen Bevölkerungsgruppen hat, zweifelte das Ergebnis an.

Die Behörden machten bisher keine Angaben zur Zahl der Opfer. Nigerias Präsident Umaru Yar'Adua äußerte sich in einer Erklärung »sehr traurig« über die Ereignisse und schickte Soldaten in den Norden. Diese eröffneten das Feuer auf jeden, der sich nicht an die Ausgangssperre hielt. Die Straßen nach Jos waren nach Angaben eines Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP am Samstag gesperrt, auch aus der Luft war die Stadt nicht erreichbar.

Nach Angaben des Roten Kreuzes flohen mehr als 10 000 Menschen vor den Kämpfen aus ihren Häusern, über 300 wurden demnach bei den Ausschreitungen verletzt. Auf den Straßen lagen verwesende Leichen, das Rote Kreuz befürchtete den Ausbruch von Seuchen. Ein Reporter des Rundfunksenders Radio France International sagte gegenüber AFP, er habe etwa hundert Menschen mit Schußverletzungen gesehen. Diese hätten berichtet, sie seien von Schüssen der Polizei oder Armee verletzt worden. Seinen Angaben zufolge wurden rund 350 Jugendliche, Muslime und Christen, wegen ihrer Beteiligung an den Protesten festgenommen.

* Aus: junge Welt, 1. Dezember 2008


Hunderte Tote bei Kämpfen in Nigeria

Massaker zwischen Muslimen und Christen nach umstrittener Kommunalwahl

Von Marc Engelhardt, Nairobi **


Bei Unruhen nach einer umstrittenen Kommunalwahl wurden am Wochenende Hunderte Nigerianer von radikalen christlichen und muslimischen Milizen getötet.

Die Leichen, viele von ihnen zur Unkenntlichkeit verbrannt oder verstümmelt, lagen am Wochenende achtlos aufeinander geworfen im Hof der Zentralmoschee von Jos. Mindestens 400 Tote der Massaker, die am Samstag (29. Nov.) ihren Höhepunkt erreichten, seien dort aufgestapelt, berichten Augenzeugen. Offizielle Zahlen fehlen noch. Von »sehr vielen Toten« sprach ein Vertreter der örtlichen Polizei am Sonntag (30. Nov.). Polizisten patrouillierten gemeinsam mit der nigerianischen Armee durch die Armenviertel der Stadt, um eine von Gouverneur Jonah Jang verkündete Ausgangssperre durchzusetzen. Die jüngsten Unruhen in Jos, der Hauptstadt der Plateau-Provinz im Zentrum Nigerias, sind die schlimmsten, die die krisengewohnten Bewohner seit Jahren erlebt haben.

Es begann am Donnerstagabend (27. Nov.). Da wurden nach Kommunalwahlen in der Provinz zwar noch die Stimmen ausgezählt, doch unter Anhängern der oppositionellen All Nigeria Peoples Party (ANPP) kursierte bereits die Nachricht, dass der wichtige Wahlkreis im Norden von Jos verloren sei – an die auch landesweit regierende People’s Democratic Party (PDP). Während die ANPP vor allem als Partei der aus dem muslimischen Norden zugewanderten Bevölkerung, ethnischen Hausa und Fulani, gilt, ist die PDP traditionell die Partei der aus dem christlichen Süden stammenden Yorubas. In Jos, wie überall in Nigerias Zentralregion, mischen sich die Ethnien und die Religionen. Politische Konflikte eskalieren hier immer wieder zu Massakern.

Als erstes steckte der wütende Mob in der Nacht zum Freitag mehrere Kirchen und Moscheen in Brand. Menschen wurden mit Macheten zerstückelt, zu Tode geprügelt oder an eilends errichteten Straßensperren angezündet. Häuser, Geschäfte, Autos gingen in Flammen auf. Mindestens 10 000 Bewohner flohen, vor allem die Ärmsten.

Inmitten der Kämpfe verkündete der Vorsitzende der Wahlkommission, Gabriel Zi, die PDP habe nicht nur den Wahlkreis im Norden von Jos, sondern auch alle anderen 16 Wahlkreise gewonnen: »Die Wahlen waren fair, gerecht und transparent.« Dieser Auftritt fachte die Kämpfe weiter an. Ein Zufall? »Das war eine minutiös vorbereitete Attacke«, meint Pfarrer Yakubu Pam. »Einige wenige gierige und unzufriedene Leute haben den Frieden der vergangenen Jahre aufgegeben und die Wahlen zu einem Kampf auf Leben und Tod genutzt.« Und wer sind aus seiner Sicht die Rädelsführer? »Unsere muslimischen Brüder und Schwestern hatten ihre Autos längst weggeparkt, als die Unruhen begannen ...« Der Präsident des Obersten Rates für islamische Angelegenheiten, Sultan Saad Abubakar, wies die Vorwürfe zurück und rief die Christen zur Ruhe auf: »Eine Politik des Hasses und der Ungerechtigkeit darf keinen Keil zwischen die Bevölkerung Nigerias treiben.«

Auch der Generalsekretär der Vereinigung nigerianischer Christen, Samuel Salifu, machte die Politik verantwortlich: »Wir sind es satt, immer die gleichen Krisen zu sehen, wenn einige Politiker in ihrem Eigeninteresse die religiöse Karte spielen.« Damit spricht er aus, was viele Nigerianer denken: Christliche und muslimische Milizen werden von Politikern je nach Interessenlage gekauft.

Die Vorsitzenden der unterlegenen Oppositionsparteien forderten derweil eine Annullierung der Wahl und warfen der Regierung vor, die Massaker in Jos selbst organisiert zu haben. »Die Strategie ist doch glasklar«, wettert der Parteisprecher des Action Congress, Alhadschi Lai Mohammed: »Die fälschen die Wahl und sorgen dann für Chaos, damit die Ergebnisse nicht hinterfragt werden können.« Die Regierung von Plateau bestätigte am Sonntag, dass mindestens 500 Gewalttäter festgenommen worden seien.

** Aus: Neues Deutschland, 1. Dezember 2008


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